Die deutsche Sprache: Irrungen und Wirrungen

  • Manchmal bin ich gern Korinthenkackerin*g* Aber ich will ja nicht verkacken :lache


    Wie würdet Ihr folgenden Satz auffassen, wenn man ihn wörtlich nimmt?:
    "Wir erarbeiten gemeinsam für Sie realistische Ziele in Einzelgesprächen."


    Mir ist klar, eigentlich ist gemeint: gemeinsam mit Ihnen (für Sie).


    Aber so, wie es da steht, meint es doch: wir erarbeiten gemeinsam (im Team) für Sie realistische Ziele in Einzelgesprächen (der Teammitglieder untereinander). Und Sie werden nicht gefragt. Oder? Also, wenn man es einfach nur wörtlich nimmt und nicht überlegt, was die eigentlich sagen wollten?

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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  • Der Satz ist allgemein sehr, sehr unglücklich formuliert, wie ich finde. Ich weiß ja nicht, woher er stammt, aber für mich hört sich das auch so an, als würde ein Team von Profis Ziele für mich erarbeiten. Außerdem stört mich das "für Sie realistische Ziele". Ich bin mir nicht ganz sicher, wo da die Betonung liegt. Wobei ich noch dabei bin, mir zu überlegen, ob es einen Unterschied machen würde. Bezieht sich das realistisch jetzt auf Sie oder auf die Ziele? Im Ergebnis ist es vermutlich dann egal.

  • Danke für Deine Antwort. Da bin ich ja froh, dass nicht nur mir dieser Satz nicht behagt. Er stammt aus einer Werbebroschüre für eine Maßnahme, die Arbeitsamt oder Rentenversicherung einem anbieten zur beruflichen Reha - woher auch sonst :lache


    Und das mit der Betonung ist mir auch aufgefallen, aber ich konnte das nicht so gut formulieren wie Du, was mich genau dran stört. Klingt irgendwie so "wir bestimmen für Sie, was für Sie realistisch ist. - Sie wissen das ja eh nicht selbst."

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • der Satz ist schlecht formuliert, dabei wollten sie nett sein. Wirklich.


    Gemeint ist: Ziele, die für Sie realistisch sind. Und Sie dürfen dabei mitsprechen = gemeinsam.


    Die Leserin. und damit die künftige Kundin, ist angesprochen. Das 'Wir' sind tatsächlich der Träger der Maßnahme und die Kundin.
    'Wir erarbeiten gemeinsam' heißt: Träger und Kundin.
    Die Ziele werden erweitert durch 'Für Sie = Kundin realistisch.
    Da mischen sich stilistisch amtlich/gehoben klingende Konstruktionen mit Partizip mit dem Zwang zur Kürze.
    Ergebnis: Doppeldeutigkeit.


    Was bei der Erstellung solcher Broschüren nie bedacht wird, ist, daß sich die KundInnen nicht freiwillig melden bei so etwas, sondern mehr oder weniger gewzungen sind, sich damit auseinanderzusetzen. Unter solchen Bedingungen klingen die besten Worte falsch.
    Wenn sie hakelig formuliert sind, ist gar nichts mehr zu retten. Klar, daß man sich eingeengt fühlt und nur das Schlimmste herausliest.
    Das bedenkt die Gegenseite aber nicht. Deswegen könnten sie den Text hundertmal lesen und würden ihn immer noch nett finden. Weil sie sich nett finden. Ey, so ein schönes Angebot kann man doch nicht falsch verstehen?
    :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Interessieren steht mit Akkusativobjekt (pseudotransitiv)


    Wenn man den Satz umdreht, lautet er:
    Niemanden hat der Schaden interessiert.


    Niemanden - Akk. = Objekt
    der Schaden - Nom. = Subjekt


    Bedeutung: der Schaden erweckte das Interesse von keinem.


    Dein Satz lautete:


    Den Schaden hat niemand interessiert.


    Niemand hat den Schaden interessiert.


    Niemand - Nom. = Subjekt
    den Schaden - Akk. = Objekt


    Bedeutung: Niemand erweckte das Interesses des Schadens.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Mal ein Thema was mich bei der beruflichen Kommunikation mit Schweizern regelrecht verwirrt hat:


    In der Umgangssprache gibt es die Angewohnheit gelegentlich einem Satz ein angehängtes "... ,oder?" anzuhängen. Für mein deutsches Sprachempfinden bedeutet das dann soviel, dass man sich beim Gegenüber versichern will, dass man sich auf einer gemeinsamen Gesprächsbasis befindet.


    Etwa "Da sind wir doch einer Meinung, oder?" Eigentlich hauptsächlich benutzt, um dem Gegenüber zu signalisieren, dass er jetzt auch mal was sagen soll.


    Der Schweizer und die Schweizerin benutzt das aber offenbar eher im Sinne von "nicht wahr", erwartet gar nicht, dass man etwas dazu sagt, meist sogar im Gegenteil, man duldet an der Stelle keinen Widerspruch.


    "Das habe ich ihnen doch schon hundert Mal gesagt, oder?"
    "Das kann ich doch einfach von ihnen erwarten, oder?"


    Immer wenn ich nach solchen Sätzen Luft hole, um etwas einzuwenden, muss ich feststellen, dass ich hier gar nicht um Bestätigung gebeten werde sondern dass ich gefälligst zu akzeptieren habe was da gesagt wird.


    Sehr gewöhnungsbedürftig. Aber nach ner Weile lernt man damit umzugehen. :wave


    Irgendein Eidgenosse(-genossin) da, der(die) das bestätigen kann?

  • Zitat

    Original von arter
    Sprich mal mit einem Schweizer, dann wirst du irre, oder.


    Das trifft mich jetzt aber sehr... :-( :grin


    Es kommt auf den Dialekt an, der gesprochen wird. Es ist also nicht so, dass alle Schweizer, das "oder" so oft benutzen. :-)

  • arter :
    Kein Problem! Ich bin hart im nehmen... :knuddel1


    Aber so rein gefühlsmässig, passt das "oder" bei deiner Aussage nicht wirklich hin. :lache


    Und bei der Schweiz gilt auch: klein aber oho! :-] In der Tat sind die Dialekte zudem sehr, sehr unterschiedlich.

  • Danke für den interessanten Artikel.


    Ja, Vorname und siezen ist seltsam, sehr ungewohnt.


    Wobei ich auch den Eindruck habe, dass dieses übertrieben gewollt-lockere Du in manchen Ketten (egal ob Ikea, Starbucks usw.) nicht bei allen Kunden gut ankommt und sich damit auch nicht alle Angestellten wohlfühlen.


    Und ja, es gibt Menschen, die mir das Du angeboten haben, ich nicht ablehnen konnte es und mir später diese distanzschaffende Anrede zurückgewünscht habe.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.