Die Kunst des Feldspiels - Chad Harbach

  • Chad Harbach: Die Kunst des Feldspiels
    Dumont Buchverlag 2012. 608 Seiten
    ISBN-13: 978-3832196264. 22,99€
    Originaltitel: The Art of Fielding
    Übersetzer: Stephan Kleiner, Johann Christoph Maass


    Verlagstext
    Chad Harbach hat den Traum von der »Great American Novel« wahr gemacht: ›Die Kunst des Feldspiels‹ ist ein literarisches Wunder, ein magisches Debüt, ein so kluger wie zu Herzen gehender Roman über den Abschied von der Jugend, über Leidenschaft und Liebe, Freundschaft und Familie. Der Gott des Spiels hat Henry Skrimshander ein Geschenk in die Wiege gelegt: Der schmächtige, unscheinbare Junge aus der Provinz ist das größte Baseball-Talent seit Jahrzehnten. Als er in die Mannschaft des Westish College aufgenommen wird, scheint sein Aufstieg in den Olymp vorprogrammiert. Monatelang macht er nicht einen Fehler. Doch dann geht ein Routinewurf auf fatale Weise daneben … und die Schicksale von fünf Menschen werden untrennbar miteinander verknüpft. Henry hat einen neuen Gegner: den Selbstzweifel. Sein Mentor Mike Schwartz macht die bittere Erfahrung, dass er Henry zuliebe sich selbst vergessen hat. Henrys schwuler Mitbewohner Owen muss sich von einem herben Schlag erholen. Rektor Affenlight lernt spät im Leben die wahre Liebe kennen und schlittert in eine gefährliche Affäre. Und seine Tochter Pella flieht vor ihrem Mann nach Westish – um auf dem Campus mehr als nur Sex zu finden. Während das dramatische Endspiel unerbittlich näher rückt, sind sie alle gezwungen, sich mit ihren tiefsten Wünschen und Abgründen auseinanderzusetzen. Am Ende wird einer von ihnen gleich zweimal bestattet, und die Leben der anderen werden nie mehr dieselben sein.
    ›Die Kunst des Feldspiels‹ erzählt von den Dingen, die uns ausmachen – den Fehlern wie den Obsessionen. Wer wissen will, was es bedeutet, hier und heute ein Mensch zu sein, der muss dieses Buch lesen.


    Der Autor
    Chad Harbach, geboren 1975, wuchs in Wisconsin auf und studierte in Harvard und an der University of Virginia. Er ist Redakteur der literarischen Zeitschrift ›n+1‹, die er gemeinsam mit Keith Gessen, Mark Greif und Benjamin Kunkel gründete. Chad Harbach lebt in Virginia. ›Die Kunst des Feldspiels‹ ist sein erster Roman.


    Inhalt
    Manchmal muss man zu seinem Glück gezwungen werden. Von einem Baseball-Roman hätte ich bislang befürchtet, er würde mich beim Lesen zu einem mir fremden Volksstamm versetzen, dessen Sprache ich nicht verstehe. Zum Glück hat mich trotzdem jemand zu Harbachs großartigem, zeitlosem Coming-of-Age- und College-Roman überredet.


    Im mittleren Westen der USA, "in der Daumenfalte des Baseballhandschuhs namens Wisconsin", liegt am westlichen Ufer des Lake Michigan das unspektakuläre Westich-College. Mike Schwartz, der Kapitän der College-Baseballmannschaft "Harpooners", entdeckt in Henry Skrimshander aus South Dakota ein Baseball-Talent wie aus dem Bilderbuch und wirbt Henry umgehend für die Mannschaft des Westich. Henry ist zu klein, zu leicht, zu wenig athletisch und dennoch ein begnadeter Shortstop. Als längst alle Zimmer verteilt sind, wird Henry noch zu Owen einquartiert, der sich bereits auf ein Semester ohne Mitbewohner eingerichtet hatte. Das einzige Buch, das Henry mit zum College-Studium bringt, ist "Die Kunst des Feldspiels", eine Bibel des Baseballs. Ein riesiger Kanister eines Muskelaufbaupräparats soll Henry in ein vierschrötiges Muskelpaket für das mittlere Innenfeld verwandeln. "Das hier ist Amerika, Verlierern verpasst man einen Arschtritt" (S. 57). Owen, ein vielseitig begabter Student, spielt selbst Baseball und verachtet die Professionalisierung des College-Sports. Der Neue wirkt wie das wandelnde Bild des Außenseiters, ehe Owen Henrys äußere Erscheinung dem Publikumsgeschmack anpasst. Dem männlichen Rudelverhalten auf dem Campus steht Henry anfangs hilflos gegenüber und leidet unter seinem Unverständnis. Owen verbringt die meiste Zeit mit seinem Lover Jason, und ohne Zimmergenossen scheint es für Henry unmöglich, am Westich außerhalb der Baseball-Mannschaft Kontakt zu knüpfen.


