Wieder mal eine "Jugenddystopie" (was für ein Wort) ... eigentlich mit einer netten Idee, aber die Umsetzung war mal wieder recht mittelmäßig. Für meinen Geschmack. Und gegen Ende wars für ein Jugendbuch auch ziemlich heftig ...
Rezension
„Mein Leben ist absolut perfekt“ – spätestens nachdem Evie diesen Satz drei Mal wiederholt hat, ist dem Leser klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Dabei sieht ihr Leben tatsächlich perfekt aus, wenn man auf die traumhafte Unterwasserstadt blickt und ihren Status als Tochter der Stadt betrachtet. Der Garten, den Evie angelegt hat, ist ihr Zufluchtsort, sie kümmert sich liebevoll um die Blumen und macht Näharbeiten. Für Mutter hält sie zudem Audienzen ab und hört sich die Wünsche der Bürger an. Ihr perfektes Leben bekommt den ersten Sprung, als ein Mann verzweifelt nach seiner Frau fragt – die laut Computer bereits vor einem Jahr gestorben ist. Doch diese Frau ist nicht die einzige, die einfach verschwindet. Und auch Evies Erinnerungen scheinen lückenhaft zu sein, zumal sie immer wieder bestimmte Sätze wiederholt. Als der Oberflächenbewohner Gavin in die Unterwasserstadt stolpert, will Evie ihn unbedingt retten – und macht damit den ersten Schritt, sich selbst zu retten …
Elysium erscheint auf den ersten Blick wie ein wahrgewordener Unterwassertraum, der von J. A. Souders zunächst stimmungsvoll inszeniert wird. Die Stadt erhält ihre Energie von einem schlafenden Vulkan und ist vollkommen autark. Über die Oberflächenbewohner hört man nur schreckliche Gerüchte, die Bürger Elysiums hingegen scheinen durch und durch Gutmenschen zu sein. Trotzdem gibt es in der Stadt Vollstreckerinnen, die all jene hinrichten, sie sich nicht an Mutters Vorstellungen halten. Junge Mädchen, die von Kindheit an aufs Töten konditioniert wurden. Zudem ist die komplette Stadt mit Selbstschussanlagen versehen. Schnell wird klar: Elysium ist ein Gefängnis und für Evie eine Art goldener Käfig. Mutter bestimmt ihr Leben, sucht sogar ihre Verehrer aus, mit denen sie sich verpaaren soll. Überhaupt dürfen sich die Bürger nur verpaaren, wenn ihre Gene zueinander passen. Und da Evie schon sechszehn ist, wird Mutter allmählich ungeduldig.
Die Geschichte wird aus Evies Sicht im Präsens erzählt, was sich durchweg gut liest. Allerdings erscheint sie anfangs wie eine verwöhnte und ignorante Prinzessin – was an ihrer regelmäßigen Gehirnwäsche liegt. Evie ist dadurch vergesslich und tut im Zweifelsfall genau das, was Mutter sagt. Sie wirkt wie eine Puppe, die man aufzieht und die ihre lieblichen Sätze abspult. Immer wenn Evie Zweifel kommen, wird sie zum Therapeuten geschickt. Gavin hingegen entspricht so gar nicht dem Bild der grausamen Oberflächenbewohner, das Mutter vermittelt. Er ist zufällig nach Elysium gelangt und wird sofort mit Mutters kompromissloser Brutalität konfrontiert. Als Gavin merkt, was mit Evie los ist, versuchen die beiden Mutter zu täuschen. Evie spielt weiterhin die Ahnungslose und erfindet diverse Ausreden, warum man den Oberflächenbewohner nicht gleich töten sollte. Doch letztlich bleibt den beiden nichts weiter als die Flucht, die sich hochdramatisch gestaltet und die dunkelsten Geheimnisse Elysiums ans Licht bringt.
Die Grundidee von „Renegade“ ist eigentlich sehr interessant und anfangs auch spannend umgesetzt. Doch in den technischen Details der Stadt mangelt es. Moderne Holotechnik und Plasmapistolen treffen auf aus dieser Sicht veraltete Kameras und Waffen. J. A. Souders bringt viele Ideen ein, doch in ihrer Kombination erscheint dem Leser manches nicht ganz logisch. Es scheint, als würde die Technik immer das hergeben, was die Protagonisten gerade weiterbringt. Aufgrund der doch sehr stimmungsvollen Atmosphäre kann man darüber noch mit einem Schmunzeln hinwegsehen. Doch in der zweiten Hälfte des Romans wird es für ein Jugendbuch sehr heftig: der Leser bekommt Szenen serviert, in denen sich mutierte Menschen gegenseitig auseinanderreißen. Gedärme fliegen, Blut spritzt im Überfluss und Jugendliche rennen mit Patronengürteln und schweren Waffen herum. Plötzlich befindet man sich nicht mehr ein einer Jugenddystopie, sondern in einem Zombiesplatter. Und bald fragt man sich: Was hat das noch mit der eigentlichen Geschichte zu tun?
„Renegade“ hat seine spannenden Momente und wartet mit einer mysteriösen Unterwasserstadt auf, die man sich gerne genauer anschaut. Das totalitäre Herrschaftssystem von Mutter lässt dem Leser kalte Schauer über den Rücken laufen, denn schnell ist klar, dass Elysium von einer Wahnsinnigen regiert wird. Makabererweise stellt niemand wirklich Fragen – der Grund dafür ist ebenso gruselig wie Evies Standardsätze, die sie hirnlos vor sich hinmurmelt. Die Protagonisten sind typische Jugendbuchhelden, wobei Evie eine unfassbare Verwandlung durchmacht. Anhand der Geheimnisse, die aufgedeckt werden, ist diese nachvollziehbar, aber für den Leser ein harter Kontrast zur Tochter der Stadt, die man zu Beginn kennengelernt hat. Insgesamt enthält „Renegade“ für ein Jugendbuch zu viele Grausamkeiten – und auch ältere Leser sollten sich fragen, ob sie ein blutiges Zombiespektakel lesen wollen.
Fazit
„Renegade – Tiefenrausch“ wartet mit einer interessanten und stimmungsvoll geschilderten Unterwasserstadt auf, die von Mutter mit eiserner Hand regiert wird. Elysium ist ein Gefängnis – vor allem für den Verstand seiner Mitbürger. Evie und Gavin sind dabei typische Jugendbuchhelden, auch die obligatorische Liebesgeschichte fehlt nicht und geht ans Herz. Doch der Lesespaß wird von kleinen Logiklöchern und blutigen Grausamkeiten in der zweiten Hälfte des Romans getrübt.