Root Leeb: Hero

  • Root Leeb: Hero
    ars vivendi verlag 2012. 224 Seiten
    ISBN-13: 978-3869131757. 16,90€


    Verlagstext
    Hero, ein Vater, der versagt hat. Fünf erwachsene Kinder, die keinerlei Gefühl der Zusammengehörigkeit verbindet. Und ein Hochzeitsfest auf Mallorca, bei dem Nele, die »unsichtbare« Tochter, fehlt. Doch als Hero an Krebs erkrankt, ist es genau diese eine, die sieht, was zu tun ist. Sie akzeptiert den mitunter skurrilen Umgang ihres Vaters mit dem Sterben, konfrontiert ihn mit ihrer Liebe zu dem Nigerianer Ken und gewinnt durch ihre Entschlossenheit nach und nach den Respekt Heros. Kurz vor seiner letzten Einweisung ins Krankenhaus überreicht er ihr einen geheimnisvollen Karton. Erst nach seinem Tod soll Nele den Inhalt an Mutter und Geschwister verteilen ...
    Ein Roman vom Leben und vom Abschiednehmen: schnörkellos, ehrlich, bisweilen komisch. Und zugleich auf faszinierende Weise zart und sensibel.


    Die Autorin
    Root Leeb, geboren 1955, studierte Germanistik, Philosophie und Sozialpädagogik. Sie war zwei Jahre als Lehrerin tätig, danach arbeitete sie als Straßenbahnfahrerin in München. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin und Illustratorin in der Nähe von Mainz. Mit ihren Bildern hat sie sich vor allem im Buch- und Kalenderbereich einen Namen gemacht.


    Inhalt
    Als mittleres von fünf Kindern hat Nele Wieland es sicher nicht leicht gehabt. Den Anforderungen ihres Vaters, eines Patriarchen wie aus dem Bilderbuch, konnte keines der Kinder genügen. Alle Kinder wurden ins Internat geschickt. Von den Söhnen sollte einer Vaters Nachfolger in der Baustoffhandlung werden, einer sollte ein Studium abschließen und auch die Ehemänner der Töchter und Enkelinnen sollten hautpsächlich Herwig Wielands Vorstellungen entsprechen. (Die erste ungeplante Enkeltochter Annabelle lebte wie ein sechstes Kind bei den Wielands.) "Hero" Wielands Träume konnten seine Kinder nicht für ihn verwirklichen. Zur Hochzeit des jüngsten Wieland-Sohnes Johannes auf Mallorca ist Nele nicht gekommen und erzählt nun aus der Ferne die Familiengeschichte. Sie selbst erfüllt sich mit einem Sprachkurs in Italien einen Traum. Die Hochzeit verläuft nicht so feudal wie vermutet. Die Braut ist hochschwanger, das Hotel, in dem gefeiert wird, gehört sowieso ihrem Vater - und Hero ist schwer krank. Gerade bis zur Hochzeit hielt die Fassade der großen Familie, von der Hero sich einmal Schutz und Sicherheit erhoffte.


    Doch nun bröckelt es an allen Ecken und Enden. Hero muss sich nicht nur seiner Krankheit stellen; er hinterlässt in Betrieb und Familie alles andere als geordnete Verhältnisse. Er hat bisher weder ein Testament noch eine Patientenverfügung verfasst. Seine Schwester Josepha wurde von Hero finanziell über den Tisch gezogen; bis zu ihrem Tod sorgte er nicht für klare Verhältnisse. Ein Brief, den Josepha Nele hinterlässt, bringt Neles Familienbild endgültig zum Kippen, als sie nach Josephas Tod erkennt, warum sie, das Sandwich-Kind, sich in der Familie immer als Fremdkörper gefühlt hat. Heros Frau Agnes schwieg in der Vergangenheit meistens und flüchtete in Aktivitäten außerhalb der Familie als Stütze der Kirchengemeinde. Man könnte glatt annehmen, dass Heros schwere Krankheit für Agnes Erleichterung bringt. Hero selbst, der sich bisher nie etwas anmerken ließ, will plötzlich Ruhe, Ruhe vor Ärzten, vor Angehörigen und deren nicht enden wollenden Ratschlägen. Als Mann mit Familie hat er noch nicht einmal die Freiheit, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Nele liebt einen älteren, verwitweten Nigerianer. Für Ken sind Neles Familiengeschichten schwer zu begreifen. Warum diese Distanz in einer Familie, warum folgt Nele nicht einfach ihren Gefühlen? Aus ihrer distanzierten Position erkennt Nele als erste in der Familie, dass Hero seine Krankheit nicht überleben wird. Werden die Wielands, die unter Heros Fuchtel stets die Fassade wahren wollten, mit ihrem Familienoberhaupt über sein Sterben sprechen können?


