Urlaub wie bei den Fußbroichs...

  • ...aber freilich nur fast. Mit Draper durch die Krim.


    6Uhr früh, die Sonne knallt ins Zimmer. Erstmal auf den Balkon, die Aussicht ist fantastisch, Jalta, Schwalbennest und ganz viel Meer, die Temperaturen eher niederschmetternd. Erstmals überfällt mich die Ahnung, dass ich Schwierigkeiten bekommen könnte, bei diesem Klima meinen Wärmehaushalt unter Kontrolle zu halten. Aber egal, wir machen, wie das Kind es formulierte, zum ersten mal „richtigen Protzer-Urlaub, mit Pool und so“. Allerdings nicht auf Malle, sondern auf der Krim/Ukraine. Und das sollte doch ziemlich speziell werden...


    Wir wohnen, auch wenn der Kapitalismus hier natürlich längst Einzug gehalten hat, noch ziemlich sowjetisch, im Sanatorium Parus. Wie der Fuhrpark vor dem Haus schon vermuten ließe, wohnen hier ansonsten reiche Russen. Um so erstaunlicher, dass hier die gesamte Organisation noch stromlos abläuft, mittels Zetteln, die uns beim Einchecken überreicht werden.
    Der gelbe muss gut sichtbar ins Auto gelegt werden, um überhaupt aufs Gelände zu gelangen, der weiße Zettel wird bei so einer Art Concierge abgegeben, um den Zimmerschlüssel zu erhalten. Der rosarote Zettel geht an die Frühstücksmamsell (dazu später) und schließlich gibt es einen blauen Zettel, den man vorzeigen muss, will man mit dem Aufzug zum hoteleigenen Strand fahren. Ach ja, bezahlt wird die nicht unerhebliche Hotelrechnung natürlich in bar, mit diesen bunten Zetteln namens Grywna, weshalb wir am ersten Tag anfangen, Geld beiseite zu legen, um am Ende, mit den Hosentaschen voller Geldbündel, unsere Rechnung begleichen zu können.


    Sehr sowjetisch mutet auch die Strenge des sanatorischen Tagesablaufs an. Frühstück gibt es zwischen neun und zehn, das gesamte Hotel, Verzeihung, Sanatorium frühstückt also gemeinsam im turnhallengroßen Speisesaal. Beim ersten Frühstück muss besagter rosa Zettel bei einer jungen und hübschen aber gestrengen Frühstückbeauftragen abgegeben werden. Die sitzt vor einem großen, weißbeschichteten Brett, auf dem sämtliche Tische des Speisesaals eingezeichnet sind und auf dem die Hotelgäste mit Bleistift eingetragen werden. Offensichtlich bereitet die Transkription unserer Namen ins Kyrillische Schwierigkeiten, es brachte einigen Aufruhr mit sich, bis wir am richtigen Tisch am richtigen Platz saßen.
    Und dann kam das Frühstück, welches mein Kind erblassen ließ: Hackfleichklops mit Buchweizengrütze und saurer Gurke. Zudem standen 300 Portionen Kascha bereit, Buchweizenbrei, dem von unseren Mitreisenden eifrig zugesprochen wurde, freilich nicht von dem Kind. Das knabberte missmutig an einer geschmacksfreien Bisquitrolle und versuchte ansonsten, sich durch reichlich Zucker im Tee Frühstücksenergie zuzuführen. Und dann lag da noch dieser, klar, Zettel, leider auf kyrillisch. Von dem und unserer vermeintlichen Rettung durch unseren russischen Tischnachbarn, später.

