Solange die Nachtigall singt - Antonia Michaelis

  • Solange die Nachtigall singt
    Antonia Michaelis
    ISBN: 378914293X
    Oetinger Verlag - August 2012
    Hardcover m. Schutzumschlag - 16,95€



    Klappentext: (Quelle: Amazon.de)
    Ein Wald, der im Nebel ein Rätsel verbirgt. Ein Wanderer, der sich verirrt. Eine Geschichte, die dem Leser den Atem raubt. Nach Abschluss seiner Tischlerlehre begibt sich Jari auf Wanderschaft, um Freiheit und Natur zu genießen. Dabei trifft er auf Jascha, das bezauberndste Mädchen, dem er je begegnet ist, und folgt ihr zu ihrer Enklave mitten im Wald. Gefangen zwischen märchenhafter Schönheit und menschlichen Abgründen wird der harmlose Tischler zum unerbittlichen Jäger. Poetisch und fesselnd erzählt Erfolgsautorin Antonia Michaelis die Geschichte einer Liebe, der kein Geheimnis zu düster und kein Opfer zu groß ist. Das Meisterwerk einer Märchenerzählerin.


    Über die Autorin: (Quelle: Amazon.de)
    Antonia Michaelis wurde 1979 in Kiel geboren. Fünf Jahre später begann sie, ihre Umwelt mit (damals noch unleserlichen) Büchern zu überschwemmen. Seitdem hat sie nicht mehr aufgehört zu schreiben. In England ließ sie sich inspirieren von der englischen Literaturgeschichte. Heute lebt die junge Autorin, die inzwischen auch ein Medizinstudium abgeschlossen hat, im Nordosten Deutschlands.



    Meine Meinung
    Das Cover, in Schwarz und Blau gehalten, auf dem man ahnt, wie eine nebulöse Mädchengestalt (oder sind es mehrere?) im Wald verschwindet, lässt erahnen, dass es in Antonia Michaelis‘ neuem Roman schaurig wird.
    Und dies bewahrheitet sich quasi von der ersten Seite an. Jari, ein Tischlergeselle auf Wanderschaft, stößt in einer kleiner Galerie in einem verschlafenen Dorf auf ein Bild, hinter dem sich etwas versteckt. Etwas Wahres, etwas Dunkles … er kann es nicht greifen. Er trifft auf die junge Malerin und von Faszination getrieben, folgt er ihr in den Nebelwald. Einen Wald, der dafür bekannt ist, dass viele, die hinein gehen, nicht mehr hinaus kommen.
    Jari findet die Gefahr im Wald jedoch nicht in den Wölfen und der sagenumwobenen Bärin. Er findet ein Haus, in dem …


    Nein, mehr möchte ich nicht verraten.
    Ich verrate lieber etwas von meinen Leseeindrücken. Was meine letzten Thriller oder Horrorbücher gerne vermocht hätten – nämlich mir Gänsehaut zu verursachen und mich vor einem Knacken hinter mir zusammenzucke zu lassen – „Solange die Nachtigall singt“ hat das in beinah jedem Kapitel geschafft. Die Atmosphäre nimmt einen gefangen und ist fast greifbar, die Sprache untermalt das Gefühl, sich irgendwo (verloren) zwischen einem Märchen und der Realität zu befinden. Ich lese eigentlich immer schnell und lautlos – bei diesem Buch habe ich mir seitenweise den Text vorgeflüstert.
    Die Spannung ist durchgehend hoch, weil unweigerlich so viele Fragen entstehen, deren Antworten nur nach und nach ans Licht kommen. Immer wenn man glaubt, man hätte die Autorin durchschaut, merkt man später, dass das, was man durchschaut hat, nur ein Ablenkungsmanöver war. Eine Kleinigkeit, hinter der sich die wahre Auflösung kichernd vor den Augen versteckt. Das ist ohne Frage ein "zweimal lesen Buch", denn beim zweiten Mal ist man völlig perplex, was man alles übersehen hat, obwohl man doch so gut aufgepasst hat.
    Aber ich will nicht zu viel verraten.
    Unbedingt sollte man sich den Trailer zum Buch anschauen, denn dann hat man unweigerlich das Lied im Kopf, das in diesem Buch eine große Rolle spielt, Fragen aufwirft und beantwortet.
    Und man wird herrlich bekloppt im Kopf, wenn man nachts mit dem Hund am Waldrand entlang spaziert und sich dabei erwischt, dieses Lied (es ist ein richtiger Ohrwurm) leise zu singen. *Schauder*


    „Solange die Nachtigall singt“ ist ein wundervoll geschriebener Roman für (junge) Erwachsene, keinesfalls ein Jugendbuch. Es ist abgründig, schaurig und birgt Romantik in tragischster Weise.
    Der Mittelteil mag dem ein oder anderen sicher etwas zu lang erscheinen, wer aber die Sprache der Autorin zu schätzen weiß, wird sich daran nicht stören.
    4,5 Punkte von mir. Ein Lese-Muss für jeden, der es nicht fürchtet, nah an Abgründe zu treten.


    PS: Ich wollte den Vergleich wirklich vermeiden und ziehe ihn nur zu Hilfe, weil ich weiß, dass es Leser gab, denen der Märchenerzähler emotional zu wuchtig war; Leser, die das Buch lieber nicht gelesen hätten, weil es ihnen hinterher schlecht ging.
    „Solange die Nachtigall singt“ ist anders. Es ist spannend und düster und tastet sich wieder an die Grenzen seiner Leser, überschreitet sie aber nicht, zumindest nicht so, wie der Märchenerzähler.
    Es ist ein Buch und es bleibt ein Buch. Ein schönes Buch :wave

  • Herzlichen Dank für diese sehr schöne und aufschlussreiche Rezi. Das Buch werde ich dann auch sogleich mal auf meine Wunschliste setzen.


