Der ungeladene Gast - Sadie Jones

  • Originaltitel: The Uninvited Guests
    DVA 2012, 314 S.


    Über den Inhalt:
    Ein schöner Frühlingsabend im Jahr 1912: Es ist Emerald Torringtons zwanzigster Geburtstag. Das schon etwas heruntergekommene Sterne-Anwesen blitzt und glänzt, ein großes Dinner mit Freunden der Familie ist geplant. Doch ein Zugunglück, nur einige Meilen entfernt, sorgt dafür, dass eine Schar derangiert aussehender Passagiere vor der Tür steht und Einlass begehrt. Von nun an läuft nichts mehr nach Plan – und dann taucht auch noch ein Nachzügler auf, der ein dunkles Geheimnis mit der Hausherrin teilt. Während draußen ein nächtlicher Sturm heraufzieht, beginnen drinnen Anstand und Dekorum davonzuwehen und dem Chaos den Weg zu bereiten …
    (Quelle: randomhouse.de)


    Über die Autorin:
    Sadie Jones, 1968 in London geboren, arbeitete als Drehbuchautorin, unter anderem für die BBC. 2005 verfilmte John Irvin ihr Drehbuch „The Fine Art of Love“ mit Jacqueline Bisset in der Hauptrolle. Ihr preisgekröntes Romandebüt „Der Außenseiter“ (2008) wurde in Großbritannien auf Anhieb ein Nr.-1-Bestseller und war auch in Deutschland ein großer Presse- und Publikumserfolg. „Der ungeladene Gast“ ist ihr dritter Roman.


    Meine Meinung:
    Ich selbst habe im Buch keinen Hinweis auf die exakte Jahreszahl gefunden, aber die Verlagsseite liefert den Hinweis auf das Jahr 1912. Obwohl das Cover diese Aussage nicht unterstützt, würde ich die Handlung auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ansiedeln.
    Schauplatz ist ein altes englisches Herrenhaus, bewohnt von Edward Swift, seiner Ehefrau Charlotte sowie Clovis, Emerald und Imogen Torrington, den Kindern aus Charlottes früherer Ehe. Während Edward sich aufmacht, einen Kredit zu besorgen, um den drohenden Verlust des Hauses abzuwenden, bereitet die Familie eine Party für Emerald vor, die an dem Tag ihren zwanzigsten Geburtstag feiert.
    Doch dann treffen nicht nur die Partygäste ein, sondern einige Überlebende eines nahe gelegenen Zugunglücks wollen untergebracht werden. Als auch noch ein verspätet eintreffender Reisender, Charles Traversham-Beechers, hinzukommt, ist der Frieden des Abends dahin, um nicht zu sagen: die Hölle bricht los! Der Spaß an der Geschichte wäre verdorben, würde ich hier noch mehr vom Inhalt erzählen, das muss man einfach selbst gelesen haben.


    Die Geschichte beginnt ruhig mit einer melancholischen Stimmung im Gedenken an den verstorbenen Patriarchen Horace Torrington, wechselt dann zu geschäftiger Vorfreude auf das Eintreffen der Gäste und die abendliche Party, um bei der Erwähnung des Zugunglücks leicht umzuschlagen. Die Ankunft der ungebetenen Reisenden markiert den Abstieg in immer surrealer erscheinende Abgründe. Das Tempo beschleunigt sich, während sich die Gesellschaft auf eine zunehmend skurriler werdende Art durch den Abend und in Richtung der überraschenden Auflösung bewegt.


    Die Personen sind sehr lebendig geschildert und auf der Sympathieskala geht es mit ihnen munter rauf und runter. Im Verlauf der Geschichte entfalten sie ein erstaunliches Potenzial an Charaktereigenschaften, die mich schlicht verblüfft hat.

    Der Roman ist amüsant, böse, spannend, ein bisschen gruselig mit geschickt eingestreuten subtilen Anspielungen auf Geschlechterrollen und Klassenzugehörigkeit.


    „Der ungeladene Gast“ entsprach überhaupt nicht meinen Erwartungen, aber die Kombination aus Edwardianischer Sittenkomödie und surrealistischer Geistergeschichte mit einer Prise Romantik hat mich äußerst gut unterhalten. Man könnte auch sagen: eine phantasievolle Kreuzung aus Downton Abbey und Twilight Zone. Ein echtes Lesevergnügen!