  • Das klingt ja cool, so richtig 'Kulturschock'. Ich will auch. Ich liebe solche Sachen im Urlaub wo so alles anders ist und man sich erst zurecht finden muss. Ich freue mich schon mehr davon zu hören. :wave

  • Ja, da war also unser russischer Tischnachbar, der ganz leidlich englisch sprach, und uns unter seine Fiitiche nahm. Besagter Zettel war nämlich dazu da, das Frühstück für den nächsten Tag zu bestellen. Und ha, da gab es doch tatsächlich eine Rubrik „europäisches Frühstück“! Der Urlaub schien gerettet. Allerdings habe ich durch meine ausgeprägte Smalltalk-Inkompetenz das zarte Pflänzchen einer wunderbaren deutsch-russischen Freundschaft im Keim erstickt. Da er so gut englisch sprach, ging ich davon aus, das es sich hier um einen Hauptstädter handeln müsste und fragte, ganz Frau von Welt: „You are from Kiev?“ Verächtlicher Blick: „No, from Moscow“. Und nachdem er erwähnte, dass er öfter zu Konferenzen in Köln sei, tat ich erfreut und fragte, er arbeite wohl an der Uni. Da kam dann nur noch ein „Insurance Company!“ Irgendwie hatte er dann keine Lust mehr, weiter mit mir zu reden. Aber das war ja auch nicht mehr nötig, wir wussten ja jetzt, wo wir unser Häkchen für europäisches Frühstück machen mussten. Was wir nicht wussten, war, was sich Ukrainer unter europäischem Frühstück vorstellen.
    Als wir das dann wussten, überkam meinen Mann ungekannte Experimentierfreude. Zuerst versuchten wir, das ukrainische Frühstücksangebot zu entziffern, manchmal glaubten wir tatsächlich „Schnitzel“ oder „Kotelett“ erkannt zu haben, aber im Prinzip war das auch egal, bestand doch fast jedes Essen aus der gleichen Hackfleisch-Grundmasse und variierte nur in Form (rund oder länglich oder kugelig) und Beilage (Kartoffelbrei oder Buchweizengrütze).
    Irritierend war nur, dass die anderen Gäste dieses Essen völlig gleichgültig zur Kenntnis nahmen. Da polkt eine russsische Barbiepuppe mit Fingernägeln wie eine Dragqueen unbeeindruckt in ihrem Haufen Hühnergerippe, Typen, die Autos fahren, die ungefähr so viel gekostet haben müssen wie unser Haus, löffeln brav ihren Brei und alle finden es normal, eine Viertelstunde an einem der zwei Kaffeeautomaten anzustehen.
    Oder sich eben das als Frühstück andrehen zu lassen. Der Haufen Krautsalat mit dem vertrockneten Käse und dem hartgekochten Ei ist also europäisch, und das gab es so vierzehn Tage lang :lache

  • och schade, dass es hier nicht weiter geht mich Bericht. ich hätte zu gern gelesen, was Du noch so alles erlebt hast. oder gibt es das vielleicht irgendwo anders?


    der Geschmack scheint sich nicht geändert zu haben. ich war vor ca 23 Jahren mal in Sotschi und da gab es auch morgens, mittags, abends: Gehacktes und Kohl. ich kann mich immer noch an den ekligen Geruch (so kam es mir als Kind zumindest vor) erinnern und dass ich fast nichts gegessen habe.


    wo genau wart Ihr eigentlich?

  • Das sehe ich ja jetzt erst! :lache


    Also die Fussis würden sie im Leben Urlaub auf der Krim machen, eher schon in Dubai und beim Betreten des Zimmers erstmal so ordentlich Licht und sonstige Stromquellen einschalten, dass sich der Urlaub auch ja rechnet! :lache


