Zeit der Raubtiere - Liza Klaussmann

  • Zeit der Raubtiere, Klaussmann, Liza, Orig.titel „Tigers in Red Weather“, Übersetz. Michaela Grabinger, Droemer Verlag, München, 2012, 429 Seiten, ISBN 978-3-426-19951-0


    Zur Autorin (lt. Klappentext):
    Liza Klaussmann, in den USA geboren und aufgewachsen, ist Anfang vierzig. Sie hat jahrelang als Journalistin für die New York Times gearbeitet, bevor sie sowohl in den USA als auch in England Kreatives Schreiben studiert hat. Ihr Debütroman „Zeit der Raubtiere“ wurde in 25 Länder verkauft. Die Autorin lebt heute in London, wo sie an ihrem zweiten Roman arbeitet.


    Klappentext:
    Eine Insel vor Boston: In den Monaten kurz nach dem 2. Weltkrieg können Nick und Helena kaum erwarten, dass das Leben jenseits der Einschränkungen wieder beginnt. Helena ist auf dem Weg nach Hollywood und in eine neue Ehe. Nick sehnt die Rückkehr ihres Ehemannes Hughes aus dem kriegsgebeutelten Europa herbei. Kummer und Entbehrung will sie hinter sich lassen, um endlich frei zu sein für ein sorgloses Leben.
    Doch bald beginnt die Fassade zu bröckeln. Helenas Mann ist nicht der, der er vorgegeben hat zu sein. Hughes wiederum hat die Zeit in Europa verändert. Distanziert und nachdenklich, wünscht er sich nichts mehr als ein Leben in geordneten Bahnen. Enttäuscht fügen sich die beiden Frauen den Plänen ihrer Ehemänner.
    Immerhin kann Nick an den Ort zurückkehren, den sie mehr liebt als jeden anderen: Tiger House. Gut zehn Jahre nach ihrem Weggang lebt Nick mir ihrer Familie wieder auf dem Anwesen. Einen Sommer lang versuchen sie und Helena das alte Gefühl, alles sei möglich, wiederzugewinnen. In diesem Moment der Hoffnung entdecken ihre Teenager-Kinder Daisy und Ed das Opfer eines brutalen Mordes. Alle werden von diesem Ereignis nachhaltig erschüttert. Liebe und Hass, kleine und große Lügen, Enttäuschungen und Hoffnungen werden aufgedeckt. Und jeder der Familie Derringer muss sich nicht nur den anderen, sondern vor allem sich selbst stellen.


    Meine Meinung:
    Liza Klaussmann erzählt uns die melodramatische Geschichte der dysfunktionalen Familien zweier Cousinen aus der amerikanischen Mittelklasse, Nick und Helen, aus den Perspektiven der beiden Cousinen, ihrer Kinder Daisy und Ed und der von Nicks Ehemann Hughes. Über die Einblicke und Sichtweisen der verschiedenen Familienmitglieder auf wesentliche familiäre Ereignisse der Jahre 1945 bis 1969, die teilweise in Retrospektiven erzählt werden, erschließt sich dem Leser Stück für Stück das hinter einer glänzenden Fassaden liegende, sich aus mangelnder Kommunikation, Fehlern und verpassten Chancen ergebende Lebensbild der Familienmitglieder und der Familie als Ganzes bis hin zum finalen Familiendrama. Die Beziehung der beiden einsamen und aufgrund unerfüllter Wünsch unglücklichen Cousinen Nick und Helena ist nicht nur von ihrer Zuneigung zueinander sondern auch von negativen Emotionen wie Hass, Neid, Missgunst und passiver Aggression geprägt, von denen sie sich nie befreien. Zentraler Ort des Geschehens ist in all den Jahren Tiger House, das in Martha’s Vineyard befindliche Familienanwesen zum Sommeraufenthalt.


    Liza Klaussmann baut in ihrem Debütroman „Zeit der Raubtiere“ mit der ersten Sequenz aus Sicht der unangepassten Nick zunächst eine von hoffnungsvoller Aufbruchsstimmung geprägte Atmosphäre auf, die schnell in herbstliche Melancholie umschlägt. Zunehmend verdüstert sich die Grundstimmung des Romans bei gleichzeitigem Spannungsaufbau über stille Verzweiflung, Grauen bis hin zum eskalierenden Familienereignis. Dass Nicks und Helenas Kinder im gemeinsam in Tiger House verbrachten Sommer 1959 das Opfer eines brutalen Mordes finden, ist mehr Spannungselement als Auslöser der familiären Entwicklungen der Folgejahre. Mit den sich zunehmend enthüllenden Lebenslügen und Geheimnissen der Familienmitglieder und ihres Umfelds entwickelt „Zeit der Raubtiere“ ab diesem Zeitpunkt eine Sogwirkung, die bei mir bis zum Ende des Romans anhielt, obwohl ich bereits deutliche Vorahnungen bezüglich der weiteren Entwicklungen hatte. Allen Charakteren ist gemeinsam, dass sie ständig darum kämpfen, sich ins alltägliche Leben einzupassen, von dem sie sich gleichzeitig limitiert fühlen, und dass sie keine Sympathieträger sind.


    Sprache und Erzählstil der Autorin sind flüssig, dialogorientiert, teilweise elegant und gelegentlich poetisch.


    Leider hat Liza Klaussmann ihre wesentlichen Charaktere nicht so fokussiert entwickelt, wie ich mir das als Leserin gewünscht hätte. Die gute, ehrliche Daisy ist eher klischeehaft gehalten und die beschriebene Beziehung zu Vater und Mutter scheint mehr Vehikel zu sein, um Nicks Charakter und Beziehung zu Hughes auszuarbeiten. Insbesondere der aus Sicht von Daisy geschriebene Teil erscheint mir etwas unrealistisch, da ihre Gedanken teilweise eher der einer Erwachsenen entsprechen. Auch Hughes bleibt eher blaß, insbesondere weil sein innerlicher Rückzug auf Basis seiner Erlebnisse in Europa nicht plausibel ausgearbeitet ist, insofern erscheint er eher als Instrument, um Eds Entwicklung zu beleuchten. Obwohl Liza Klaussmann bei der Entwicklung ihrer Charaktere den Schwerpunkt auf den allwissenden Ed legt, ist diese nicht in dem Maße ausgearbeitet, wie es dieser Fokus erwarten lassen würde.


    Durch das Erzählen aus fünf verschiedenen Perspektiven entstehen inhaltliche Überlappungen, die ich aber nicht langweilig fand, da jede Sicht weiteren Einblick in Motivationen, Emotionen und Gedankenwelt der einzelnen Protagonisten gibt.


    Trotz seiner Schwächen hat mich Liza Klaussmanns psychologisches Familienmelodrama „Zeit der Raubtiere“, das im amerikanischen Original unter dem auf ein Gedicht von Wallace Stevens referenzierenden Titel „Tigers in Red Weather“ erschienen ist, bestens unterhalten und ich freue mich auf den nächsten Roman dieser Autorin.


    8 von 10 Punkten

  • Das hört sich sehr interessant an. Herzlichen Dank für diese Buchvorstellung. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich kann der Rezension von Pelican nichts mehr hinzufügen. Der Roman entwickelt ein Sogwirkung, der ich mich nicht entziehen konnte. Helena berührte mich am wenigsten. Für mich war aber nicht Ed, sondern Nick die Hauptperson in diesem Roman. Ich kann dieses Buch nur jedem empfehlen.


    Von mir gibt es 9 Punkte!