Das Maikäfermädchen von Gina Mayer

  • Kurzbeschreibung:
    „Maikäfer flieg – der Vater ist im Krieg“ Sommer 1945. Deutschland liegt in Trümmern, von Düsseldorf sind nur noch Ruinen übrig. Die Hebamme Käthe Mertens leidet unter der Trennung von ihrem Mann Wolf, der im Krieg verschollen ist. Eines Nachts taucht eine junge Frau bei ihr auf. Ingrid ist schwanger und völlig verstört. Sie will Käthe nicht sagen, wer der Vater ihres Kindes ist, sondern summt immer nur die Melodie von „Maikäfer flieg“. Käthe zögert nicht lange, sie hilft Ingrid, indem sie in einer halb zerstörten Arztpraxis eine Abtreibung vornimmt. Ingrid verschwindet nach dem Eingriff spurlos, aber wenige Wochen später erscheint ein anderes junges Mädchen bei Käthe, das ebenfalls schwanger ist. Zusammen mit ihrer Freundin Lilo beschließt Käthe, bedrängten Frauen zu helfen – trotz der Gefahr, als „Engelmacherin“ im Gefängnis zu landen. Dann taucht Ingrid wieder auf, erneut schwanger, und beginnt Käthe zu erpressen. Die berührende Geschichte zweier Frauen im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland – ein Roman über Suche, Wahrheit und die Kraft, sein Leben zu meistern.


    Über die Autorin:
    Gina Mayer, 1965 in Ellwangen geboren, lebt mit ihrer Familie in Düsseldorf. Sie studierte Grafik-Design und arbeitete einige Zeit als Werbetexterin. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder, begann sie Bücher zu schreiben. 2006 erschienen ihre ersten Romane. Sie schreibt für Erwachsene und Jugendliche, am liebsten Krimis.


    Meine Meinung:
    Nicht mein erstes Buch von Gina Mayer aber eines der beeindruckendsten. Die Geschichte beginnt gleich nach dem Krieg in einer ziemlich düsteren zerbombten Stadt, in der Käthe versucht, irgendwie über die Runden zu kommen ohne zu verhungern oder zu erfrieren. Sie arbeitet selbständig als Hebamme und lebt davon mehr schlecht als recht. Bis Ingrid sie anspricht und für einen Pelzmantel um eine Abtreibung bittet. Käthe weiß, dass sie mit ihrem Einverständnis einen Strudel der Ereignisse auslöst und kann dennoch nicht ablehnen. Bald trifft sie auf Lilo, die sie noch von besseren Zeiten her kennt und diese begreift schnell, dass sich mit Abtreibungen das Überleben einer ganzen Familie sichern lässt. Ihrer Familie, die ihr nervenkranker Mann nicht mehr ernähren kann. Also überredet sie Käthe zu einer Art Abtreibungsklinik im großen Stil. Dies wird schnell zu ihrer aller Lebengrundlage, aber das bittere Ende kommt noch.
    Dies ist keine leichtfüßige Geschichte sondern ein trauriges scharf gezeichnetes Bild einer Generation, die versucht den Krieg und seine Gräuel zu verarbeiten. Die einzelnen Lebensgeschichten der Protagonisten sind stellvertretend für die meisten Deutschen der damaligen Zeit. Vom Mitläufer bis zum Täter, vom Wegschauen und Totschweigen, vom Rache wünschen und ins Schicksal fügen, von Deutschen und Juden und Besatzern. Keine bedrückende Wahrheit wird verschwiegen, kein Thema beschönt oder verteufelt. In einer klaren und eindringlichen Sprache beschreibt Gina Mayer das Elend und die Verzweiflung der Überlebenden, die alles erlebt haben. Vergasung, Kampf in Russland, Zwangssterilisation, Verrat, Hunger, Krankheit. Vor allem das Hadern mit Gott ist ein großer Punkt im Roman. Warum er dies alles zulassen konnte. Ob er als Seelentröster überhaupt noch taugt oder ob man einfach nicht mehr an einen Übervater glauben kann, der ein wohlwollendes Auge auf eine Menschheit hat, die sich aufs grausamste gegenseitig umbringt.
    Fast auf jeder Seite entblättert sie neue Wahrheiten, stellt Fragen nach dem Sinn, rüttelt an den Grundfesten der gesellschaftlichen Normen, die ein Krieg immer außer Kraft setzt.
    Das Buch bedrückt und lässt einen nicht los. Seine Fragen setzten sich im Kopf des Lesers fest und man muss die Geschichte für sich sicher erst mal verarbeiten. Aber es ist eine Geschichte, die man unbedingt immer wieder erzählen sollte und die in dieser Form wirklich hervorragend umgesetzt wurde.
    Am Ende bleibt durchaus ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass bis zu einem gewissen Grad solche traumatischen Erlebnisse verarbeitet werden können. Aber auch, dass man gewahr sein muss, dass die "braune Scheisse" noch unter uns schwelt und sie nicht wieder hervorbrechen darf.
    Ein tolles Buch, welches ich sehr empfehlen kann.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von hollyhollunder ()