    Ach ja: Das Cover passt meiner Ansicht nach nicht gut zum Buch. Es bereitet einen in keinster Weise darauf vor, was einen im Inneren erwertet.

  • Charlotte lebt mit ihren Töchtern Emerald, Imogen, mit ihrem Sohn Clovis, mit ihrem Lebensgefährten Edward und mit ein paar Bediensteten auf dem Landhaus Sterne. Doch nach dem Tod ihres Mannes können sie sich das Haus nicht mehr leisten. So beschließt Edward in die Stadt zu gehen um das Geld zu besorgen.
    An diesem Abend möchte Emerald eine kleine Party zu ihrem 20. Geburtstag geben. Doch plötzlich tauchen eine Menge Leute auf, deren Zug in der Nähe entgleist ist. Und noch ein ungeladener und seltsamer Gast taucht auf, der das Leben der Bewohner von Sterne für immer verändert…


    Ein Buch bei dem nichts so ist wie es scheint.. Gut mehr als die Hälfte des Buches kann man noch von einer gewöhnlichen Familiengeschichte ausgehen, doch plötzlich wendet sich das Blatt komplett…
    Sadie Jones hat es geschafft mich total zu überraschen. Ob positiv oder negativ konnte ich im ersten Moment nicht genau sagen, da ich die Geschehnisse am Ende doch ziemlich eigenartig fand. Dennoch habe ich mich sehr gut unterhalten gefühlt.
    In diesem Buch geht es nur um diesen einen Abend, nachdem nichts mehr so ist wie vorher. Doch die Personen sind liebevoll gezeichnet und ich habe das Buch ziemlich schnell gelesen gehabt.
    Der Schreibstil der Autorin ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Sie verwendet viele Fremdwörter und benutzt lange und verschachtelte Sätze. Doch sobald ich mich daran gewöhnt habe, ging es dann besser.
    Ansonsten gibt es nur das Ende zu bemängeln: Edwards Rückkehr und seine Nachricht betreffend dem Haus habe ich nicht ganz verstanden..


    Fazit: Eine seltsame, humorvolle, böse aber auch liebevolle Geschichte, in der nichts so ist wie es scheint. Ich vergebe 8 von 10 Punkten.

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

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  • Und hier noch meine Meinung:


    Der Einband des vor mir liegenden Romans ist in einem warmen Rot gehalten. Er zeigt vorne eine Frau mit aufgestecktem Haaren in einem roten Kleid von hinten, wobei das Muster des Kleides und das Muster rot tapezierten Wand, vor der sie steht, identisch ist. Automatisch dachte ich dabei „das könnte jeder sein“ und faktisch passt es damit zu den lebendig wirkenden Romanfiguren, die tatsächlich durchaus neben uns wohnen könnten – Zeitrahmen hin oder her. Der Titel der deutschen Übersetzung ist stimmig und doch auch wieder nicht. Denn tatsächlich erscheint zu der eigentlich eher klein angedachten Geburtstagsfeier Emeralds nicht nur ein ungeladener Gast, sondern gleich mehrere. Allerdings gehen die anderen Überraschungsbesucher eher unter.


    Was erwartet man beim Betrachten des Buches? Oder nach dem Lesen des Klappentextes? Ein Drama? Ein historisches Sittengemälde? Ein Art Gaslicht-Atmosphäre? Einen psycho-pathischen Daueramoklauf und permanente Gänsehaut vom bloßen Umblättern? Es könnte alles sein. Zumal man bei Titeln der Deutschen Verlags Anstalt sicher sein kann, dass es etwas ist, das sich angenehm vom üblichen Mainstream abhebt.


    Mit Der ungeladene Gast bekommt man auch prompt einen Hauch Mystery, reichlich (schwarzen) Humor und feine Ironie. Psychologisch geschickt platzierte Seitenhiebe und Sticheleien mit einem unverstellten Blick auf eine gleichermaßen skurril versnobte wie teil-weise verarmte feine Gesellschaft. Auf verkrustete Strukturen und wenige Möglichkeiten. Auf gewünschtes Sein und tatsächlichen Schein.


    In Jones Roman gibt es fast ein Dutzend näher beschriebener Charaktere. Trotz dieser Fülle bleibt keiner von ihnen eindimensional. Sie zeigen sich vielschichtig und letzten Endes trotz aller Fehler nicht ganz so auf sich selbst bezogen sind, wie sie anfänglich wirken. In den acht Kapiteln zeigt sich, dass manches aus purem Eigennutz und anderes dann doch eher aus Eigenschutz geschieht. Fast alle lassen sich erschreckend leicht manipulieren und gewinnen dadurch noch an Echtheit.