    Fazit
    Neles Beschreibung der Familienverhältnisse aus der Ferne und in Ich-Form wirkt in kurzer, protokollarischer Sprache zunächst sehr kühl, fast schon zynisch. Es fällt schwer zu glauben, dass das Ende ihrer Illusionen sie so wenig berührt, wie sie es die Leser glauben lässt. Die Perspektiven der Geschwister und ihrer Kinder ergänzen Neles Beobachtungen zum Psychogramm einer Familie, in der eine ganze Generation vergeblich um die Aufmerksamkeit des Vaters gerungen hat. Root Leebs Charakterisierung eines Patriarchen und seines Gefolges wirkt in ihrer Klarheit vertraut aus eigenen Familiengeschichten und doch erschreckend.


    Textauszug
    "Seit Jahren sind die Kinder nicht mehr so wichtig, kurze Kommentare über ihren beruflichen Werdegang, über die Enkel und eventuell über Scheidungen. Aber darüber spricht keine gern. Dafür wird der abschätzende Blick in die eigenen Reihen wieder deutlicher. Wer von ihnen hat Übergewicht und wie viel, wer hat graue Haare und färbt sie nicht einmal, wer Krampfadern und falsche Zähne. Und wer hat welche Krankheiten. Und hier sind Familienmitglieder wieder inbegriffen. Zwar ist jetzt im Alter ein gewisses Wohlwollen an die Stelle der kleinen Gehässigkeiten getreten, haben Konkurrenz und neidvolle Vergleiche nachgelassen, aber Agnes ist doch froh, selbst gesund zu sein. Und sie wird den Teufel tun, den anderen von Hero zu erzählen." [Agnes jährliches Klassentreffen] (S. 83)


    9 von 10 Punkten

  • Wie schon der Titel sagt, ist der Hauptprota vermutlich Hero. Wie groß ist der Anteil, der Nele in diesem Roman gegeben wird? Sie finde ich ungleich faszinierender als ihren "alten Herrn".


    Ansonsten klingt es nach einem sehr traurigen Buch. Aber wieder mal eine tolle Rezi von dir. :kiss

  • Nele als Icherzählerin und Handlungsstränge über andere Familienmitglieder und Neles neuen Freund wechseln sich ab. Auf mich hat Nele wie eine Übersetzerin der Familiengeschichte iin meine Sprache gewirkt, u. a. weil sie zunächst auch räumlich Distanz zu den Ereignissen hatte. Diesen Kniff finde ich sehr gelungen, weil ich mich sonst stärker darauf konzentriert hätte, mich über den Vater aufzuregen, der seinen Kindern am liebsten ihre Rolle genau vorschreiben würde, die sie zu spielen haben.

  • Root Leeb ist verheiratet mit Rafik Schami. Zumindest war sie das, als ich sie auf einer Lesung ihres Mannes gesehen habe. Zum aktuellen Stand kann ich nichts sagen.


    Aber die Frau hatte eine sehr beeindruckende Ausstrahlung und ist neben ihrem Mann nicht verblasst. Deshalb hat sich ihr Name auch bei mir eingebrannt.