  • Als ich gestern den Titel las, musste ich erst schmunzeln.
    Dann las ich, worum es in dem Buch geht, und das Schmunzeln verging mir.
    Hört sich aber genau nach meinem Beuteschema an.
    Langer Rede, kurzer Sinn:
    Auf meiner Wunschliste landet es auch.
    Danke für die interessante Rezi! :knuddel1 :anbet :wave


    EDIT:
    Bei der Jahresbestenumfrage stelle ich soeben fest, dass ich hier noch gar nicht "Vollzug" gemeldet habe. Das Buch gefiel mir außerordentlich gut und ich vergab deshalb auch volle 10 Punkte!

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von maikaefer ()

  • Ja, das ist ein Pflichtbuch für Dich, Maikäfer. :grin


    Der Titel kommt


    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    Und auf meine auch.


    Die Beschreibung hört sich wirklich sehr interessant und nach deiner Rezi will ich das Buch nun unbedingt lesen.
    Das Cover finde ich übrigens auch toll.


    Das kann ich für nur übernehmen. :write
    Zumal ich schon das ein oder andere Buch von Gina Mayer mit Begeisterung gelesen habe.


    Danke für diese tolle Rezi! :wave

  • Ja, bitte nicht davon abschrecken lassen, dass ich in meiner Rezi beschrieben habe, wie bedrückend und traurig das Buch teilweise ist. Trotzdem konnte ich nicht damit aufhören, weil es so interessant und gut geschrieben war und habe es nicht bereut, dieses schwierige Thema mit Hilfe der Autorin neu zu betrachten und darüber nachzudenken.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Die Informationen innerhalb der Spoilermarkierungen kann man mitlesen, muss es aber nicht tun. Sie enthalten keinen Geheimnisverrat, sondern lediglich weitere Informationen zu Personen und Handlungsverlauf.


    * * * * *

    Gina Mayer: Das Maikäfermädchen – Roman, Berlin 2012, Rütten & Loening (Aufbau-Verlag), ISBN 978-3-352-00843-6, Klappenbroschur, 365 Seiten, Format: 21,6 x 12,6 x 2,4 cm, EUR 16,99.


    „(...) Jetzt saß Gertrud in Chicago und schickte Pakete mit Schokolade, Waschmittel und Seidenunterwäsche nach Deutschland. (...) ‚Ich plane, bald wieder zu heiraten’, hatte sie Käthe in ihrem letzten Brief mitgeteilt. Und Käthe saß im zerbombten Düsseldorf und wusste nicht einmal, ob ihr Mann noch am Leben war, und tötete ungeborene Kinder, um selbst zu überleben, und plante gar nichts.“ (Seite 255)


    Düsseldorf, November 1945: Käthe Arensen, verheiratet, kinderlos und im mittleren Alter, haust in einer Dachkammer und schlägt sich als Hebamme in der zerbombten Stadt durch. Ihr Mann Wolf ist in russischer Kriegsgefangenschaft oder auch bereits tot, wer weiß das schon? Seit über einem Jahr hat sie nichts mehr von ihm gehört.


    Es ist, als sei Deutschland durch den Krieg in einen vorzivilisatorischen Zustand zurückgefallen. Allenthalben herrscht Hunger und Mangel und ein rücksichtsloser Kampf um die Ressourcen.


