Ambra
Sabrina Janesch
Aufbau
ISBN: 978-3351035006
372 Seiten, 22,99 Euro
Über die Autorin: Sabrina Janesch studierte kreatives Schreiben, Kulturjournalismus und Polonistik. Sie ist u.a. Gewinnerin des O-Ton-Literaturwettbewerbes des NDR, Stipendantin des Schriftstellerhauses Stuttgart und des LCB. Als erste Stadtschreiberin von Danzig erntete sie viel Medienaufmerksamkeit. Ihr Roman „Katzenberge“ wurde mit dem Mara-Cassens-Preis für das beste Romandebüt des Jahres, dem Nicolas-Born-Förderpreis und dem Anna-Seghers-Förderpreis ausgezeichnet. 2011 war sie Stipendantin im Ledig House/New York.
Klappentext: Es ist Herbst, als Kinga Mischa in der fernen Stadt am Meer eintrifft. Der Wind rast durch die Backsteinfluchten und kündet von einem turbulenten Jahr. Lediglich ein Bernstein, in dem eine Spinne gefangen ist, erinnert die junge Frau an ihren verstorbenen Vater. Noch ahnt sie nur, dass der Träger des Steins nicht bloß das Schmuckstück, sondern auch eine seherische Gabe geerbt hat: eine faszinierende wie dunkle Fähigkeit, die für Kinga zunehmend zur Qual wird.In der Stadt trifft sie auf ihre polnische Verwandtschaft. Die Familie Mysza arrangiert sich trotz aller Konflikte mit ihrem Zuwachs, bis zwei Menschen verschwinden, die Kinga sehr nahe standen: die schöne Renia und der kriegsmüde Bartosz. Plötzlich steht Kinga im Verdacht, ihre Kräfte missbraucht zu haben...
Meine Meinung: Nur zu gut ist mir noch das Romadebüt „Katzenberge“ von Sabrina Janesch in Erinnerung, das mir mit seinem etwas verwunschenem Erzählstil so gut gefallen hat. Auch in diesem Roman, der sicher literarisch noch eine Stufe über „Katzenberge“ steht, liegt über allem der Schleier von etwas Verwunschenem. Schon der Beginn, der ein ganz klein wenig an den Anfang von „Chocolat“ erinnert, hat mich eingefangen.
Sehr bald wird beim Lesen klar, dass es sich bei der Stadt am Meer um Danzig handeln muss und teilweise hätte ich mir gewünscht, diese Stadt wird einmal beim Namen genannt, doch es scheint, ihr würde es sonst an der Magie fehlen, die die Autorin ihr angedacht hat. Kinga, die hier nach dem Tod des Vaters landet, weil er ihr eine Wohnung vererbt hat, lernt ihre polnische Verwandtschaft kennen und beschließt zu bleiben, weil sie sich sonst nirgendwo zu Hause fühlt. Geschildert wird abwechselnd aus der Sicht Kingas und von einem unpersönlichen Erzähler, der die gesamte Situation überblickt. Er ist zeitweise auch nötig, da Kinga sehr weltfremd daherkommt und das, was sie erlebt, oftmals wie durch Watte sieht und seltsam unkonkret wirkt.
Es ist schwer, die Gesamtheit der Geschichte zu schildern, soviel verschiedene Dinge hat Sabrina Janesch hier sehr geschickt miteinander verwoben; ein Rückblick auf die oftmals schwierige Familiengeschichte der Myszas, Kingas aktuelle Situation, ihre Liebe zu Renia, die sie sich mit ihrem Cousin Bartosz teilen muss, dessen Kriegserlebnisse im Irak ihn nachhaltig traumatisiert haben, die Arbeit von Kinga und Renia in einem kleinen Varieté, die übersinnlichen Fähigkeiten der beiden und dann, vor allem immer wieder die Stadt.
Die Stadt am Meer, die die Menschen einfängt, die „ihr Maul so weit aufgesperrt hatte, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit Hunderte von Menschen in sich aufnehmen konnte.“ Die Stadt greift nach den Menschen, „das steinerne Antlitz verzogen, überschminkt und doch so voller Ausdruck und Wesen.“ - Oft trifft man auf so wunderbare Formulierungen, und wenn man aufmerksam liest, entdeckt man auch eine Anspielung auf die Blechtrommel - überhaupt ist es mit dem Buch wie mit der Stadt, man entdeckt immer wieder etwas Neues, die neue Stadt mit ihren Menschen, längst Vergessenes hinter alten Fassaden und befindet sich so auf einer Reise, die sich mit der Vergangenheit, aber auch mit der Gegenwart Danzigs befasst.
Die Autorin porträtiert Danzig auf ihre beeindruckende Weise, zauberhaft, voll Poesie und mit großer Erzählkraft. Ich war erneut fasziniert von ihrem Stil und hoffe, dass noch viele so wundervolle Romane von ihr folgen werden.
10 von 10 Eulenpünktchen