    Und so wird man mit eher leisen Tönen durch die Geschichte gezogen. Direkt hineingezogen hat es mich zugegebenermaßen nicht in Jones Roman – dafür gab es einige zu vorhersehbare Wendungen. Dennoch konnte ich das Buch nicht einfach weglegen. Denn zusätzlich zu den vorhersehbaren Wendungen kamen beim Lesen auch Fragen auf. Die wollten beantwortet werden, konnten es aber nicht gleich, da die Autorin mehrfach teils humorvolle, teils bitterböse oder arrogant wirkende Ausweichmanöver startete und vom eigentlich Offensichtlichen wegführte.


    Da ist eine scheinbar ganz normale Familie. Der Stiefvater macht sich auf, Gelder zu besorgen, um das Anwesen und den Lebensstandard seiner angeheirateten Familie zu be-wahren. Ein finanziell etwas in Schieflage geratenes Familienidyll? Nicht ganz, denn seine Stiefkinder bilden sich viel auf sich ein und lehnen ihn ab. Jedenfalls wird das im Bezug auf Emerald und ihren Bruder Clovis deutlich. Imogen, Smudge genannt, das dritte Kind im Bunde bleibt größtenteils sich selbst überlassen und kann ihre liebenswert kindlichen und doch sehr exzentrischen Einfälle - etwa ein Pony in ihr Zimmer zu bringen – in die Tat umsetzen. Emeralds Mutter Charlotte offenbart sich größtenteils als verantwortungslose, egoistische, ja oberflächliche Frau. Der reiche Nachbar John wirkt engstirnig und bigott, die ankommenden Freunde Ernest und Patience dagegen bodenständig und verlässlich. Da gibt es die verhärmte Haushälterin Florence und natürlich ist da noch Der ungeladene Gast Charlie Travesham-Beechers.


    All das wird genauso leicht und fast spielerisch erzählt wie die Ankunft der verunglückten Zugreisenden, die dringend ein Quartier für die Nacht brauchen. Das bekommen sie zwar, wirkliche Zuwendung und Versorgung erfahren sie jedoch nicht, da es sich nur um Passagiere der dritten Klasse handelt, die man in den Augen der Familie getrost übersehen kann. Zwar lässt Jones das eine oder andere Mal so etwas wie ein schlechtes Gewissen bei dieser aufkommen, wirklich hilfsbereit wirkt sie jedoch nicht, steht doch immerhin Emeralds Geburtstagsfeier an, die ihre absolute Aufmerksamkeit verdient. Dem verspätet eintreffenden Zugreisenden Travesham-Beechers der ersten Klasse geht es da schon anders und er wird nicht nur wegen seiner fast bezwingenden Ausstrahlung geradezu hofiert.


    Die Welt Emeralds und ihrer eigentlichen Gäste gerät durch das Auftauchen der ver-unglückten Zugreisenden dennoch kurzfristig aus den Fugen. Die Autorin setzt dabei nicht auf Schockeffekte im großen Stil. Dafür webt sie langsam und stetig um ihre Figuren eine dichte, vielschichtige und bildhafte Atmosphäre, deren eigentliche Spannung sich manchem Leser eventuell erst auf den zweiten Blick und für einige eventuell gar nicht erschließen wird. Doch es lohnt sich dranzubleiben, denn alle ihre Charaktere – außer der kleinen Smudge - machen eine Wandlung durch. Lernen dazu, was anfangs unmöglich erscheint. Und das alles in einem Zeitraum von wenigen Stunden.


    Fazit:


    Der ungeladene Gast startet (fast zu) behutsam und nimmt erst nach einer Weile an Fahrt auf. Was nicht grundsätzlich schlecht ist, sondern dafür sorgt, dass Jones eine wie bereits erwähnt überaus bildhafte Kulisse für und mit ihren authentischen Figuren schafft. Doch genau deshalb würde ich den Roman auch eher als unterhaltsam denn spannend bezeichnen. Der dezent-spukige Effekt steigert sich zudem so behutsam, dass man bald erkennt, worauf er hinausläuft. Letztlich fügt er sich zwar so passend ein, dass man ihn dennoch nicht missen will. Trotzdem bleibt das Ende etwas unbefriedigend. Beinahe als wäre etwas gestrichen oder in letzter Sekunde abgewandelt worden. Alles in allem habe ich mich jedoch gut unterhalten gefühlt.