    Westich hebt sich aus dem Einerlei des Mittleren Westens durch seine Beziehung zu Herman Melville heraus. Dekan Affenlight spezialisierte sich als Student auf Melville und Autoren des 19. Jahrhunderts, er promovierte über die "kultische Überhöhung von Männerfreundschaften". Nun steht Affenlight kurz vor der Pensionierung und muss für sein College in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Sponsorengelder eintreiben, um konkurrenzfähig zu bleiben. Von Henry als Neuzugang für die Baseballmannschaft erhofft sich der Dekan eine Stärkung seiner Verhandlungsposition. Auch die College-Sportler stehen unter Druck; denn ihre weitere Zukunft hängt von ihren sportlichen Erfolgen ab. Die harten Kerle und Leute schindenden Trainer halten sich mit Alkohol, diversen Pillen oder christlichen Erweckungerlebnissen aufrecht, ehe sie ihr Scheitern zu ertragen lernen. Als "Buddha" Owen entgegen den Anweisungen seines Trainers auf der Reservebank ein Buch liest, wird er von einem Fehlwurf Henrys mitten im Gesicht getroffen und schwer verletzt. Owens sonderbarer Unfall im Stadion markiert eine Wende im Leben der drei jungen Sportler, des Dekans und seiner Tochter Pella. Dekan Affenlight, hingerissen von Owen, lässt sich von dem Jungen als Vorleser am Krankenbett vereinnahmen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ein Dekan wohl kaum eine homosexuelle Beziehung zu einem Studenten aufnehmen kann. "Laut zu lesen lag ohnehin bereits an der Grenze zur Intimität, eine Stimme, zwei Ohrenpaare, wohlgeformte Sätze - man musste es ja nicht gleich übertreiben. Er hätte Tocqueville mitbringen sollen. Oder William James. Oder Platon, Nein, nicht Platon." (S. 202) Kurz zuvor war Affenlights Tochter Pella nach dem Scheitern einer überhasteten Ehe in die winzige Dienstwohung ihres Vater im Westich-College zurückgekehrt. Pella war nach dem frühen Tod ihrer Mutter als Campus-Maskottchen unbeschwert durchs Leben gehüpft. Ob es sinnvoll ist, ihr Leben ausgerechnet an dem College wieder auf Linie zu bringen, an dem ihr Vater Dekan ist, und eine Affäre mit dem Kapitän der Baseballmannschaft zu beginnen?


    Fazit
    Die Begeisterung für Baseball war mir bisher ein Buch mit sieben Siegeln, "Die Kunst des Feldspiels" hat wenig zur Überwindung dieser interkulturellen Barriere beigetragen. Mit für deutsche Leser unaussprechlichen Familiennamen und einem sehr speziellen Humor sorgt Harbach für einen schrägen Unterton in den Ereignissen am College; z. B. zieht sich als Running Gag das Wort "GÄ.TE" für die gegnerische Mannschaft durch den Roman; denn auf der defekten Anzeigetafel im Stadion fehlt ein Buchstabe. Harbachs nerdhafte Sportler gehen humorvoll miteinander um, ohne den Roman durch anbiedernde Jugendsprache zum kurzlebigen Modeartikel zu degradieren. Das komplexe Beziehungsgefüge in Harbachs Männerwelt mit Quotenfrau lässt einige Handlungsfäden im Nichts enden und war für mich nicht durchgehend plausibel. Zu unrealistisch schien mir, dass im täglichen College-Betrieb niemand die verbotene Beziehung zwischen Affenlight und seinem Studenten kommentiert. Harbach lässt seine Figuren berührende Momente der Nähe miteinander teilen, die heftig mit seiner Karrikierung von Männerbildern und Männlichkeitsidealen kontrastieren. Mit dem Abstand einiger Jahre werde ich den Roman sicher noch einmal lesen; denn er enthält eine Reihe unvergesslicher Szenen, die ich zu gern jemandem vorlesen würde.