    Es gibt eben immer wieder Buchvorstellungen bei denen man einfach nicht NEIN sagen kann. Allerdings erwarte ich dann von den Rezensenten, dass sie der geneigten Leserschaft auch mitteilen, woher man die Zeit nehmen soll - all das zu lesen, was da so vorgestellt wird. :grin :grin


    Das scheint wunderbar geeignet zu sein, bei herbstlicher Kühle im gemütlichen Lesesessel gelesen zu werden..... :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe mich mal ganz begeistert auf das Buch "Tigermond" der Autorin gestürzt. Mit dem Ergebnis das ich derart enttäuscht war und bislang einen großen Bogen um sie gemacht habe.


    Aber nach der tollen Rezi reizt es mich schon sehr. Ich werde mir das Buch auf jeden Fall genauer anschauen.


    Mulle : Sicher das die Rezi unter Belletristik stehen sollte ???

  • Was genau hat dich am Tigermond denn gestört? Dann kann man vermutlich mehr dazu sagen, ob die anderen Bücher dir gefallen werden.
    Was bei ihr eigentlich immer der Fall ist, ist das Spiel zwischen Realität und Traum/ Geschichte/ Rausch/ Wahn/ Einbildung/ ... märchenartiger Verfremdung. Sie spielt eigentlich immer mit Surrealismus, für den es dann keine hieb- und stichfeste Erklärung gibt, bzw. bei dem Fragen offen bleiben.
    Wenn man das nicht mag, weil man erwartet, dass alles ins Detail auserklärt wird, dann wird man mit ihren (bisherigen) Büchern ein Problem haben.


    Ebenso, wenn man nach Figuren verlangt, die nur sympathisch und glatt sind; Figuren, mit denen man sich identifizieren möchte. Das ist bei ihr selten der Fall, sie schreibt ganz oft ... psychisch-soziale Randfiguren möchte ich es nennen, und lässt die auch gerne mal über den Rand treten, ins Asoziale.


    Das muss man mögen, dann kann man es lieben.


    Ja, ich habe es bewusst unter Belletristik eingeordnet. Wo anders hat es keinen Platz.

  • Oh, das ist schon so lange her.


    Ob ich die Figuren mochte weiss ich gar nicht mehr so genau. Diese 1001 Nacht Geschichten sind leider nicht so meins, obwohl ich sie grundsätzlich interessant finde. Aber ich habe Schwierigkeiten mich da reinzudenken.


    Bis ins Kleinste muss nicht alles erklärt werden. Ich mochte früher auch Akte X :lache


    Hm, für mich hört es sich mehr nach Fantasy als Belletristik an. :gruebel

  • Zitat

    Original von SweetMouse



    Hm, für mich hört es sich mehr nach Fantasy als Belletristik an. :gruebel


    Gefährliche Falle. Wenn ich nun sage, ob es Fantasy ist oder nicht, dann würde ich zu viel verraten.
    Möglicherweise ist es phantastische Literatur. Oder auch nur Literatur. Wer weiß :wow


    Wenn es dieser 1001-Nacht-Einschlag im Tigermond war, der sich störte, dann gib der Nachtigall ruhig eine Chance. Es spielt irgendwo zwischen Deutschland, Tschechien und Polen, zur heutigen Zeit (und irgendwie auch nicht).
    Wirf mal einen Blick in die leseprobe (Blick ins Buch) bei Amazon. Danach weißt du, ob das Buch etwas für sich ist.

  • Mulle, das Buch steht auch auf meiner WL. ;-)Danke für die Rezi.


    Wenn ich es richtig deute, ist es eine Mischung aus surrealem Märchen und Gegenwartsgeschichte. Oder? Ist viel Fantasy dabei? Kannst Du spoilern, wenn Du möchtest.

  • Ich habe es heute Nacht ausgelesen und schließe mich Mulle in so ziemlich allen Punkten an.


    Ich war sehr, sehr gespannt auf das Buch, nachdem ich Michaelis' Märchenerzähler geliebt habe.
    Und es zog mich sofort in seinen Bann. Es ist düster, voller Abgründe, in die man nicht blicken will und strahlt eine Atmosphäre aus, die mich noch immer nicht losgelassen hat.
    Von Anfang an wusste ich, dass da ein Geheimnis im Wald verborgen liegt, dem ich, gemeinsam mit Jari, Stück für Stück näherkam.
    Vieles erklärte sich erst ganz am Schluss, manches nie, manches hätte ich lieber nie erfahren.
    Antonia Michaelis' Schreibstil ist unzweifelhaft der schönste, poetischste und faszinierendste, den ich je kannte. Das Buch hätte inhaltlich so schlecht sein können, wie es wollte, ich hätte trotzdem nicht genug davon bekommen.
    Ich bin sicher nicht die einzige, die es zwanghaft mit dem Märchenerzähler vergleicht, der für mich nach wie vor DAS Buch von Antonia Michaelis ist.
    Obwohl Solange die Nachtigall singt mir immer noch ziemlich nachhängt, kann ich es als bloßes Buch betrachten und ins Regal stellen, während der Märchenerzähler sich auch nach über einem Jahr noch wie eine schlecht verheilte Wunde anfühlt, die immer wieder aufgeht und von Neuem zu bluten beginnt, wenn man zu sehr darauf herumdrückt.
    Die Nachtigall ist weniger realistisch, märchenhafter und sogar surrealer, und anstatt den Leser mit all der zarten Grausamkeit des Märchenerzählers zu zerreißen, erdrückt sie ihn mit ihrer Düsternis und den Abgründen, über denen man von Anfang bis Ende schwebt.
    Ich mochte es sehr und will es jedem weiterempfehlen, der Michaelis' Bücher mag.
    Es berührte mich sehr, das Ende lief nicht ohne Tränen ab und ließ mich verzaubert und ein wenig nervös zurück.


