Die deutsche Sprache: Irrungen und Wirrungen

  • Noch die Aufklärung zum fliehen/flüchten. Es ist, wie Groupie richtig sagte, vom Antrieb zu bewerten. Wenn ich einer unmittelbaren Bedrohung an Leib und Leben entgehen will, muss ich flüchten. Das ist eine erzwungene Handlung und meistens ziemlich unkoordiniert. Wenn ich aus eigenem Antrieb handle, etwa um einer Gefahr auszuweichen, oder mich der Strafverfolgung zu entziehen, dann fliehe ich.


    Die Eselsbrücke mit den Flüchtlingen hilft aber nur bedingt. Z.B. In einer Bürgerkriegsregion müssen Personen flüchten, wenn sie z.B. von einer Soldateska aus ihren Dörfern vertrieben werden. Personen, die z.B. in Nachbardörfern davon gehört haben und nicht darauf warten wollen, bis ihnen das gleiche Schicksal widerfährt, fliehen vor der Verfolgung. Im Endeffekt sind aber beide Gruppen auf der Flucht und gelten als Flüchtlinge. Die Deutsche Sprache kennt da den Unterschied nicht mehr, es giebt keine "Fliehlinge" :grin


    Maikaefers Beispiel mit dem Stechinsekt würde ich auch als "fliehen" bezeichnen, es sei denn es ist eine Killerbiene, deren Stich sofort tödlich ist oder ein ganzer Bienenschwarm der über mich herfällt. Bei normalen Viechern kann man ja auch ganz ruhig sitzen bleiben. Die Entscheidung auszuweichen treffe ich dann bewusst.



    Edit ändert Rechtschreibfehler, das sollte ich hier wohl auf jeden Fall machen.

  • Ich habe das, wenn ich mich recht erinnere, mal so gelernt:


    Wir wissen es nicht genau, aber anscheinend hat arter seinen nick von "ART"="Kunst" abgeleitet, deutet also an, ein Künstler zu sein.


    "Arter" kommt (nur) scheinbar von "Künstler", in Wirklichkeit heisst der Mensch dahinter ARnulf TERrible. :lache


    (Ich will nicht ausschließen, dass ich das gelegentlich verwechsele) :wave


    EDIT: @ melancholy: Deshalb bin ich ja auch vehement gegen auf ein "S" endende Vornamen. Peters Hemd oder Paulas Bluse geht gut, aber Klaus würde im gleichen Fall zu doofen Zischlauten oder zu Klaussens Hose führen...
    :-) :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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  • Dann jetzt die Prüfungsfrage:


    a) Heute ist Neumond. Der Mond ist scheinbar/anscheinend verschwunden.


    b) Ich habe heute verschlafen. Ich war gestern scheinbar/anscheinend zu lange bei den Eulen unterwegs.



    maikaefer, deine Nickdeutung ist ja eine Ungeheuerlichkeit oder sollte ich sagen eine Terribilität :lache

  • a=scheinbar, denn in Wirklichkeit ist er ja ganz weg*)


    b=anscheinend, denn theoretisch könntest du auch wachgelegen und über dieses schöne Beispiel nachgegrübelt haben.


    :grin:wave


    EDIT: ganz weg natürlich nur aus unserem Sichtfeld.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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  • maikaefer , die Antworten sind richtig, aber die Erklärung von a) nicht.


    Der Mond ist überhaupt nicht weg. Er ist genauso da wie sonst, sogar in unserem Sichtfeld. Der Unterschied ist, dass er nicht von der Sonne angestrahlt wird und deshalb scheinbar verschwunden ist.


    Als Faustregel, wenn man sich unsicher ist:
    Verwende nie "scheinbar", fast immer ist "anscheinend" richtig. "Scheinbar" meint immer, dass in Wirklichkeit das Gegenteil von dem richtig ist, was die Aussage suggeriert. "Anscheinend" stellt lediglich eine Vermutung an.

  • Zitat

    Original von arter
    Als Faustregel, wenn man sich unsicher ist:
    Verwende nie "scheinbar", fast immer ist "anscheinend" richtig. "Scheinbar" meint immer, dass in Wirklichkeit das Gegenteil von dem richtig ist, was die Aussage suggeriert. "Anscheinend" stellt lediglich eine Vermutung an.