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain

  • Zitat

    Original von Ati
    Trotzdem bleibt das Ende etwas unbefriedigend. Beinahe als wäre etwas gestrichen oder in letzter Sekunde abgewandelt worden.


    :write Das habe ich genauso empfunden!




    Meine Rezension:
    Was wie ein etwas düsterer Familienroman aus dem englischen Landadel Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt, entwickelt sich zunächst dank der unnahbar-kühlen Figuren und der etwas altertümlich wirkenden Sprache im Laufe der Geschichte zu einem Schauerroman, der durch seine dichte Atmosphäre und eine knisternde Spannung überzeugt, die dem Leser schnell vermittelt, dass hier etwas nicht stimmt. Sobald jedoch klar wird, was genau hier nicht stimmt und welches Geheimnis aufgedeckt wird, sich der Roman also auf dem Spannungshöhepunkt befindet, flacht er zusehends ab und büßt nicht nur rapide an Spannung ein, sondern verliert sich auch zunehmend in grotesken Episoden, die überhaupt keinen Zusammenhang zu den Ereignissen erkennen lassen wie z.B. die seitenlange Beschreibung der Pony-Problematik. Webt Sadie Jones in den ersten zwei Dritteln einen atmosphärisch immer dichteren Teppich, franst dieser im letztes Dritten sehr aus und endet ohne die Raffinesse, die man für ein kunstvolles Ende erwartet hatte. Statt den originellen Kreis mit einem Kunstgriff zu schließen, plätschert die Geschichte zu einem lauwarmen und wenig überraschenden Ende, das eher leise Enttäuschung als laute Begeisterung hervorruft. Schade.

  • Die Geschichte spielt auf dem herrschaftlichen Anwesen „Sterne“ in dem überschaubaren Zeitraum von vierundzwanzig Stunden und beginnt eher belanglos dahinplätschernd. Der Leser gerät mitten in die Vorbereitungen zur Geburtstagsfeier der ältesten Tochter Emerald, lernt die Bewohner des Gutes (Familienmitglieder wie Dienstboten) kennen, erhält Einblick in die nicht ganz unkomplizierten innerfamiliären Beziehungen und die Schwierigkeiten, das heißgeliebte Anwesen aber geldverschlingende Gut für die Familie zu erhalten.


    Zu Anfang herrscht eine eher oberflächliche Atmosphäre, die Protagonisten erscheinen eigenwillig bis seltsam und nicht sonderlich sympathisch. Nach und nach greift dann ein zunächst subtiles, im Laufe der Erzählung immer eindringlicheres Gefühl von Unheimlichkeit um sich. Ungeladene Gäste, insbesondere der ungeladene Gast , sprengen die sorgfältig geplante Geburtstagsfeier, bringen lang gehütete Geheimnisse an den Tag und offenbaren die verschiedensten Facetten in den Persönlichkeiten einiger Protagonisten. Einseitig kann man die Charaktere der Figuren wahrhaftig nicht nennen, auch wenn es zunächst so aussieht ;-). Im letzten Drittel wird es immer bitterböser und grotesker bis die Geschichte letztlich in ein überaus versöhnliches Ende mündet. Man könnte fast sagen etwas zu „happy“, aber das gute Ende ist dermaßen überzeichnet, dass es wiederum passt.


    Aufbau und Sprachstil fand ich einfach genial, bemerkenswert wie die Autorin den Leser in diese zunehmend unheimliche und makabere Atmosphäre einhüllt, wie hypnotisiert bin ich den bizarren Entwicklungen des Plots gefolgt. Das Wort „bizarr“ fällt des Öfteren im Text und charakterisiert diesen Roman m. E. am treffendsten.


    Dieser für mich erste Roman von Sadie Jones hat mir insgesamt doch so gut gefallen, dass ich mir direkt im Anschluss "Der Außenseiter" von ihr bestellt habe :-].

  • Mir hat diese Mischung aus Spannung, etwas Romantik, Witz und das leicht Schaurige sehr gut gefallen. Ich fand das Ende auch sehr gut.
    Spannend war der Wandel der in einigen, beinahe allen Anwesenden, vonstatten ging durch diese eine Nacht...


    Auch sprachlich hat mich dieser Roman der Autorin sehr überzeugt.