    Und das Cover ist unschlagbar, das war Liebe auf den ersten Blick


    9 Punkte für die Nachtigallen

  • Ich bin ein bisschen zwiegespalten, was dieses Buch angeht.
    Auch ich war nach dem Märchenerzähler euphorisch und wollte unbedingt weitere Bücher der Autorin lesen.
    'Solange die Nachtigall singt' fängt atmosphärisch und düster-spannend an, zieht einen als Leser in einen tiefen Sog ... und dann, ab etwa der Hälfte, habe ich die Geduld verloren. Ich habe trotzdem weitergelesen und ich wollte auch wissen, wie es ausgeht, es ist ein gutes, gut geschriebenes und absolut lesenswertes Buch - aber die Faszination vom Märchenerzähler, diesen meisterhaft geschmiedeten Spannungsbogen konnte es nicht erreichen.


    Ein bisschen hatte ich das Gefühl, die Autorin will zu viel. Die schöne Sprache, die überbordend schönen Bilder, die gewaltige Stimmungsmalerei - das kann sie gut, das wurde schon beim Märchenerzähler hoch gelobt, das treibt sie hier auf die Spitze. Das Buch spielt in einem düster-schönen Nebelwald im Nirgendwo zwischen Deutschland, Tschechien und Polen, einem Märchenwald mit einer Höhle und einem grundlosen schwarzen See und Rosen in einer Schlucht und Büschen voller reifer Schlehen. Mit einem Wolfsrudel und der Legende einer Bärin, die ihre drei Jungen sucht.
    Das Buch beginnt in einem goldenen Herbst und dämmert in einen glitzernd weißen Winter hinüber. Die Farben, die Düfte, die herbstliche Stimmung - es haut einen um beim Lesen. Wirklich.
    Und dann verliert sie sich in der Schönheit. Zumindest hatte ich beim Lesen dieses Gefühl. Der Tischlergeselle Jari wird von einem schönen Mädchen in den Wald gelockt, verbringt die Nacht in ihrem wunderschönen Haus und verliert sich in ihrer Welt. Er findet nicht mehr aus dem Wald hinaus, und bald will er das auch nicht mehr. Der Wald aber hütet ein düsteres Geheimnis und das Mädchen ist nicht, was sie scheint und das Haus ist voller Spiegel und ausgestopfter Tiere. Jari weiß bald nicht mehr, was Realität und was Traum ist. Der Leser auch nicht. Das hat seinen Reiz.
    Doch dann häuft die Autorin Episode auf Episode, Traum auf Traum. Die Geschichte kommt ins Stocken, Jari dreht sich im Kreis. Der Leser auch. Vielleicht ist das Absicht. Aber mich hat es aus der Faszination herausgerissen, ich wollte wissen, wie es weitergeht.
    Das Ende, die Auflösung fand ich ... tja, fast ein bisschen zu einfach für die enorme Erwartungshaltung, die vorher aufgebaut wird. Das hat mich ein wenig enttäuscht. Vielleicht wäre das anders gewesen, hätte ich nicht die vorherigen fünfzig oder hundert Seiten in manchen Passagen nur noch überflogen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich - auf den Mittelteil bezogen - mit surrealen Traumwelten nur bedingt etwas anfangen kann, sofern sie nicht eine konkrete Auswirkung auf die Realität haben.


    Das ist kein Verriss, auch wenn er stellenweise so klingt.
    'Solange die Nachtigall singt' ist ein märchenhaftes, düsteres, lesenswertes Buch, das viel Spaß macht und sich spannend anlässt - nur im Mittelteil etwas Geduld vom Leser verlangt. Allein die wunderschöne Sprache macht es schon empfehlenswert.
    Nur kann es - für mich - nicht ganz die hohen Erwartungen erfüllen, die ich nach dem Märchenerzähler an das Buch gestellt hatte.

    Ich hab' mich verirrt.
    Ich bin dann mal weg, um nach mir zu suchen.
    Sollte ich zurückkommen, bevor ich wieder da bin, sagt mir bitte, ich soll hier warten!

  • Wer Antonia Michaelis Bücher kennt, weiß, dass die eine Meisterin im Geschichten erzählen ist. In ihren Büchern ist nie etwas so, wie es auf den ersten Blick scheint, sie führt den Leser gekonnt an der Nase herum und nur selten kann man die Geschichte vor dem letzten oder vorletzten Kapitel eigenständig auflösen. Dies sorgt für große Spannung und ebenso großen Lesespaß, denn aktives Mitdenken und interpretieren ist gefragt. So ist es auch bei "Solange die Nachtigall singt", Antonia Michaelis neustem Werk.