    Textauszug
    "Nach vier Fehlern des Pitchers bekam Starblind die First Base geschenkt, Sooty Kim beförderte ihn mit einem Abtropfer zur Second, und Henry rückte nach einem Schlag am Ohr des Werfers vorbei auf die First Base. Schwartz pfefferte einen Mondball ins linke Mittelfeld." (S. 196)


    9 von 10 Punkten

  • Ich lese grad.
    Wurde auch zu meinem Glück gezwungen. Überredet ist da schon zu milde ausgedrückt!


    Bin bisher (150 Seiten) sehr angetan, obwohl ich hier und da einen Baseballbegriff nachschlagen mußte....



    Rezi:
    Ich wurde von einem Freund seit Wochen mit diesem Buch "genervt". Das ist toll, lies das mal. Du mußt das lesen. Bitte lies es. Willst du es wirklich nicht lesen?


    Letztlich hat er es mir, die ich mir nie Bücher leihe, sondern sie immer besitzen muß, geliehen und ich kam nun nicht mehr drumherum, es auch zu lesen.


    Grundsätzlich läßt sich sagen, daß mir Harbachs Schreibstil tatsächlich sehr zusagt. Er schreibt detailliert, ohne sich im Detail zu verlieren, seine Charaktere sind ausgereifte und sinnvoll handelnde Figuren. Die Geschichte ist eine spannende und interessante und der Leser wird ganz klar von dieser zumindest mir gänzlich fremden Welt der amerikanischen Colleges und des Baseball eingenommen. Zwar fehlte mir häufig das Verständnis, sei es über das amerikanische Schulsystem oder aber über die Abläufe beim Baseball, dennoch fand ich den Text von Harbach gut zu lesen und nachvollziehbar, wenn mich auch die englischen Begriffe etwas gestört haben, da hätte ich mir auch bei den Baseballfachbegriffen entweder eine Erklärung, ein Glossar oder aber eine verständliche Übersetzung gewünscht, so mußte ich doch recht häufig googlen, was denn nun ein Shotstop oder sonstiges ist.
    Das läßt sich aber verschmerzen, warum dieses Buch trotz seiner durchaus faszinierenden Handlung und des wirklich sehr angenehmen Stils von mir nicht die volle Punktzahl erhält, erkläre ich gern.
    Im Buch sind verschiedene Handlungsstränge miteinander verwoben, einer der zum Ende hin immer mehr Gewicht bekommt, ist der um die schwule Beziehung des Studenten Owen und den Westish Präsidenten Affenlight. Ich bin sicherlich nicht homophob veranlagt, ich mag auch Bücher um lesbische oder schwule Liebesbeziehungen, aber dies hier war für mich schlichtweg unrealistisch oder aber die Gefühle des Präsidenten nicht klar genug dargestellt. Ich konnte beim Lesen die Beweggründe für diese absurde Beziehung einfach nicht nachvollziehen und daher hat mich dieser Erzählstrang total gestört und mir auch viel vom bestehenden Lesegenuß genommen.


    Dennoch würde ich sagen, daß "Die Kunst des Feldspiels" ein wirklich guter Entwicklungsroman ist, der die ganzen Sehnsüchte, die Zerrissenheit, das Chaos von jungen Menschen wunderbar darstellt und der beim Lesen auch sehr viel Spaß gemacht hat, während er gleichzeitig zum Nachdenken und Verweilen einlud.