    Faszinierend. Ich wusste bislang nicht mal, dass es da einen semantischen Unterschied gibt :rolleyes



    Und wie sieht's aus mit offenbar?

  • Ja, das war dumm ausgedrückt von mir.


    Abgesehen davon IST der Mond da. Sogar der Mann-im-Mond:


    Anwesende:
    arter, baro, Berta, Bouquineur, imandra777, Josefa, killerbinchen, Lenya, maikaefer, Mann-im-Mond, melancholy, Mooney, Rosenstolz, sapperlot, saz, Sonne79, Voltaire
    40 Gäste.


    So, ich bin jetzt weg. Scheinbar, wenn ich uneingelogt da bleibe. Anscheinend... Nee, genug jetzt... :lache :wave :wave


    EDIT
    @ melancholy


    Es gibt eine offenbare Unrichtigkeit,wenn du erkennen kannst, dass es falsch sein muss: Der Moderator steht eindeutig pudelnass unter einem Regenschirm vorm Funkturm und beklagt, dass Berlin seit Wochen keinen Regen ab bekam.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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  • Ja, das wissen viele nicht. ich habe auch erst durch Bastian Sick davon erfahren. :grin Seitdem nerve ich meine Umwelt damit:


    Meine Frau: "Du hörst mir scheinbar nicht zu"
    Ich: "Stimmt, ich hab nur so getan, als ob ich dir nicht zuhöre" :lache
    Hat sie leider nicht verstanden :gruebel


    "Offenbar" bedeutet, dass es sehr wahrscheinlich zutreffend ist. Also etwas sicherer als "anscheinend""

  • Ach, bei uns im Rheinland sind Frauen auch gerne sächlich ("Et Maria"), und dementsprechend ist es dann eben auch "(Et Maria) sin Tochter". Das geht schon.


    Was ist eigentlich, wenn man sagt: "Es scheint, als ob xyz"? Meiner Meinung nach müsste das mit beiden Bedeutungen gehen, oder?


    Und haben wir uns eigentlich schon über die rheinische Verlaufsform unterhalten? Ich benutze die ja viel und gerne... ("Ich bin am Staubsaugen"). Natürlich nur gesprochen, schon klar.

  • Zitat

    Original von melancholy
    Daraus folgt: "mein Auto ist auf dem Parkplatz gestanden" (wobei das Perfekt hier ohne Frage nicht schön ist, egal ob mit haben oder sein gebildet).


    Mich würde interessieren, was dir an "mein Auto hat auf dem Parkplatz gestanden" nicht gefällt. :wave Für mich hört sich das ganz normal an und keineswegs nach schlechtem Stil oder so.


    edit @ amoeba: Die Form ist ganz, ganz gruselig ;-). Hier kriegt man das leider auch überall zu hören. :wave


    edit 2: Hier kann man übrigens nachlesen, wann die Vergangenheit mit haben und wann mit sein gebildet wird.

  • amoeba
    Stimmt, Bei "es scheint als ob" ... legst du dich nicht fest. Kann man immer dann sagen, wenn man sich nicht sicher ict, ob der Schein trügt oder nicht. Die rheinische Verlaufsform habe ich in meiner Kölner Zeit kennen gelernt. Ich habe das Gefühl, dass sie gerade deutschlandweit "am überschwappen" :lache ist.


    Groupie , melancholy
    Wie gesagt, das ist regional unterschiedlich. Für das süddeutsche Ohr klingt das vielleicht wirklich schrecklich. Es ist aber gültige deutsche Grammatik. Man merkt an solchen Details in Büchern häufig aus welcher Region der Autor stammt. manche süddeutsche Autoren passen sich an (vielleicht auch gezwungenermaßen durch das Lektorat), aber oft bringen sie es nicht übers Herz.


    Edit: Zitat aus Groupies Link


    Zitat

    Die Verben stehen, liegen, sitzen sowie viele von ihnen abgeleiteten Verben werden im nördlichen deutschen Sprachraum meist mit haben, im südlichen deutschen Sprachraum meist mit sein verwendet.

  • @ Arter: Es ging hier ja nicht um das "HAT gestanden", sondern um das Perfekt an sich, wenn ich das so richtig verstanden habe. Aber im gesprochenen Deutsch wird doch das Perfekt für alles verwendet, das in der Vergangenheit quasi schon abgeschlossen wurde. Oder nicht?