    Von der ersten Seite an wird der Leser mitten in das Geschehen katapultiert und trifft auf Jari, der sich am Anfang seiner Reise befindet. Plötzlich springt die Handlung und man ist in einer ganz anderen Situation. Irgendetwas Schreckliches ist passiert, doch was das ist, erfährt man nicht. Ebenso wenig wie Namen oder Orte. Dann ein Schwenk zurück zu Jari. Dieser Wechsel der Perspektiven zieht sich durch das ganze Buch, angezeigt durch verschiedene Schriftarten. Bis man versteht, wie die beiden Handlungsstränge miteinander in Verbindung stehen, vergeht eine ganze Weile. Die Geschichte verwirrt, aber da man das von Antonia Michaelis so gewohnt ist, stört es zuerst nicht. Doch je näher man dem Ende kommt, desto verwirrter ist man. Die ersehnten ersten Lichter im Tunnel der Verwirrung bleiben aus, man kommt der Lösung einfach keinen Schritt näher. Als die Autorin dann selbst irgendwann auflöst, wartet man vergebens auf den Aha- Effekt. Das Ende ist genial, das ohne Zweifel, und wenn man noch einmal richtig überlegt, ist es auch logisch und gut durchdacht. Befriedigend ist es leider gar nicht. Dass Antonia Michaelis mit den Enden ihrer Geschichten gerne schockt, darauf war ich vorbereitet. Dass "Solange die Nachtigall singt" jedoch einen beinahe kranken Hintergrund hat, damit hatte ich nicht gerechnet.


    Doch ein Buch, das von Antonia Michaelis geschrieben wurde, hat natürlich auch seine guten Seiten. Mit ihrem wunderbaren Schreibstil, der beinahe schon poetisch ist, ohne dabei jedoch langweilig oder übertrieben zu sein, zieht sie den Leser in ihren Bann und macht die Lektüre zu einem Genuss. Außerdem hat sie wieder einmal bewiesen, dass sie eine geniale Geschichtenschreiberin ist, auch wenn das Ende die Grandiosität des Buches ein wenig schmälert. "Solange die Nachtigall singt" ist sicherlich nicht Antonia Michaelis bestes Werk, verdient aber trotzdem vier Sterne.

  • Hmpf ich hab eben abgebrochen ...ich kämpfe schon eine Weile ..ich breche eigentlich nicht so schnell ab aber das Buch konnte mich irgendwie nicht packen , ich hab mich gelangweilt und mußte mich zum lesen zwingen ...
    Hat wohl nich gepaßt mit dem Buch und mir

  • Jari Cizek, der 18- jährige Tischlergeselle, braucht eine Auszeit - von seiner Ausbildung im elterlichen Betrieb, von seiner fürsorglichen Mutter. Und so begibt er sich auf dreiwöchige Wanderschaft im deutsch- polnisch- tschechischen Dreiländereck.
    Er will die Natur genießen, die Einsamkeit, seine Freiheit und am Ende seiner Reise ein Mädchen - oder auch in umgekehrter Reihenfolge.
    Denn in einem kleinen Dorf trifft er zufällig auf die junge Jascha, die ihn in ihr Haus mitten im Wald "entführt".
    Ein riesiges, unwirkliches Haus mit tausend Spiegeln, einer Vielzahl an Zimmern und Gängen, voller labyrinthartiger Gemütlichkeit und Schönheit, abgeschnitten von der Außenwelt.
    Doch Jari will nur eine Nacht bleiben, eine Nacht mit der bezaubernden und geheimnisvollen, vielleicht auch gefährlichen Jascha verbringen, doch aus einer Nacht werden Tage.
    Tage voller Arbeit im Obstgarten oder auf dem Feld, unergründlicher Geheimnisse, Stunden aus Ängsten und Zweifeln, süßen Gesängen, verführerischen Celloklängen, traurigem Wimmern aus abgeschlossenen Zimmern.
    Die Zeit fliegt an Jari nur so vorbei, er verliert jegliches Gefühl, was wahrhaftig und echt ist, was richtig und falsch ist, wer Jascha ist, was er überhaupt im Wald bei ihr macht. Dennoch schafft er es nie, sie zu verlassen. Denn sie zieht ihn immer wieder in ihren Bann, lockt ihn mit ihrer betörenden Schönheit, mit ihren süßen Küssen, ihrer vermeintlichen Unbeschwertheit, ihrem glockenhellen Gesang, ihrem zarten Musikspiel, ihrem frechen Verwirrspiel und Jari verliert darüber jeglichen Bezug zur Wirklichkeit.


    Der Wald wird von Tag zu Tag bedrohlicher, dunkler, unberechenbarer, eine namenlose Gefahr lauert in den Schatten der alten Bäume. Und Jascha wird immer undurchsichtiger und ausweichender.
    Und Jari bleibt...
    Jari will mit dem Mädchen im Wald bleiben, aber auch wieder mit seinem besten Freund Matti ein Bierchen auf der Fensterbank trinken, zu seiner Mutter mit den gestärkten Hemden, in die verhasste Werkstatt mit Brettern, Dübeln und Sägespänen zurück.
    Er will Antworten, was im Wald und mit Jascha vor sich geht, will aber gleichzeitig nicht die Wahrheit hören.


    Und dann verwandelt sich der eigentlich schüchterne und sensible Jari mehr und mehr, er verliert sich in sich selbst und in den Gesetzen der Natur, anstatt sich zu finden.
    Aus dem Tischler, aus dem Wanderer wird ein Jäger... erbarmungslos, gnadenlos...
    ... wird er sein Herz bewahren?