  • Ich spar mir hier, den Inhalt zu wiederholen.


    Ich habe das Buch nach dem Eulentreffen am Bahnhof in Hannover gesehen, hatte Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges und hab es einfach "nur mal so" aufgeschlagen (man konnte ja nicht sagen, dass ich an dem Wochenende nicht schon genug Bücher gesehen hätte :lache ) . Was soll ich sagen: Ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen.


    Ich tat mich natürlich leichter als Babyjane, mich im amerikanischen Schul- und Gesellschaftssystem zurechtzufinden, auch wenn Baseball auch nach Ende der Lektüre immer noch ein Buch mit sieben Siegeln für mich ist. (Ganz zu schweigen, wie oft ich in Amerika versucht habe, Sinn und Zweck dieses Spiels zu verstehen!)


    Aber darum ging es hier auch gar nicht. Fasziniert hat mich, mit welcher Sogwirkung der Autor seine Personen erschaffen hat, wie leidenschaftlich (und amerikanisch erfolgsorientiert) sie agieren, wie sie in ihren eng umgrenzten Welten leben und leiden.


    Im Gegensatz zu BJ hat mir die diffizile Schwulengeschichte gut gefallen, aber dafür fand ich die einzige nennenswerte weibliche Hauptperson überhaupt nicht liebenswert, die wahllos und ohne Anlauf mit jedem ins Bett hüpft. Und trotzdem konnte ich die Handlungsweise eines jeden Protagonisten nachvollziehen. Immer noch bin ich stark beeindruckt von dem fast schon hypnotischen Schreibstil des Autors. Man merkt, dass dies ein Debüt ist, bei Debüts feilt man oft wesentlich länger an Formulierungen als später als Erfolsautor, wenn man meint, jedes Jahr ein neues Buch auf den Markt werfen zu müssen.


    Für mich ist "Die Kunst des Feldspiels" ein heißer Anwärter auf mein persönliches "Buch des Jahres".


    P.S. Es ist inzwischen als Tachenbuch herausgekommen.

  • Titel: Die Kunst des Feldspiels
    OT: The Art Of Fielding
    Autor: Chad Harbach
    Übersetzt aus dem Englischen von: Stephan Kleiner und Johann Christoph Maass
    Verlag: Dumont
    Erschienen: August 2012
    Seitenzahl: 607
    ISBN-10: 3832196269
    ISBN-13: 978-3832196264
    Preis: 22.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Der Gott des Spiels hat Henry Skrimshander ein Geschenk in die Wiege gelegt: Der schmächtige, unscheinbare Junge aus der Provinz ist das größte Baseball-Talent seit Jahrzehnten. Als er in die Mannschaft des Westish College aufgenommen wird, scheint sein Aufstieg in den Olymp vorprogrammiert. Monatelang macht er nicht einen Fehler. Doch dann geht ein Routinewurf auf fatale Weise daneben und die Schicksale von fünf Menschen werden untrennbar miteinander verknüpft. Henry hat einen neuen Gegner: den Selbstzweifel. Sein Mentor Mike Schwartz macht die bittere Erfahrung, dass er Henry zuliebe sich selbst vergessen hat. Henrys schwuler Mitbewohner Owen muss sich von einem herben Schlag erholen. Rektor Affenlight lernt spät im Leben die wahre Liebe kennen und schlittert in eine gefährliche Affäre. Und seine Tochter Pella flieht vor ihrem Mann nach Westish um auf dem Campus mehr als nur Sex zu finden.
    Während das dramatische Endspiel unerbittlich näher rückt, sind sie alle gezwungen, sich mit ihren tiefsten Wünschen und Abgründen auseinanderzusetzen. Am Ende wird einer von ihnen gleich zweimal bestattet, und die Leben der anderen werden nie mehr dieselben sein.


