Richard Yates - Eine gute Schule

  • Titel im Original: A Good School
    231 Seiten


    Kurzbeschreibung:


    Das Haar hängt ihm fettig in die Stirn, sein fadenscheiniges Hemd ziert ein Muster aus Flecken. William Grove, fünfzehn Jahre alt und gerade als Stipendiat an der Dorset Academy angenommen, wird schnell der Stempel aufgedrückt: Mit diesem »Zigeuner« möchte keiner der Jungen im Internat etwas zu tun haben. Denn Grove kann nicht verbergen, dass er aus proletarischen Verhältnissen stammt. Doch genau das soll er an der Dorset, Hort englischer Erziehungstraditionen, lernen – seine Mutter hofft, dass ihrem Sohn sich so die Türen zur höheren Gesellschaft öffnen, die ihr, der großen Künstlerin, verschlossen geblieben sind, trotz aller Bemühungen.


    Glaubwürdig und mit viel Feingefühl gelingt es Richard Yates, dem Meister der klaren Worte, das psychologische Porträt eines Jungen zu zeichnen, der seinen Platz in der Gesellschaft noch finden muss.


    Meine Meinung:


    Die Kurzbeschreibung ist ein wenig trügerisch; auch wenn Grove so etwas wie die Hauptfigur dieses Romans ist, liegt der Fokus doch auch oft auf anderen Figuren – ungewöhnlich für Yates, der sich normalerweise auf eine oder zwei Figuren konzentriert.
    Jedenfalls zeichnet Yates in diesem Roman ein Porträt des Lebens an einer Jungenprivatschule Anfang der 40er Jahre in Amerika, das knapp davor steht, in den Zweiten Weltkrieg einzutreten. Es werden die Schülerbanden, ihre grausamen Rituale und ihre Gruppenbildungen anschaulich beschrieben, aber auch das Lehrpersonal spielt eine Rolle, etwa wenn der von Kinderlähmung gezeichnete Chemielehrer von seiner Frau mit dem gockelhaften Französischlehrer betrogen wird.


    Sprachlich ist „Eine gute Schule“ wie alles, was bislang von Yates auf Deutsch verfügbar ist, brillant, darüber hinaus sind die Dialoge einfach großartig und punktgenau. Die Figuren werden diesmal pfleglicher behandelt als in anderen Yates-Romanen, habe ich den Eindruck, und auch das Ende ist für diesen Autor erstaunlich positiv.


    Fazit: wieder ein großartiger Yates-Roman, der ein wenig zu kurz ausfällt, aber auch so eine Menge Substanz aufweist und nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich überzeugt.

  • Nachdem seine Bücher weder im Original noch in Übersetzungen jahrelang nur schwer bis gar nicht erhältlich waren, veröffentlicht die Deutsche Verlagsunion nach dem Tod (1992) des 1926 in Yonkers (New York) geborenen Autors sukzessive sein Gesamtwerk – darunter auch die Übersetzung des 1978 im englischen Original veröffentlichten Romans Eine gute Schule.


    Yates, gilt als einer der größten Existenzialisten und Fatalisten der Moderne - nicht nur in den Augen des Zeit-Redakteurs, der das einmal über ihn schrieb. Dennoch fand er zu Lebzeiten weniger durch seine Romane Beachtung, sondern machte vielmehr mit Alkoholproblemen oder Abstürzen in die Psychiatrie auf sich aufmerksam. Dessen ungeachtet zählt er zu den wichtigsten Autoren der Amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Was ihn tatsächlich in seine Exzesse trieb, bleibt sein Geheimnis. Eine durch eine Scheidung der Eltern verkorkste Kindheit? Die eigene Scheidung und der damit verbundene Sorgerechtsstreit um seine Töchter? Eine schwerwiegende Erkrankung? Seine Erlebnisse als Soldat im zweiten Weltkrieg? Oder die harten Zeiten der Wirtschaftskrise? Wer weiß?


    Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller, der wir sieben Romane und zwei Erzählbände verdanken, verfasste Yates in den späten 1960ern für eine kurze Zeit Reden des US-Senators Robert Kennedy und war als Journalist und Werbetexter tätig. Sein erster Roman wurde bereits 1961 veröffentlicht. Obwohl er zunächst wohlwollend aufgenommen wurde, geriet er bald in Vergessenheit. Eben dieser Roman kam vor ein paar Jahren mit Leonardo Di Caprio und Kate Winslet unter Regisseur Sam Mendes verfilmt unter seinem deutschen Titel Zeiten des Aufruhrs ins Kino. Meine erste Berührung mit Yates.


    Bereits aus der Titulierung „großer Existenzialist und Fatalist“ kann man schließen: Kein sehr fröhlicher Film nach keiner sehr fröhlichen Romanvorlage. Überhaupt gibt es in all seinen Romanen keine fröhliche oder hoffnungsmachende Grundnote. So hoffnungsvoll vielleicht seine Figuren auch von ihrer Form von Glück träumen mögen, alle enden ohne Happy End. Ja noch nicht einmal mit etwas, das auch nur entfernt an ein Happy End erinnern könnte.


    Trostlos und trist, so ist auch Eine gute Schule aufgebaut. Das persönliche Drama und Unglück auch darin keine hoffentlich schnell vorübergehende Begleiterscheinung des Lebensalltags sondern bitterer Kern. Auch dieser Roman erzählt von der Hoffnungslosigkeit des amerikanischen Mittelstandes. Einer Klasse also, deren Leben ansonsten eher schön gemalt oder gar nicht beachtet wird. Mit einfachen, klaren Worten, ohne Schnörkel und Beschönigungen, erzählt Yates in Eine gute Schule die Geschichte des jungen William Grove, der Anfang der 1940er auf kleines, privates Internat in Neuengland kommt. Es wird gesagt, dass Eine gute Schule der persönlichste Roman Yates‘ ist. Tatsächlich spielt er in dem Zeitraum, in dem er selbst zur Schule ging. Wie viel davon autobiografisch und was schriftstellerisch erdacht ist – diese Frage kann er uns heute nicht mehr beantworten.


    Seine Hauptfigur Grove ist jedenfalls 15 und ein Außenseiter. Doch ist er das wirklich? Im Grunde sind alle Charaktere in dem Roman – und davon lernt man mit Yates einige kennen – Außenseiter. Obwohl der eine oder andere von ihnen eher auf der Gewinnerseite zu stehen scheint, gewinnt keiner von ihnen wirklich. Alle scheitern früher oder später an einer stumpfen Realität und doch überleben die meisten irgendwie. Grove kann nur dank eines Stipendiums auf diese Schule, denn sein Vater bringt das Schulgeld kaum auf. Seine Mitschüler lassen ihn das spüren, wie sie überhaupt jede Schwäche anderer gnadenlos ausnutzen. Er erlebt Erniedrigungen und Zurückweisungen, nur weil seine Mutter darauf hofft, dass ihm durch den Besuch dieser Schule die Möglichkeit gegeben wird, in höhere Kreise aufzusteigen. Etwas was ihr selbst verwehrt war. Einzig die Mitarbeit an der Schülerzeitung scheint dem Jungen einigermaßen Freude zu bereiten.


    Im Grunde zeigt sich Grove jedoch genauso berechnend wie die anderen, nutzt Vorteile wenn sie sich ergeben und lässt andere zurück, wenn er sich etwas davon verspricht. Das teils grausam anmutende, bisweilen melodramatisch und seltsam erwachsen wirkende Zusammenleben pubertierender Jungen prägt seinen Alltag.


