Zum Buch:
Im Sommer 1941 verlassen die deutschen Soldaten klammheimlich Leningrad. Eine Katastrophe naht: Die Stadt wird belagert, soll dem Erdboden gleichgemacht werden. Der Großteil der Künstler und Kulturschaffenden wird evakuiert. Bis auf Dmitri Schostakowitsch, den wohl berühmtesten russischen Komponisten. Er bleibt, um seine Stadt zu verteidigen. Doch ein anderer wird zum eigentlichen Helden: Karl Eliasberg, Dirigent eines zweitklassigen Radioorchesters. Hungernd und im Angesicht des Todes führt Eliasberg mit seinem Orchester Schostakowitschs »Siebte Symphonie« auf. – Ein hochmusikalischer, bewegender Roman über zwei beseelte wie getriebene Männer, die der Kälte einen humanen Klang abringen. Die Symphonie des Winters Es ist eine Zeit, in der alle Musik gefriert. Doch im Kopf eines Mannes entsteht eine Symphonie, die den Menschen im belagerten Leningrad Mut und Hoffnung geben kann. Allerdings bedarf es eines todesmutigen Dirigenten, damit das Werk erklingen kann.
Die Autorin:
Die Schriftstellerin und Kritikerin Sarah Quigley, geb. 1967 in Neuseeland, promovierte in Literatur an der University of Oxford. Sie veröffentlichte Kurzgeschichten und Gedichte, wofür sie zahlreiche hochkarätige Auszeichnungen erhielt. »Der Dirigent« ist ihr vierter Roman und ihr erstes Buch auf Deutsch. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Berlin.
Übersetzt wurde der Roman von Bettina Abarbanell.
Meine Meinung:
Gebundenes Buch, für meine Begriffe ein sehr schöner Schutzumschlag.
Insgesamt 398 Seiten, davon gehören dem Roman 383. Es schließen sich an Danksagungen, ein lesenswerter, weil sehr informativer Anhang, der über Dmitri Schostakowitsch, die Leningrader Sinfonie, die Belagerung Leningrads zu einem Interview mit Sarah Quigley führt.
Der Erstauflage des Buches liegt eine CD bei: Die 7. Symphonie wird gespielt vom Russian Philharmonic Orchestra unter Dmitri Jablonski (Spieldauer 75:17).
1941, Leningrad: Eine Stadt im Würgegriff deutscher und finnischer Truppen, dem Untergang bzw. der vollständigen Vernichtung preisgegeben. Eingeschlossen mehrere Millionen Menschen, deren Leben immer mehr zum Leiden und Sterben wird. Unter ihnen, sich zunächst einer Evakuierung verweigernd, Dmitri Schostakowitsch mit seiner Familie, mittendrin auch sein Freund Nikolai Sollertinski mit Tochter und Schwägerin, mittendrin auch Karl Eliasberg mit seiner Mutter. Über diese und einige andere Menschen in der bedrängten Stadt schreibt Sarah Quigley, beschreibt einen Teil des Lebens dort, familiäre und andere Bedingungen, Partystimmung und Hunger, Ausharren und Verteidigung. Drei Stränge, die den Männern folgen, sich hin und wieder berührend, dann wieder parallel verlaufend: Ein Komponist, berühmt und gefeiert, ein Geiger und Lehrer am Konservatorium, ein Dirigent nicht unbedingt der ersten Garde.
Die historischen Gegebenheiten bilden den Rahmen für den Roman, in dem Sarah Quigley für kurze Zeit drei Männern folgt. Es gibt berührende Momente in dem Buch, die für mich schönsten gehören Dmitri Schostakowitsch dann, wenn in seinem Kopf die Melodien zur Leningrader Symphonie entstehen, sie gehören auch der manchmal recht altklugen, hochmusikalischen Tochter von Nikolai Sollertinski. Es gibt Momente, in denen mich fror, beispielsweise wenn Schostakowitsch sein Komponieren über alles andere stellt, auch in höchster Gefahr, wenn über die Einsamkeit Karl Eliasbergs berichtet wird.
Sarah Quigley erspart dem Leser nichts, sie schildert eindringlich den Hunger und zu was er die Menschen treibt, die Angst, den eisigen Winter und die Bombadierungen, körperliche und seelische Verletzungen. Die Not, das Leiden ist allgegenwärtig, der Krieg nicht auszublenden. Sie verschweigt aber auch nicht die Gesten der Solidarität, kleine Liebesgesten und -gaben.
Den Roman habe ich mit großem Interesse gelesen, allerdings bin ich nicht mit allen Protagonisten warm geworden. Mein Eindruck war: Sarah Quigley wollte die Geschichte der Leningrader Symphonie schreiben – was ihr in meinen Augen sehr gut gelungen ist. Die Gedanken des Komponisten zu den einzelnen Sätzen der Symphonie so in die Romanhandlung zu integrieren, wie sie das getan hat, habe ich als konsequent und logisch empfunden – vielleicht helfen diese Stellen gar dem einen oder anderen Hörer der CD, dieses doch komplexe Werk besser zu verstehen. Mit einem Wort: Die „Hauptfigur“ des Romans ist für mich die Musik; die ganz große Stärke des Buches liegt in den Szenen und Passagen, die ihr gehören.
Mit der Geschichte der Leningrader Symphonie verbunden sind die daran beteiligten Menschen, sei es der Komponist, seien es die Musiker oder der Dirigent. Die Arbeit dieser Menschen, die kleinen und großen Reibereien im Orchester, die Schwierigkeiten, die eine Aufführung angesichts von Hunger und großem Leid mit sich bringen, auch das alles darzustellen habe ich als gelungen empfunden.
Die Figuren des Romans sind mir bis auf ganz wenige Ausnahmen allerdings trotz allen Elends, aller Not und trotz etlichen Mitgefühls beinahe fremd geblieben. Für mich sind sie „nur“ Teil der Geschichte der Leningrader Symphonie, sie gehören dazu, mehr nicht. Einzelne Szenen berührten mich durchaus, aber Sarah Quigley hat mich mit ihren Personendarstellungen nicht unbedingt überzeugt, sie hat mich trotz aller dramatischen Situationen nicht auf ihre Seite ziehen können. Was ich der Autorin aber hoch anrechne, ist die Vermeidung von billigen Happy Ends, Gelegenheit dazu hätte sie mehrfach gehabt. So bleiben die Möglichkeiten in jede Richtung, es bleiben Hoffnungen für die geschundene Stadt und ihre überlebenden Bewohner. Und es bleibt die 7. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch, ihre Geschichte und die Geschichten, die sie erzählt.
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