    Der Autor:
    Chad Harbach, geboren 1975, wuchs in Wisconsin auf und studierte in Harvard und an der University of Virginia. Er ist Redakteur der literarischen Zeitschrift ›n+1‹, die er gemeinsam mit Keith Gessen, Mark Greif und Benjamin Kunkel gründete. Chad Harbach lebt in Virginia. ›Die Kunst des Feldspiels‹ ist sein erster Roman (2012).


    Meine Meinung:
    Mit diesem Buch stellt sich Chad Harbach ohne Wenn und Aber in eine Reihe mit Jonathan Franzen oder auch Dave Eggers. Atmosphärisch dich und brillant erzählt. Eines dieser Bücher die man einfach nicht aus der Hand legen möchte. Es ist ein Buch über Baseball – ein Buch das aber auch jeder lesen kann, der von dieser Sportart keine Ahnung hat. Wobei Baseball eben nicht einfach eine Sportart ist – nein, Baseball ist eine Weltanschauung. Die handelnden Personen wirken unglaublich authentisch und nach gelesenen 607 Seiten fällt es nicht leicht sich von diesem Buch, von dieser erzählten Geschichte zu verabschieden.
    In diesem Roman geht es auch um Obsessionen – aber dabei schafft es dieses Buch selbst obsessiv auf seine Leserinnen und Leser zu wirken. Fast schon ein Sog, der von diesem Buch ausgeht.
    Bekannte Autoren haben sich sehr positiv über diesen Roman geäußert:
    Jonathan Franzen: „Debütromane von solcher Vollkommenheit und Sogkraft sind sehr, sehr selten.“
    John Irving: „Chad Harbach hat das Spiel für sich entschieden. Wunderbar zu lesen, das reinste Vergnügen.“
    Lob aus sehr berufenen Mündern.
    Es hat einfach viel Freude gemacht dieses Buch zu lesen, sich völlig in diesem Buch „zuhause zu fühlen“ - ein Buch mit dem Zeug einer der Jahreshighlights zu werden.
    Sehr lesenswert – 10 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Die allgemeinen Informationen schenke ich mir an dieser Stelle, die wurden schon alle genannt. Mein Fazit zum Buch:
    Absolut empfehlenswert! Ich habe es auf einer Dienstreise spontan in der Buchhandlung gekauft nach einer Empfehlung des Verkäufers und dann weggelegt. Mein Mann hatte es dann zuerst in der Hand und ihm hat es sehr gut gefallen, sodass ich mich auch irgendwann herangetraut habe. Und mich hat es überrascht!
    Ich kann nicht einmal sagen, was genau an diesem Buch so fasziniert. Der Stil ist sehr gut, aber nicht irgendwie besonders, die Handlung zwar interessant, aber nicht spannend im Sinne eines Krimis o.ä. Und für die ausführlichen Beschreibungen des Baseballs interessiere ich mich eigentlich auch nicht. Aber etwas an diesem Buch hält einen fest.
    Im Prinzip geht es nicht einmal um wirklich große Ereignisse, ein paar junge Leute am College, die Baseball spielen (wollen). Und doch passiert mit diesen Menschen so viel, sie machen große Entwicklungen durch und das wird vom Autor brillant dargestellt.
    Vielleicht ist es die Lebensnähe der Handlung, die das Buch so gut macht: anders als bei den meisten Geschichten läuft es eben nicht auf den berühmten dramaturgischen Höhepunkt hinaus, zumindest nicht gefühlt (auch wenn es diesen natürlich gibt). Es ist einfach das Leben von mehreren Menschen, das mal aufregend und mal ruhig verläuft, sie reifen aber auch vom Kurs abkommen lässt. Und das wird so brillant beschrieben, dass man dieses Buch nicht mehr weglegen kann.
    Für mich ist es ein Buch über das Erwachsenwerden und über die Höhen und Tiefen des Lebens, die im Vergleich zu den großen Geschichten zwar banal erscheinen mögen, für den einzelnen Protagonisten aber die große Geschichte seines Lebens sind.