    Als Käthe in einer endlos langen Schlange um Reis und Graupen ansteht und dem Spiel eines kriegsversehrten Leierkastenmanns zuhört, fängt plötzlich eine junge Frau an, mitzusingen:
    „Maikäfer, flieg. Der Vater ist im Krieg.
    Die Mutter ist in Pommerland,
    Pommerland ist abgebrannt. Maikäfer flieg.“


    Diese junge Frau, Ingrid, die ebenso gut zwölf wie fünfundzwanzig Jahre alt sein könnte, spricht Käthe schließlich an und schlägt ihr einen Handel vor: Die Hebamme bekommt ihren Pelzmantel, wenn sie ihr das Kind wegmacht. Käthe, christlich geprägt, will spontan ablehnen. Doch ein Pelzmantel ist auf dem Schwarzmarkt eine Menge Lebensmittel wert. Schließlich ist der Hunger stärker als alle moralische Skrupel.


    In einem zerbombten Haus in der Marktstraße gibt es noch Überreste einer gynäkologischen Praxis. Dort nimmt Käthe den Abbruch vor. Sie vergattert Ingrid zum strengsten Stillschweigen, denn daran, dass ihr nun jeden Tag verzweifelte Frauen auf der Matte stehen und sie um einen illegale Abtreibung anflehen, hat sie kein Interesse. Das klappt natürlich nicht. Es dauert nicht lange, da kommt die nächste.


    Als Lilo Hambach, Käthes Ex-Kollegin, von der Sache Wind bekommt, ist an einen Ausstieg gar nicht mehr zu denken. Lilo ist wesentlich härter und pragmatischer als Käthe und sieht in einer Abtreibungspraxis eine Möglichkeit, ihre Familie durchzubringen: ihren Mann Erich, der mit einer schweren psychischen Störung aus der englischen Kriegsgefangenschaft kam und nicht mehr als Frauenarzt praktizieren kann, und ihre beiden Teenager-Kinder, die aufmüpfige Hilde und den optimistischen Gerd.


    Lilo nimmt also das Ruder in die Hand.


    Das Geschäft floriert. Und in einer Gemeinschaft von Hungernden fallen die Satten auf. So ein gut gehender, illegaler Betrieb weckt Begehrlichkeiten und ruft Trittbrettfahrer und Erpresser auf den Plan ...


    Es ist schon geradezu erschreckend, wie lebendig Gina Mayer die damalige Zeit für uns Nachgeborene werden lässt. Den täglichen Kampf ums Überleben, die Angst und Sorge um die Angehörigen, den Umgang mit entsetzlichen Dingen, die man erlebt oder gar getan hat. Und da sind die Strategien sehr unterschiedlich. Dr. Erich Hambach flüchtet sich in deprimiertes Schweigen und in eine psychosomatische Erkrankung. Seine Familie hat nicht den Hauch einer Ahnung, was ihm so zu schaffen macht, weil er nicht mit ihr spricht.


    Seine Frau Lilo Hambach hält sich nicht mit Sentimentalitäten und theoretischen Betrachtungen über gut und böse, richtig und falsch auf. Was vorbei ist, ist vorbei, was getan werden muss, wird getan, basta. Irgendwie muss das Leben ja weitergehen. Das hier ist ein typischer Dialog zwischen Lilo und Käthe:
    „Du meinst, es war falsch, wie wegzuschicken?“, flüsterte Käthe.
    „Natürlich war es falsch“, gab Lilo zurück. „Aber wenn wir ihr geholfen hätten, wäre es ebenso falsch gewesen.“
    (Seite 194)


    Wenn man es ohnehin nicht richtig machen kann, braucht man sich Fragen nach der Moral gar nicht erst zu stellen. Käthe dagegen, die bei einem Bombenangriff nur ihren Hebammenkoffer und die Bibel gerettet hat, sucht immer noch ein wenig Halt im Glauben. Dabei nutzt sie die Bibel eher so, wie die Leute heute das Zeitungshoroskop: Nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bibelstellen dienen ihr als Losung des Tages – allerdings nur, wenn sie ihr in den Kram passen. Zeitweise fragt sie im Geiste auch ihren abwesenden Mann um Rat, in wichtigen und in banalen Angelegenheiten. Das hat sie so sicher nicht getan, als sie noch zusammen lebten. Auch in dieser Beziehung blieb einiges unausgesprochen. Wolf Arensen ist schon einmal verheiratet gewesen, doch über seine „Erstfamilie“ hat Käthe nie etwas hören wollen. Ein Fehler, wie sich herausstellen wird. Hätten sie offen über seine Vergangenheit geredet, wäre vieles ganz anders gekommen ...