    Eine Geschichte, nein, ein dunkles, geheimnisvolles, bedrohliches Märchen voller betörender und grausamer Schönheit, welches die riesigen und undurchdringlichen Grenzwälder selbst erzählen könnten.
    Die forsche Füchsin ihren Jungen, die alte Eiche ihren Setzlingen, der milchige Nebel vorbeiziehenden Wanderern, die freche Amsel in den Wind hinaus.
    Sie würden die Geschichte von Jascha mit dem Haar aus schwarzer Seide, dem Lachen eines silbernen Glöckchens und der Stimme einer Nachtigall allen zuflüstern, die sie hören möchten. Wie sie den unbedarften und abenteuerlustigen Wanderer Jari Cizek, den jungen Zeisig, in den dunklen Wald, in ihr verlassenes Zuhause, in ihre einsamen Arme, in ihre eigene Welt gelockt hat.
    Jari Cizek, der grau gefiederte, unscheinbare Vogel, der flügge geworden ist, sein gut behütetes Nest verlassen hat, der seine Flügel ausstrecken, sie kräftigen möchte, den rauen und wilden Wind zwischen seinen Federn spüren, sich über die düsteren Wälder gleiten lassen, seine kleinen Lungen mit frischer und abenteuerverheißender Luft füllen, seinen Schnabel wetzen möchte.
    Doch eines merkt man schnell:
    Irgendetwas oder irgendjemand im Wald will dem jungen Zeisig die zartgrauen Flügel stutzen - und Jascha spürt dies auch. Oder ist Jascha diejenige, die dem Wanderer die Flügel nehmen will, damit er nie mehr von ihr fortfliegen kann?
    Kann der kleine, graue Zugvogel den kalten und harten Winter im verwunschenen Märchenwald überleben?
    Muss er zum Raubvogel werden?


    Mich hat "Solange die Nachtigall" sofort in ihren Bann gezogen, denn Antonia Michaelis lockt mit ihren Worten den Leser ohne Atempause in die dunklen Nebelwälder ihrer Geschichte.
    Und so wechselt die Stimmung und die Sprache von poetisch, sanft und bezaubernd wie in einem Märchen bis zu brutal, direkt, unbehaglich und eiskalt wie nur die Realität sein kann.
    Von welkenden Blättern tropft bittere Einsamkeit, zerbrechliche Vögel singen von zitternder Melancholie, der schwere Nebel bringt Gefahr, der kalte Herbstwind kündet von Abenteuerlust, das weiche Moos verspricht Zärtlichkeit, im unergründlichen und schwarzen See im Wald lauert ein Albtraum, unter der Walderde liegen verlorene Hoffnungen und Sehnsüchte, Angst, Verzweiflung, Einsamkeit und Ausweglosigkeit begraben, in Brombeerranken verstricken sich Geheimnisse und Lügen, an denen man sich verletzt.
    Und trotz oder gerade wegen dieser Fülle an Worten und Umschreibungen konnte ich erst nach und nach in die Schatten zwischen den Zeilen schauen, aus den Nebeln aus Worten etwas herauslesen. Die Worte umkreisten mich wie aufgewirbeltes Herbstlaub, flüchteten vor mir wie aufgescheuchte Rehe, verflüchtigten sich wie Nebelschwaden an einem sonnigen Vormittag.
    In jedem einzelnen Kapitel passiert so wenig und gleichzeitig so viel, sodass meine Gedanken zunächst keinen Sinn erfassen konnten, in zig Spiegeln um sich selbst reflektierten, und ich die ganze Zeit gerätselt habe, was für eine Geschichte ich vor mir liegen habe, wie viel Realität noch in diesen märchenhaft gewebten Mantel gestickt werden wird oder ob es nur eine mystische Erklärung für Jascha und Jari geben wird.
    Doch irgendwie blieb immer die Gewissheit, dass irgendwann ein realistischer und grausamer Abgrund vor mir auftauchen wird, wenn ich endlich die Lichtung aus Wissen und Gewissheit erreicht habe. Denn der Herbstwind weht Ahnungen heran, lässt den Nebel aus Unwissenheit weichen, zerrt an fest vertauten Tragödien, die im Wind zitternden Blätter flüstern sich Geheimnisse zu, im gelben Herbstlaub am Boden rascheln Andeutungen, die zerstörte Kinderseele wird nach und nach freigelegt, ein Trauma, ein immerwährender Albtraum aufgedeckt.


    Mir ging es beim Lesen ähnlich wie Jari im Wald:
    Jari sieht und hört Dinge, Menschen, Tiere und weiß am Ende dann doch nicht, was wahr ist und was nicht. Seine Umgebung ändert sich ständig:
    Gerade noch steht er im golden erleuchteten Wald, kurze Zeit später irrt er durch dichten Nebel. Gerade noch spielt Jascha das Cello im Haus, im nächsten Moment hilft sie Jari im Garten bei der Apfelernte. Gerade noch sieht er eine Narbe an ihrem Arm, Augenblicke später ist sie wieder makellos schön. Er sieht Risse in all der Schönheit um ihn herum aufplatzen, vergisst und verdrängt diese Gedanken gleich wieder, bevor er doch noch an seinem Verstand zu zweifeln beginnt.
    Genau wie Jari fing ich beim Lesen an, an meinem Verstand zu zweifeln, ich fragte mich, ob ich wie Jari das eine oder andere Becherchen Wildbeerensaft zu viel getrunken habe, zu viel an Fliegenpilzen geknabbert habe, da das Gelesene sich vor mir verschloss sobald ich das Buch zugeklappt habe. Ich hab das Meiste immer gleich vergessen...


