Nominiert
Der Alptraum beginnt mit einem Anruf; eine Professorin für Neuere deutsche Literatur hat dich nominiert für einen dieser Preise, die eine scharfe Unterscheidung machen zwischen E und U. Neues, bislang Unerhörtes wird gewünscht und große Themen, dem Anlaß angemessen. Dich, die sonst erzählte, um gehört, schrieb, um gelesen zu werden, treibt es nun, ein Wunder hervorzubringen, eine Handlung ohne Anfang, ohne Mitte oder Ende, plötzlich zerreißt du’s – lieber gleich gar keine Handlung, Fragmente nur, nicht zusammensetzbar, Lücken dazwischen, du fügst bislang nie benutzte Wendungen, die du wieder zu Trümmern zerschlägst, so daß sich ein Puzzle ergibt, dessen Teile schon der Form nach nirgends passen, und sie stammen auch nicht nur von einem Bild. Um dich jener Ehre würdig zu erweisen, kehrst du das Innere deiner Hirnwindungen auswärts, während die Jurorin, die dich vorschlug, dich zu weiteren Umstülpungen anfeuert, das Hemd klebt dir am Rücken, von Schläfen und Kinnbacken perlt es, tage-, wochenlang, ich erkenne dich nicht mehr.
Deinen Vortrag erlebe ich im Publikum, deine Stimme, die sich sonst jeder Stimmung anschmiegen kann, jetzt schwer und lahm, das gehöre dazu, sagtest du, und als du verstummst, Verbeugung und dünnes Lächeln anzeigen, es ist vollbracht, erhebt sich vornehm verhaltener Beifall. Nicht anders als bei deinen Mitbewerbern.
Später, in der Kritikerrunde, loben die beiden Damen, die gestern abend im Restaurant am Nebentisch Haikus dilettierten, die besondere weibliche Sicht und Sprache, während andere deine Worte der letzten Spuren von Verständlichkeit entkleiden, sie einordnen in Kontexte von Atomisierung, Desorientierung, Entsubjektivierung, und dann erspürt einer nach dem anderen hier einen Mangel an erzählerischer Kraft, da einen winzigen stilistischen Faux-pas und noch einen, und nein, die Narration werde der Namensgeberin des Preises nicht wirklich gerecht.
Am Ende wird einem anderen die gerahmte Urkunde gereicht – den Scheck bekommt er im Nebenraum -, während auch dein Name Eingang findet in die Feuilletons, und das Ergebnis deiner Mühen noch Monate im Internet zu lesen sein wird, selbst wenn du das Manuskript längst zerrissen, die Datei längst gelöscht hast und wieder erzählst, was gehört, und schreibst, was gelesen wird.
©2002, I. Kammerer