    Die Frauen in Gina Mayers Romanen sind meist stark bis abgebrüht. Und die Männer lavieren sich ohne großen Plan irgendwie durch – wenn sie denn überhaupt wissen, was sie wollen. Das ist hier nicht anders. Einen männlichen Sympathieträger gibt es allerdings: Schimanek, der den beiden Frauen die Kellerräume für die Praxis vermietet. Eine Schönheit ist er nicht: „Ein Mann, der recht groß war, aber klapprig wie ein Skelett und bleich wie der leibhaftige Tod und kahl wie ein Baum im Winter. Das war Schimanek.“ (Seite 100) Aber er ist freundlich, ehrlich, hilfsbereit und schätzt klare Verhältnisse. Man hätte ihm von Herzen mehr Glück im Leben gegönnt.


    Schimanek gelingt es, über seine Vergangenheit zu sprechen und so einigermaßen damit klarzukommen — was für ein Opfer vermutlich auch leichter ist als für einen Täter. Wer schuldlos in die Katastrophe geschlittert ist, muss sich und anderen ja nichts vormachen. Wer schuldig wurde, mag oft gar nicht daran rühren.


    Aus der sicheren Entfernung mehrerer Jahrzehnte zu urteilen ist leicht, aber nicht immer fair. Moral ist etwas, das man sich erst einmal leisten können muss. Wenn es ums nackte Überleben geht, so zeigt uns die Geschichte, ist sie ein entbehrlicher Luxus. Da sollten wir uns keine Illusionen machen.


    DAS MAIKÄFERMÄDCHEN ist nicht nur spannende Unterhaltung, sondern personifizierte Zeitgeschichte, die dem Leser so manche Erkenntnis beschert.


    Die Autorin:
    Gina Mayer, 1965 in Ellwangen geboren, lebt mit ihrer Familie in Düsseldorf. Bevor sie freie Autorin wurde, arbeitete sie als Werbetexterin.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Vandam ()

  • Zitat

    Die Frauen in Gina Mayers Romanen sind meist stark bis abgebrüht. Und die Männer lavieren sich ohne großen Plan irgendwie durch – wenn sie denn überhaupt wissen, was sie wollen. Das ist hier nicht anders. Einen männlichen Sympathieträger gibt es allerdings: Schimanek, der den beiden Frauen die Kellerräume für die Praxis vermietet. Eine Schönheit ist er nicht: „Ein Mann, der recht groß war, aber klapprig wie ein Skelett und bleich wie der leibhaftige Tod und kahl wie ein Baum im Winter. Das war Schimanek.“ (Seite 100) Aber er ist freundlich, ehrlich, hilfsbereit und schätzt klare Verhältnisse. Man hätte ihm von Herzen mehr Glück im Leben gegönnt.


    Wirklich tolle Rezi. Und dein Eindruck von den Frauen und Männern in diesem Roman entspricht ganz dem meinen. Die Frauen sind auf jeden Fall die stärkeren und aktiveren in dieser Geschichte. Allerdings haben ein Großteil der Männer hier wahrscheinlich Kriegs-Depressionen und sind nicht stellvertretend für alle Männer gedacht.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Gina Mayer vermittelt in ihrem Roman „Das Maikäfermädchen“ ein ebenso authentisches wie auch erschütterndes Stimmungsbild aus den Jahren unmittelbar nach Ende des 2. Weltkriegs. Es ist eine Zeit in der eine fast schon grausam anmutende „Jeder ist sich selbst der Nächste-Mentalität“ herrscht, eine Zeit in der die Menschen noch traumatisiert von Bombennächten und Naziterror, jetzt aus Hunger und Armut um ihr Leben fürchten müssen. Das ehemals so stolze und erhabene Deutsche Reich liegt in Trümmern und es sind gerade die Frauen, die in diesen Tagen sowohl physisch als auch psychisch über sich hinauswachsen müssen. Viele Männer sind gefallen und diejenigen, die nach Hause zurückkehren konnten, sind oft in vielerlei Hinsicht von ihren Erlebnissen und Erfahrungen in den Kriegsjahren gezeichnet.