    Wo hört die Wirklichkeit auf, wo fängt die Fantasie an, wann spielt der Verstand Streiche, was ist nur als Symbol zu sehen, wo platzt die Schönheit von Jascha und ihrer Umgebung auf und zeigt ihr wahres Ich?
    Jari verliert sich selbst und die Wirklichkeit aus den Augen, wenn er in die Schönheit des Mädchens und des Waldes blickt. Der Leser kann jedoch den realen Schrecken, der sich hinter der Schönheit der erzählenden Worte verbirgt, nicht vergessen.
    Denn nichts ist so, wie es scheint...
    Und genau deshalb muss man zwischen den Zeilen, unter den Worten lesen, hinter so wohlklingende Farben wie Mondsilber, Brandorange oder Heimlichweiß sehen, hinter die Fassade des Märchenwaldes blicken und die Schonungslosigkeit der Realität, die Hässlichkeit der Menschheit, eine zerbrochene Welt und die zerstörerische wie auch schützende Kraft der menschlichen Psyche erkennen.


    Das Ende beantwortet für mich dann auch alle Fragen, obwohl noch viele Fragen offen bleiben, da es meine Vermutungen, die ich recht schnell hegte, vollends bestätigt und dennoch viel Raum für eigene Interpretation und Gedanken übrig gelassen hat. Das Ende wird in mir nachklingen wie der "singende" Felsen im Tannwald... zwar nicht überraschend, dafür immer noch mystisch, aber auch schonungslos wirklich. Ein Ende, das noch lange kein Ende ist - nicht für mich, nicht für Jascha und Jari...


    Und dennoch bin ich froh, dem Nebelwald endlich entkommen zu sein und das Buch schließen zu dürfen, weil es mich stellenweise in seiner Dichte und Hintergründigkeit und Tiefgründigkeit in jedem einzelnen Satz, jedem Wort, erschlagen hat.
    Das Ende als auch der Verlauf der Handlung und das Verhalten der Charaktere lassen für mich aber keine moralischen Fragen zu (wie sie sicherlich bei vielen Lesern auftauchen werden), weil nicht alles in diesem Roman mit dem Verstand erklärt werden muss und kann, auch nicht mit dem Herzen, weil man ihm keine gesellschaftlichen Maßstäbe, keine moralischen und erzwungenen Normen anlegen kann, weil es einfach ein Roman ist, der mit Tabuthemen spielt und bricht, Gedanken und Emotionen verwirrt, mit der Realität spielt.


    Ein modernes Märchen, welches sich dunkel und düster in den Herbst schmiegt.
    "Solange die Nachtigall singt" beflügelt die Fantasie, sodass ich bei Spaziergängen im bunten Oktoberwald bestimmt zukünftig irgendwo eine Jascha auf einem prächtigen Hirsch davon galoppieren sehen werde oder wie sich ein frecher Fuchs an die nackten Beine eines Waldmädchens schmiegt.
    Aber dennoch lauert hinter diesem wunderschön geschriebenen, poetischen, symbolträchtigen, abstrakten Märchen ein ganz und gar reales Grauen, ein kalter Schrecken und genau deshalb ist es eine ziemlich anstrengende Geschichte, eingehüllt in ein reichlich verziertes und geschmücktes Gewand, welches ihre Protagonisten auf eigentümliche Art zu schützen und zu wärmen versucht.
    Eine Geschichte, auf die man sich einlassen und für die man sich Zeit und Muse nehmen muss, da sie weder leicht noch entspannend ist, sondern den Leser mit ihren bedeutungsschweren Metaphern und Worten wie einen Felsbrocken zu erdrücken droht, in einen schwarzen, tiefen See hinabziehen kann.
    Und wieder mal eines der Jugendbücher, dass aufgrund der Tiefgründigkeit und Doppelbödigkeit, Brutalität und der Schonungslosigkeit keines sein kann! Auch, wenn es ums Erwachsenwerden, um Selbstfindung, erste Liebe und Freundschaft geht - und wie weit man für all seine Hoffnungen und Sehnsüchte bereit ist zu gehen - einem Weg aus der Einsamkeit und Verzweiflung heraus...


    5 von 5 Sternchen!

  • Ich hab das Buch vor ein paar Tagen ausgelesen.


    Ich war wirklich gespannt auf das Buch und habe mich total darauf gefreut.
    Am Anfang hat es mich total mitgerissen, aber ungefähr bei der Hälte hat es sich, meiner Meinung nach, etwas gezogen.
    Der Schluss war wieder super, und das Ende hat mich schier umgehauen. Es war gruslig, spannend und lässt einen nach dem Auslesen eine Weile nicht mehr los. Ich musste die ganze Nacht noch über die Gesichte nachdenken.


    Alles im Allem eine faszinierende Gesichte.


    :wave

    "Hutzenberge riesengroß.
    Hutzenberge makellos.
    Hutzenberge sind so weit.
    Hörst du meinen Hutzenschrei?"


    Freda die Berghutze

  • Dieses Buch braucht Zeit und zündet nur ,wenn der Leser sich darauf einlässt.


    Eine Tiefe mit gewaltiger Kraft von Worten und Sätzen zieht den Leser mit in die Geschichte . Märchen,Fantasy oder Realität? Der Leser wird immer wieder in den Irrglauben getrieben und wenn er einen Verdacht hegt, wird dieser sofort wieder entkräftet.
    Antonia Michaelis zeigt auch mit „Solange die Nachtigall singt“ wieder ihr Können, was sie schon mit „Der Märchenerzähler bewiesen hat. Ihre Art ,ihre Worte zu wählen, das ganze so zu verpacken, dass man sich wie in einem Märchen fühlt, ist einfach überwältigend.
    Poesie pur, denn mit ihrer bildgewaltigen Sprache fühlt man mit und verliert sich in den Sätzen und Beschreibungen, man vergisst alles um sich herum und taucht in die Charaktere ein, denn sie sind so facettenhaft, real geschrieben, ihre Geschichte ist so dicht gewebt, dass man gar nicht mehr auftauchen möchte.