  • Ach, das verstand ich tatsächlich so. Wenn es um die Verwendung des Perfektes anstelle des Präteritums ging, ist das natürlich ein anderes Thema. Die Perfektform für die einfache Vergangenheit zu nehmen, setzte sich ja erst in den letzten 50 Jahren durch. Meine Großmutter redete immer noch im lupenreinen Präteritum, was sich für uns Enkel immer ziemlich altmodisch anhörte.


    In der "reinen Lehre" ist das auch richtig. Perfekt verwendet man eigentlich nur für eine gerade abgeschlossene Handlung. "Ich habe geschrieben" sagst du demnach eigentlich nur, wenn du den Stift gerade hingelegt hast. Alles was länger her ist heißt dann "Ich schrieb" ... Natürlich redet so keiner mehr. Schade eigentlich. Hier hat uns das Englische ausnahmsweise etwas an Kultur voraus.

  • Wie gesagt, da hat sich die Sprache gewandelt. Die letzten 50 Jahre war wahrscheinlich zu kurz gefasst, es sind wohl schon um die 100 oder noch mehr) Meine Oma hat noch so gesprochen. Kann auch sein, dass es schon länger nicht mehr üblich ist und das zu ihrer Jugendzeit auch nur noch regional (sie stammte aus Pommern) gebräuchlich war.

  • Groupie : Nun, schlecht gefallen kann man so nicht sagen. Ich sage wohl auch "Das Auto ist da und dort gestanden", aber so aus dem Kontext heraus klingt es für mich ziemlich komisch. Mag auch daran liegen, dass ich in der Schriftsprache doch auch mehr aufs Präteritum zurückgreife.


    arter : ach, dann ist das auch in Norddeutschland so, dass man v.a. das Perfekt verwendet? Das wusste ich allerdings nicht. War bislang der Meinung, dass das eher ein südlicheres Phänomen ist.





    Aber ich mag den Thread, hier lernt man ständig was dazu :grin

  • Ich habe das mal gegoogelt. Hier ist eine Erklärung zum Präteritum bzw. Imperfekt vs. Perfekt.


    Folgende Aussage ist meiner Meinung nach nicht korrekt:


    "In der Allgemeinsprache wird im Norden des deutschen Sprachraums eher das Präteritum, im Süden eher das Perfekt verwendet."


    Ich wohne ja mehr im Norden als im Süden und hier spricht niemand im Präteritum. Es sei denn, es geht um sein und haben. Damit verhält es sich, wie hier beschrieben. Das finde ich sehr einleuchtend.


    Dann habe ich noch das hier gefunden.


    Heute Abend werde ich eine Germanistin dazu befragen.

  • Na ja, in deinem zweiten Link steht ja auch, dass es sich in den letzten 50 Jahren auch im niederdeutschen Raum verbreitet hat. Und ich glaube es sind auch schon deutlich mehr als 50 Jahre.


    Jetzt denke ich aber über folgenden Satz nach, darauf bin ich bei dem Beispielsatz für das Hilfsverb (hat oder ist) gekommen.
    Normalerweise würde ich so sprechen:


    "Ich habe gestern mein Auto gesucht, es stand aber direkt vor meiner Haustür."


    Wogegen
    "Ich habe gestern mein Auto gesucht, es hat aber direkt vor meiner Haustür gestanden."


    sage ich nicht. Wahrscheinlich kaum jemand. Wo ist da eigentlich der Unterschied? Warum verwende ich da rein gefühlsmäßig dann doch wieder das Präteritum?

  • Ich habe den zweiten Link nur in Bezug auf haben und sein angeführt. Es gibt nämlich wirklich nicht viele Verben, die ich im Präteritum benutze - also in der gesprochenen Sprache.


    Und zu deinem Beispiel: Ich würde beide Sätze sagen. Ich hätte da auch keine Präferenz. Wovon es abhängt, das kann ich dir nicht sagen. Aber Satz 1 und Satz 2 sind hier beide gleich verbreitet. Dementsprechend ist stehen auch ein Verb, das ich im Präteritum benutze. Ebenfalls sitzen und liegen.