    Düsseldorf gehört 1945 zur englischen Besatzungszone. Dort lebt und arbeitet die Hebamme Käthe. Ihr Mann Wolf kam bisher nicht aus dem Krieg zurück und mit ihrem Beruf lässt sich in diesen schweren Tagen nur wenig Geld verdienen. Eines Tages trifft sie auf Ingrid. Ingrid ist eine junge Frau und ungewollt schwanger. Sie bittet Käthe eine Abtreibung vorzunehmen und verspricht als Lohn einen teuren Pelzmantel. Da Tauschgüter kurz nach Kriegsende mehr Wert sind als Bargeld und Käthe dringend wieder einmal ihren hungrigen Magen füllen muss, willigt sie trotz starker Bedenken ein und nimmt den Eingriff bei Ingrid vor. Doch Ingrid ist nur eine von vielen Frauen, die in dieser Hinsicht Hilfe benötigen. Viele Besatzer dehnen ihre Gebietsansprüche auch auf hilflose Frauen aus und nehmen sich ohne Rücksicht, was sie wollen. Doch selbst wenn in diesen Tagen ein Kind aus und mit Liebe gezeugt wurde, geraten die jungen Mütter in große Schwierigkeiten. Nahrung und Kleidung reichen ja häufig noch nicht einmal für sie selbst, der Wohnraum ist mehr als knapp. Wie kann man in eine solche Welt ein unschuldiges Kind setzen? Käthes Freundin Lilo wittert deshalb hinter den Abtreibungen schnell eine geniale Geschäftsidee. Vor dem Krieg lebte sie als Arztfrau in gutsituierten Verhältnissen. Doch seit der Krieg zu Ende ist, sitzt ihr Mann nur noch mit zitternden Fingern auf seinem Lehnstuhl und kann nicht mehr praktizieren. Lilo muss als Trümmerfrau alleine für ihre zwei halbwüchsigen Kinder sorgen. Bald führen Käthe und Lilo eine stadtbekannte Abtreibungspraxis und der Strom der Patientinnen reißt nicht mehr ab. Doch je mehr Menschen von ihrer illegalen Tätigkeit wissen, desto größer wird auch die Gefahr für Käthe und Lilo.


    Die Story von „Maikäfer flieg“ war sehr berührend. Gina Mayer gelingt es den Leser in den Sommer 1945 mitzunehmen. Sie vermittelt eindrucksvoll das Bild der hungernden und verzweifelnden Menschen, die stundenlang und oft vergeblich in langen Wartschlangen stehen, um an knappe Nahrungsmittel zu gelangen. Die Beweggründe Käthes, von der Hebamme zur Engelmacherin zu werden, waren sehr nachvollziehbar aufgezeichnet. Die Autorin hat für diesen Roman ausführlich recherchiert, was sich in ihrer realitätsnahen Erzählweise positiv auswirkt. Obwohl die Wunden des Krieges im Buch nur langsam heilen, bleibt am Ende aber doch ein Hauch der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Kinder der nächsten Generation.

  • Zitat

    Original von Saiya


    Das kann ich für nur übernehmen. :write
    Zumal ich schon das ein oder andere Buch von Gina Mayer mit Begeisterung gelesen habe.


    Danke für diese tolle Rezi! :wave


    ich schließ mich da auch komplett an, danke für die tollen Rezensionen, das Buch kommt auf meine WL :-)

  • Hat mir unglaublich gut gefallen und wirkt noch lange nach. Ich empfinde den Schreibstil von Frau Mayer als unheimlich dicht. Sie braucht nur wenige Worte um das auszudrücken was sie sagen möchte. Ich habe das Buch nicht in einem Rutsch gelesen, sondern mehrmals beiseite gelegt. Dies empfand ich zuerst als störend. Im Nachhin muss ich allerdings sagen, ich habe es beiseite gelegt, weil es mich beschäftigt hat und ich über das gelesene nachgedacht habe, so habe ich es langsamer und intensiver gelesen. Und das als Schnellleserin :-)


    Eines meiner Highlights 2012.


