Kurzbeschreibung:
Ilja, der Fotograf, vervielfältigt und verbreitet in seiner Freizeit verbotene Literatur. Als sich Jahre später herausstellt, dass er auch für den KGB tätig war, muss er fliehen. Micha ist Jude und schreibt seit seiner Jugend Gedichte. Wegen seiner Nähe zum Samisdat wird er denunziert und kommt ins Lager. Sanja kümmert sich während Michas Haft um dessen Frau und kleine Tochter. Dennoch hält ihn nach Michas Tod nichts mehr in der Sowjetunion. In ihrem großen Gesellschaftspanorama erzählt Ulitzkaja von Mut und Verrat, irregeleiteten Idealen, menschlicher Größe und Niedertracht - und immer wieder von der Liebe, die das Handeln der Menschen antreibt.
Über die Autorin:
Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren, wuchs in Moskau auf. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. 1996 erhielt sie in Frankreich für ihre Erzählung Sonetschka den Prix Médicis. 1997 erschien ihr in viele Sprachen übersetzter Roman Medea und ihre Kinder, weitere erfolgreiche Bücher folgten. 2009 erhielt sie den Alexandr-Men-Preis für die interkulturelle Vermittlung zwischen Russland und Deutschland.
Meine Rezension:
"Das grüne Zelt" ist ein "typisch russischer" Roman mit allem, was man mit dieser Bezeichnung verbindet. Die stets beklemmende Atmosphäre mit ihrer besonderen Melancholie prägen die Geschichte ebenso wie die aus- und abschweifende detaillierte Erzählweise. Gerade das Abschweifen hat in diesem Roman seinen Reiz, da es so wirkt als würde der Leser einer imaginären Spur folgen ohne den Rückweg zu kennen, der aber durch regelmäßige Szenenwechsel (zumindest in den meisten Fällen) den roten Faden wiederfindet. Ulitzkaja führt den Leser nicht vom Weg ab, aber lässt ihm Zeit, immer wieder zu verweilen, auch mal genauer links und rechts hinzusehen und so einen viel besseren Gesamteindruck zu bekommen. Ihre Figurenzeichnungen sind distanziert und dennoch authentisch, werden mehr durch ihre Handlungen als durch ihre Gedanken und Gefühle charakterisiert. Die unzähligen Namen, von denen jede Person gleich mehrere hat und somit nicht immer leicht einzuordnen ist, kann das Lesevergnügen für den mitteleuropäischen Leser beeinträchtigen, vor allem wenn - wie hier - teilweise überhaupt keine Namen, sondern nur Berufsbezeichnungen genannt werden. Dies verhindert leider nicht nur ein durchgängiges Eintauchen in das Erzählte, sondern erzeugt am Ende auch den Eindruck, nicht die gesamte Geschichte zu kennen oder zu verstehen. Überhaupt sind die zahlreichen Andeutungen oder historische Persönlichkeiten für Leser mit wenig historischem oder kulturellem Wissen über Russland ohne ein entsprechendes Glossar viel zu oft nicht zu entdecken oder zu verstehen.
Deshalb von mir 6 Punkte.