    Die Kapitalüberschriften, z.B. Fuchspelz, Herbstbronze,Nebelmilch oder Flammseide spiegeln so wunderbar die Farben des Waldes wieder. Die Autorin schafft es ,den Wald, das Setting in solch wunderbare Farben zu tauchen, dass dem Leser nichts anderes übrig bleibt als vor Phantasie zu sprühen. Es entstehen wunderbare Gemälde im Kopf des Lesers, und dazu muss man nicht einmal phantasiebegabt sein, es passiert einfach so, durch die Sprache von Antonia Michaelis.
    Da dieses Buch so viel Tiefe besitzt, langsam und genau gelesen werden muss ,denn jedes Wort, jeder einzelne Satz hat eine Bedeutung und verbirgt Hinweise, sehe ich es nicht als Jugendbuch, sondern als Buch für junge Erwachsene, denn hier muss man wirklich intensiv lesen und gelesenes verknüpfen um nicht völlig den Faden der Realität zu verlieren und die Worte zwischen en Zeilen zu verstehen.
    Wichtig ist, zu wissen, dass das Buch nicht von Spannung lebt, es lebt von einzigartigen Beschreibungen, Verknüpfungen der Phantasien des Lesers. Es ist ein ruhiges Buch mit einer intensiven Geschichte, die sich erst am Ende zusammenfügt. Man muss geduldig sein, sich auf alles einlassen und sich führen lassen, dann erfährt man die Realität in Gewändern von Märchen und Fantasie gehüllt.
    Das Cover ist einfach phantastisch, nach dem Lesen des Buches findet man es einfach nur passend und wunderschön gestaltet. Man beachte den Unterschied zwischen Schutzumschlag und Buchcover.


    „Solange die Nachtigall singt“ ist keine leichte Kost, dafür aber eine wunderbar märchenhaft verpackte Geschichte von Liebe, Krankheit und Tragödien in der Schönheit des winterlichen Naturschauspiels.



    Wieder einmal begeistert von ihrem Stil, werde ich mir bald mit „Die Worte der weißen Königin“ meine Lesezeit versüßen.

  • Eine Antonia Michaelis ist eine Antonia Michaelis ist eine Antonia Michaelis... ;-)


    Die Werke von ihr kann man gar nicht so richtig in Worte fassen, die muss man alle einfach selbst erleben. Das Tolle ist nur: Man erkennt, dass die Bücher von ihr sind. Sie hat einfach so einen unverwechselbaren Schreibstil, der aus der Masse heraussticht.


    "Solange die Nachtigall singt" ist ein sehr stimmungsvolles, irgendwie düsteres, aber gleichzeitig auch anspruchsvolles Buch, das sich nicht mal eben so nebenbei weglesen lässt. Der Stil der Autorin ist sehr poetisch und man muss sehr genau aufpassen, was sie mit ihren Bildern sagen will. Vieles liegt zwischen den Zeilen und lässt sich nur erahnen. Aber es liegt durchweg eine sehr tolle und vor allem spannende Stimmung über dem Buch, die zum Weiterlesen animiert. Denn die Handlung an sich ist eher ruhig, bis auf einige Ausnahmen. Aber dennoch fragt man sich als Leser ständig, was hinter dem Ganzen steckt und wie das Buch wohl enden wird.


    Während des Lesens hatte ich tausende Fragezeichen im Kopf. Es gibt so viele mysteriöse Kleinigkeiten, zu denen ich gerne Erklärungen gehabt hätte. Aber diebekommt man einfach nicht. Stattdessen passieren erneut merkwürdige Sachen. Die Autorin lässt die Figuren und vor allem den Leser ziemlich allein. Die wirkliche Auflösung bekommt man erst am Ende. Bis dahin muss man mit der Ungewissheit leben. Ich muss sagen, dass ich die Auflösung toll fand. Ich hätte damit nun wirklich nicht gerechnet und meine Fragen wurde am Ende auch beantwortet.


    Das Verrückte an dem Buch ist nämlich, dass man überhaupt nicht weiß, was real ist und was nicht. Ein bisschen verwirrend ist es schon, aber gleichzeitig auch einfach total spannend.


    Irgendwie fand ich das Buch auch ziemlich gruselig. Es gab so viele Kleinigkeiten, die mir einen Schauer über den Rücken gejagt haben. Das Weinen eines Kindes, das nachts zu hören ist. Oder die Tatsache, dass die weibliche Hauptperson in Windeseile von einem Ort zum
    Anderen wechselt und dann vorgibt, schon die ganze Zeit dagewesen zu sein. Oder ein in einen Felsen geritztes Kreuz, dessen Geschichte nicht
    verraten wird. Oder ein Raum voller Schneiderpuppen. Oder ein Raum voller ausgestopfter Füchse, von denen einer auf ein mal zur Tür raus
    rennt. Oder die Tatsache, dass die weibliche Hauptperson Sachen vergisst, die sie noch einen Tag vorher getan oder gesagt hat. Es sind viele Kleinigkeiten, die beim Lesen stutzig machen und für die man so gerne eine Erklärung hätte.


    Die weibliche Hauptperson, die Auslöser dieser komischen Sachen zu sein scheint, hat zwar IMMER eine Erklärung, die alles ganz normal aussehen lässt. Aber im Hintergrund ist immer der Gedanke, dass man nicht weiß, ob man ihr überhaupt glauben kann. Deswegen hat mich das Buch teilweise etwas verzweifeln lassen. :-]


    Zwischendurch gab es bei mir immer ein paar Seiten, die mich nicht so mitreißen konnten und bei denen dann eine kleine Flaute aufgetreten ist. Und es gab Dinge, die ich jetzt gar nicht konkret beim Namen nennen könnte, die mich irgendwie gestört haben. Als Beispiel fällt mir jetzt nur


    Insgesamt fand ich aber vor allem die Stimmung und den Stil der Autorin einfach toll und von mir gibt es 8 Punkte für dieses Buch.


