Was für ein herzliches, herzergreifendes Buch! Ich habe die Lektüre in jedem Moment zutiefst genossen, und fühlte mich inspiriert. Allerdings verstehe ich auch solche Stimmen, die das Buch ein wenig ratlos betrachten, oder die es als "seichte Nachttischlektüre" einstufen.
Man muss sicherlich ein wenig vorsichtig sein, wem man dieses Buch zu lesen gibt, und mit welcher Absicht. Schon allein der Untertitel könnte den unkundigen Leser in der Buchhandlung auf eine falsche Fährte führen: "Buddhistische Geschichten". Damit sollten wohl auch Nicht-Buddhisten angesprochen werden. Doch ich persönlich finde, dass man, wenn man das Buch rein als "Literatur", als "Geschichten" betrachtet, ein wenig an seinem Sinn "vorbei liest".
Zuerst einmal ist es ein Denkmal, dass der Autor seinem einstigen Lehrer, dem unter Buddhisten wirklich berühmten Ajahn Chah, errichtet. Wenn man von diesem Mönch weiß, erkennt man seine "Handschrift" in sehr vielen der Geschichten. Seine Art, das Leben zu betrachten, und auch seine recht furchtlose Lebensweise. Sowie sein Humor! Ajahn Brahm hat viele Jahre unter diesem wunderbaren Lehrer gelernt, und hat seine Art, den Buddhismus zu betrachten, förmlich aufgesogen. Zudem sollte man sich klar machen, dass es sich um Mönche der Theravada-Schule handelt; also einer sehr alteingesessenen, eher konservativen Richtung.
Ich würde die Beiträge auch nicht so gerne als "Geschichten" deklarieren. Es sind zudem genau 108 (!) Texte, und dem Buddhisten sagt diese Zahl natürlich etwas. 108 ist auch die Anzahl der Gebetsperlen einer "Mala", des buddhistischen Äquivalents zum Rosenkranz also. Man könnte die Texte wunderbar als Einstieg in eine tägliche Meditations- oder Kontemplationssitzung verwenden. Schon allein aufgrund ihrer Kürze haben sie oft eher den Charakter von Sinn- oder Kalendersprüchen.
Man sollte dieses Buch also auf keinen Fall von vorne bis hinten durchlesen! Dann "überfrisst" man sich. Allerdings ist das Buch sehr hübsch in thematische Abschnitte gegliedert, z. B. in Themenbereiche wie Wut, Angst, Liebe, und Vergebung. Innerhalb dieser Bereiche ist durchaus so etwas wie ein "roter Faden" zu erkennen, und der Autor nimmt bisweilen auch auf eine frühere Geschichte des Kapitels Bezug. Mein persönlicher Rat lautet also, sich pro Lese-Sitzung einen Themenbereich zu nehmen, diesen zu lesen, und dann erstmal "sacken zu lassen". Und außerdem: später immer mal wieder zum Buch greifen, weil viele der Geschichten eine wiederholte Lektüre sehr gut vertragen!
Ein wenig Vorkenntnisse über den Buddhismus, zumal den Theravada, könnte sicher nicht schaden, wenn man sich mit diesem Buch beschäftigt. Denn als "Lehrbuch" ist es sicher nicht geeignet; dafür ist es dann doch zu wenig systematisch. Aber als Füllhorn voller liebe- und humorvoller täglicher Anregungen, als Schatztruhe voller kleiner Perlen der Weisheit, ist es einfach wunderbar. Ich habe oft gelacht, und auch geweint. Insofern ist das Buch für den Nachttisch fast wieder zu schade. Für mich ist es fast so etwas wie eine "spirituelle Brotzeit", die man immer mit sich herumtragen kann.