    Doch Yates lenkt unseren Blick nicht nur auf Grove und seine Mitschüler allein. Da ist die Schule an sich, die eigentlich nur dank einer schrulligen Gönnerin überleben kann, die den Traum von einer guten Schule hat. Einer Schule, die etwas bewegt und in der Jungen sich entwickeln können. Einfach, weil sie selbst als Frau diese Möglichkeit in dieser Form nie hatte. Der Autor lässt uns auch gleichermaßen unverstellte wie flüchtige Blicke auf die Lehrerschaft und ihre Familien werfen. Denn auch diese haben ihre Probleme und Sorgen. Seitensprünge, Krankheiten, Süchte und Zukunftsängste. Nicht nur weil die Schließung der Schule droht, sondern weil es da auch noch diesen drohenden Krieg gibt. Ein Krieg der dafür sorgt, dass manche der Schülern sich freiwillig melden. Die zurückgebliebenen Schüler erhalten erste Todesnachrichten der Freiwilligen und wissen, dass sie spätestens nach Abschluss der Schule eingezogen werden, es ist nur eine Frage der Zeit.


    Über den gesamten Roman baut sich angesichts der Erlebnisse keine große Spannung auf. Tatsächlich plätschert er in seiner Tristesse gleichsam vor sich hin, ohne je wirklich langweilig zu sein. Der stellenweise flüchtige wie gleichermaßen eindringliche Erzählstil des Autors lässt den Lesefluss nicht wirklich versiegen, entwickelt sich aber für mich auch nicht in einen reißenden Strom.


    Jahre nach Kriegsende lässt Yates Grove einen Blick zurückwerfen und auch dabei wird klar, dass es zwar irgendwie weitergegangen ist, aber natürlich auch deutlich schlechter hätte kommen können. Hoffnung? Nein, die sieht anders aus. Also typisch Yates eben. Klar und irgendwie am realen Leben.



    Fazit


    Mit Eine gute Schule hält man ein bedrückendes Buch in Händen. Keines dass man einfach so nebenbei lesen sollte und kann. Wer ein Happy End liebt sollte auf alle Fälle die Finger davon lassen. Aber mal ehrlich: Wer erwartet das schon bei jemanden, der für seinen existenziellen und fatalistischen Erzählstil gerühmt wird?

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain

  • Meine Meinung:


    Anders als es die Kurzbeschreibung (Klappentext) vermuten lässt, ist der Außenseiter William Grove nicht die Hauptfigur dieses Romans. Vielmehr ist Grove nur einer von vielen Schülern an der Dorset Academy, die, so ist gleich mehrmals zu lesen, keine "richtige" Schule ist. Schuld daran ist ihre exzentrische Gründerin, die unter anderem die Teilnahme an (sportlichen) Wettbewerbe mit anderen Schulen untersagte. Dennoch ist die Dorset Academy und ihr Alltag eindeutig die Hauptfigur von - wie es heißt - Yates' persönlichstem Buch. Diese Hauptfigur verbirgt so manche kleine und große Dramen, begleitet und formt die unterschiedlichsten Persönlichkeiten und Schicksale und bleibt dennoch kühl, distanziert und unbeeindruckt von allen Ereignissen. Ob Schüler oder Lehrer, sie alle sind aus verschiedenen Gründen unglücklich und versuchen lediglich, so gut sie es können, das Beste aus ihrer Situation zu machen - eine Lebenseinstellung, die, ebenso wie der Roman, so trist ist, dass kaum Freude aufkommen mag. Der nüchterne Erzählstil hat zwar einen gewissen Reiz, verhindert aber das Aufkommen von echtem Mitgefühl. Die Geschichte wirkt so, als hätte man das Erzählte lediglich aus den Augenwinkeln wahrgenommen, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, einen zweiten Blick darauf zu werfen, geschweige denn, die Personen in ihrer Komplexität kennenzulernen. Am Ende mag der Leser deshalb doch eine Gemeinsamkeit mit der Dorset Academy zu entdecken: unbeeindruckt von allen hier geschilderten Ereignissen zu sein - was nicht heißen soll, dass ich nicht noch einen zweiten Versuch mit Richard Yates wagen werde. "Eine gute Schule" konnte mich allerdings noch nicht überzeugen.


    Von mir gibt es 6 Punkte.