    10 Punkte :-]

  • Eure wunderbaren Rezis kann ich nur unterschreiben.
    Ich habe das Buch in 2 Tagen verschlungen und jetzt lässt mich die Geschichte nicht los. Ich fand die einzelnen Schicksale sehr glaubwürdig dargestellt und ich bin (mal wieder) beeindruckt vom Erzählstil der Autorin.


    Von mir gibt es 10 Punkte für das absolute Lese-Highlight der letzten Monate.

  • Die berührende, vielschichtige und erschreckend realistische Geschichte zweier Frauen im Nachkriegsdeutschland – eine klare Leseempfehlung für alle, die damit umgehen können.


    “Das Maikäfermädchen” war das erste Buch von Gina Mayer, das ich gelesen habe. Ich bin vom Schreibstil der Autorin mehr als begeistert, weil sie es versteht, durch kurze und klare Sätze zu bestechen. Auch die Recherche-Arbeit ist garantiert nicht zu unterschätzen. Von der ersten bis zur letzten Seite habe ich mich tatsächlich nach Düsseldorf im Jahr 1945 versetzt gefühlt. Die Kulissen und besonders die Stimmung haben mich sofort ergriffen und das Szenario mehr als realistisch erscheinen lassen.


    Wir bekommen diese dramatische Geschichte aus der Er-Perspektive erzählt, weil die Protagonisten bzw. deren Sichtweise sich immer mal wieder ändert. Mit Käthe und Lilo als Hauptcharaktere haben wir zwar zwei vollkommen verschiedene Schicksale vor Augen, aber dennoch kreuzen sich ihre Wege. Schon alleine um einen gewissen Abstand zu dieser grausamen Zeit zu bekommen, war die Wahl der Erzählperspektive nötig.


    Insgesamt haben mich die Charaktere angesprochen. Ich habe ihnen ihre persönlichen Geschichten abgenommen und konnte ihre Motive und Beweggründe nachvollziehen. Egal ob sie nur einen kleinen Auftritt hatten oder ein Hauptcharakter waren: Frau Mayer hat ihnen das nötige Leben eingehaucht. Auch haben wir es hier mit absoluten Individualisten zu tun und nicht mit den üblichen Stereotypen, sodass ich sie gerne auf ihrem (schweren) Weg begleitet habe.


    Mein einziger kleiner Kritikpunkt geht an den Aufbau des Buches bzw. an den Spannungsverlauf. Die Geschichte wird nicht nur linear erzählt, sondern immer wieder von Rückblenden unterbrochen. Eigentlich bin ich ein Fan solcher Rückblenden, aber in diesem Buch war mir das dann doch ein bisschen zu viel. Manchmal haben wurden wir 14 Jahre zurückversetzt, dann wieder nur ein paar Monate. Jedes Mal musste man sich wieder neu zurechtfinden, wo man denn nun gerade zeitlich war. Für mich hat das den Lesefluss ein bisschen zu oft unterbrochen.


    Wer mit dem Thema “Abtreibung” nur schwer umgehen kann, sollte die Finger von diesem Buch lassen. Mehr als ein Mal bekommen wir sehr realistisch vor Augen geführt, wie ein solcher Schwangerschaftsabbruch von statten geht und was im Anschluss mit der Psyche der Frauen, Angehörigen und Protagonistinnen selbst geschieht.


    Abschließend kann ich sagen, dass mich das Schicksal von Käthe und Lilo wirklich berührt und mir die Geschichte ein paar nachdenkliche Lesestunden beschert hat. Ich werde ganz sicher noch mehr Bücher der Autorin lesen.


    8 Eulenpunkte

  • Ein Buch, das mir Kriegsfolgen und Nachkriegszeitprobleme deutlich machte, über die ich zuvor noch nie nachgedacht hatte.
    Gelegentlich hätte ich gern einige handelnde Personen schütteln oder wenigstens aufhalten wollen, aber andererseits sollte man aus unserer heutigen Perspektive vielleicht nicht so rasch urteilen.
    Auf jeden Fall ein nachhaltiges Buch!