    Gehts noch weiter oder habt Ihr nur gefrühstückt? :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • In der Tat haben wir im Urlaub mehr getan als nur gefrühstückt. Am ersten Tag geben wir uns dem Strom der Massen hin: pünktlich um zehn, wenn der Frühstückssaal geräumt wird, setzt der Ansturm in Richtung Strand ein: die Schlange, die gerade noch vor dem Kaffeeautomaten stand, steht nun vor dem Aufzug zum Strand, denn sämtlich Bewohner des Hotels wollen jetzt baden, sofort. Und damit nicht jeder, womöglich einheimische Ukrainer, diesen exklusiven Badestrand betreten kann, werden die Strandbenutzungs-Berechtigungszettel kontrolliert, bei uns seltsamen Ausländern besonders gewissenhaft (auch nachdem wir den Aufzug bereits zehn Mal benutzt hatten und im Hotel bekannt waren wie bunte Hunde, mussten wir doch jedes Mal diese Zettel aus dem Badebeutel kramen), was die Sache nicht unbedingt beschleunigt.
    Irgendwann kommen auch wir unten an, und es beginnt, das russische Strandvergnügen: Auf einem ca 30m langen und fünf Meter tiefen Kieselstrandstreifen drängeln sich 300 Menschen, davon ist noch die Fläche des Cafés abgeknappst.
    Die Damen unter 60 tragen String-Bikinis, bevorzugt in Signalfarben, Gucci-Sonnenbrillen und langes, blondiertes Haar. Die Damen über 60, die offensichtlich schon in die Generation der Großmütter übergewechselt sind, tragen ebenfalls knappe Bikinis, dazu aber 40 kg Bauch und Badekappen. Die Kerle jenseits der Pubertät sind alle dickbäuchig, kastanienbraun (die Haut, nicht das Haar) und haben eine Goldkette mit Kreuz um den Hals (ich nehme an, an der Dicke der Kettenglieder können Eingeweihte ziemlich genau das Jahreseinkommen ablesen) und oft auch eine tätowierte Ikone auf dem Rücken.
    Auf der kariösen Strandmole, die ins Meer ragt und den Strand so in zwei Abschnitte teilt, räkeln sich die besonders Schönen auf dem morschen Beton und veranstalten ein Fotoshooting. Ein dicker alter Mann posiert wie ein Pfau, beobachtet von mehreren aufgetakelten älteren Damen, um dann mit einem nur mäßig eleganten Kopfsprung ins Meer zu tauchen. Die Strandrettung verbreitet erfolgreich den Eindruck, dass eventuell Ertrinkende sich lieber nicht auf sie verlassen sollten.


    Weit und breit kein Platz für uns, geschweige denn im Schatten, aber Schatten ist ja auch was für mitteleuropäische Weicheier wie uns, wir ziehen uns also unter die Sonnenschirme des Strandcafés zurück, bestellen auf englisch zwei Kaffees, kriegen zwei Biere und dazu eine Speisekarte auf kyrillisch. Um uns werden die köstlichsten Gerichte serviert, die wir aber leider nicht dem Buchstabenwirrwarr auf der Speisekarte zuordnen können. Ich erinnere mich an den einzigen russischen Satz, den ich beherrsche. „Sto eta?“, was ist das, sage ich zur wunderschönen Kellnerin, und zeige auf den griechischen Salat am Nachbartisch. Es folgt ein russischer Wortschwall, ich verstehe das Wort Salat, sage „Da, spasiba!“, ja danke, und tatsächlich, wenig später wird mir ein solcher Salat serviert. Die Methode wenden wir erfolgreich bei einem Eis für Kaya und einem überbackenen Irgendwas für meinen Mann an, und fühlen uns gestählt, den Kampf gegen Kulturunterschiede und Sprachbarrieren aufzunehmen.


    Plötzlich leert sich der Strand, gegen zwei haben wir den Kiesstreifen für uns allein. Die Bewohnerschaft des Hotels tritt gesammelt zum Mittagessen an, Klops mit Kartoffelbrei oder Klops mit Buchweizengrütze oder womöglich Hünchengerippe mit Kartoffelbrei oder Buchweizengrütze. Wie schön, dass wir die Vollpension abwenden konnten! Das Kind taucht nach Seesternen und, natürlich, Fischen, der Mann kann endlich unbehelligt durchs Wasser pflügen und für mich finden sich endlich eine paar Quadratmeter Schatten am Fuße der Steilküste. So macht Ukraine Spaß!