    Der Verlag empfiehlt das Buch ab 16 Jahren, jüngeren Lesern würde ich es auch auf keinen Fall raten, das Buch zu lesen. Es ist stellenweise doch wirklich sehr brutal und grausam.

  • Ich habe das Buch vor gut zwei Jahren gekauft, ungefähr die ersten hundert Seiten gelesen und es dann während einer langen Leseflaute zur Seite gelegt. Vor ein paar Tagen entschied ich, meinen SUB dieses Jahr wirklich einmal ernsthaft in Angriff zu nehmen und da stolperte ich beim gedanklichen Durchstöbern meiner ungelesenen Bücher wieder über diesen Roman. Und obwohl ich das Buch seit fast zwei Jahren nicht mehr in die Hand genommen hatte und nur so wenig von der Geschichte kannte, überkam mich eine Sehnsucht nach dieser mystischen Atmosphäre, den herbstbunten Farben des Waldes und seiner geheimnisvollen Aura, die auch seinen rätselhaften Bewohnern anhaftet. Und sofort war ich wieder in der Geschichte drin, als ich bagann, weiterzulesen. Man muss Frau Michaelis neidlos zuerkennen, dass sie es wie kaum ein anderer schafft, ihre Geschichten in eine ganz eigene, mystisch-surreale, dunkle Atmosphäre zu tauchen, sodass sie dadurch und die wundervoll poetische Sprache Michaelis alle ihre unverkennbare Handschrift tragen.


    Im Gegensaz zu "Die Worte der weißen Königin", das ich kurz nach "Der Märchenerzähler" las, erwartete ich diesesmal gar nicht etwas in dieser Liga und erlebte nicht wieder eine Enttäuschung wie bei "Die Worte der weißen Königin", von dem ich mir damals viel mehr versprochen hatte.
    Unabhängig vom Vergleich mit ihren anderen Werken kann ich sagen, dass "Solange die Nachtigall singt" meinen Erwartungen in jeder Hinsicht entsprochen und mir alles in allem gut gefallen hat.


    Bekritteln muss ich leider, dass ich das Buch stellenweise zu langatmig fand und ich mich öfters bei dem Wunsch ertappte, schon am Ende des Kapitels zu sein, wenn abzusehen war, dass Jari wieder einmal zwischen Traum und Realität durch den Wald stolpert. Zudem war das Ende zumindest für mich, nicht mehr wirklich überraschend, da ich diesen Verdacht schon eine geraume Zeit über gehegt hatte.


    Dem Roman eines anderen Schriftstellers hätte ich womöglich mangelnden Realismus vorgeworfen, hinsichtlich des gesamten Aufbaus der Geschichte und einzelner Teilaspekte, wie beispielsweise der Tatsache, dass ich es trotz allem für höchst unrealistisch halte, dass


    Wie dem auch sei, bei einem Michaelis-Roman lege ich in Bezug auf Realismus weniger hohe Maßstäbe an, da ich mit ihrem Hang zum märchenhaft Surrealistischen (zumindest in diesem Buch - bei "Die Worte der weißen Königin" war das anders) gut zurechtkomme und ich darauf eingestellt war, dass nicht jede ungereimte Kleinigkeit am Ende seitenlang auserklärt wird. Wer das erwartet, den könnte der kurz gehaltenen Schluss womöglich ein wenig unbefriedigt zurücklassen. Es gibt zwar eine Auflösung, trotzdem kam mir der Sprung zwischen dem vorletzten und letzten Kapitel ein wenig zu abrupt und ohne es genauer benennen zu können, hat mir am Schluss etwas gefehlt. Vielleicht ein letzter großer Aha-Moment, da die Auflösung für mich, wie gesagt, wenig Überraschung bot, vielleicht eine völlig unerwartete Wendung auf den letzten Seiten,... keine Ahnung. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass ich mir durch das Lesen der letzten fünfzig oder hundert Seiten nur mehr das bestätigte, was ich für mich schon vor geraumer Zeit als einzig logische Schlussfolgerung anerkannt hatte, und ich aus diesem Abschnitt folglich nichts Neues mehr ziehen konnte.


    Trotz dieser Schwächen hielt mich die Atmosphäre des Buches noch einige Tage nachdem ich es beendet hatte, gefangen. Ich träumte vom Wald und erwachte noch im Gedanken an die Nebel zwischen den Bäumen und die Geheimnisse, die sie leise zudecken. Man muss Michaelis lassen, dass sie es immer irgendwie schafft, ihre Geschichten für den Leser lebendig werden zu lassen.


    Was mich neben der schaurig-schönen Atmosphäre des Waldes und Michaelis poetischen Schreibstil am meisten an der Geschichte gefesselt hat, war Jascha. Auch wenn sie nicht immer durch Sympathie brilliert, geht von ihrem Charakter doch am meisten die für das Buch kennzeichnende, mystisch-rätselhafte Faszination aus, die einen trotz gewisser Vorhersagbarkeit der Auflösung bis zum Schluss gespannt an den Seiten hängen lässt und einen auch nach dem Lesen noch eine Weile in ihren Bann ziehen kann.


    Von mir gibt's 8 von 10 Punkten :-)