  • The Greater American Novel


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    Im Jahr 1973 legte der große, großartige Romancier Philip Roth seinen Roman „The Great American Novel“ vor, es war schon sein neuntes Buch, und mehr als zwei Dutzend weiterer folgten noch, bis sich Roth im Jahr 2012 vom Schreiben zurückzog. Im Jahr 2018 ist er gestorben, und er hat nie den Nobelpreis für Literatur bekommen, den ihm so viele gewünscht haben (meistens Leute, die nicht verstanden haben, wofür man ihn eigentlich erhält). Das Etikett von der „großen amerikanischen Erzählung“, zumeist einer Familiensaga, die mit der amerikanischen Geschichte, vor allem aber der amerikanischen Lebensweise und Weltsicht stark verwoben ist, während zugleich typische, besondere (nord-)amerikansche Erzählelemente verbaut werden, wird seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten von Autoren und -innen angestrebt, und obwohl Roth zweifelsohne zu denen gehörte, denen die Umsetzung auch mehrfach gelungen ist (mit „Amerikanisches Idyll“, „Der menschliche Makel“ und einigen anderen), war dieser Titel seinerzeit vor allem ironisch gewählt. Roth thematisiert in seiner satirischen, wortgewaltigen, fantasiereichen Erzählung um die erfundene „Patriot League“ die Frage, ob es die GAN schon gab und wer sie geschrieben haben könnte, aber im Kern geht es um Baseball, weil man nämlich keine GAN schreiben kann, in der es nicht um Baseball geht. Im Prolog wird sogar die Behauptung aufgestellt, dass es in „Huckleberry Finn“, „Schall und Wahn“ und eigentlich sogar in „Moby Dick“ eigentlich um Baseball gegangen ist. Denn Baseball ist die große, die umfassende Metapher auf die U.S. of A. Wer eine GAN, eine Great American Novel schreiben will, kommt an Baseball nicht vorbei. Baseball, das ist Amerika, und Amerika, das ist Baseball. Jedenfalls, wenn man mit „Amerika“ die U.S. of A. meint, was ja viele tun, vor allem Amerikaner. Also jene Nordamerikaner, die auf dem Staatsgebiet der U.S. of A. leben.


    Chad Harbach hat für seinen bislang einzigen Roman „Die Kunst des Feldspiels“ angeblich mehr als zehn Jahre gebraucht. Er hat in Harvard studiert und gibt seit Jahren die Literaturzeitschrift „n+1“ heraus, und „Die Kunst des Feldspiels“ war in Amerika (s.o.) ein großer Erfolg. Bei der Schlagzahl des Autors wäre demnächst eine weitere GAN zu erwarten, denn der Roman ist hierzulande im Jahr 2013 erschienen. Ich hatte ihn bislang nicht bemerkt und bin zufällig aufmerksam geworden, und dafür bin ich dankbar. Obwohl es um Baseball geht, eine Sportart, die mich noch weniger interessiert als Sport ohnehin schon. Obwohl es um Colleges geht, diese eigenartigen Mikrokosmen, die die intellektuelle, künstlerische und wissenschaftliche Energieversorgung der U.S. of A. darstellen.


    Henry Skrimshander ist eigentlich zu klein und zu schmal, um ein guter Baseballspieler zu sein, aber er hat eine Gabe, ein Talent – er ist ein exzellenter Shortstopper. Das sind die Leute, die links in der Mitte im ungefähr dreieckigen Baseballfeld stehen und laut Statistik die meisten Bälle abbekommen. Sie besetzen die wichtigste Defensivposition, und es geht bei ihnen darum, kurze Bälle – insbesondere Aufsetzer – sicher zu fangen und möglichst schnell und präzise eigenen Spielern zuzuwerfen. Genau das kann Henry mehr als gut, weshalb er vom Kapitän der Harpooners, der Mannschaft des Westish Colleges in Wisconsin, in dessen Mannschaft und an dessen College geholt wird, wo Henry mit Hilfe dieses Mannes – er heißt Mike Schwartz – in wenigen Monaten zum Star heranreift. Mehr als das: Henry wird durch das Training und seine hohe Konzentrationsfähigkeit so gut, dass er zu Beginn der Haupthandlung des Romans kurz davon steht, den legendären Rekord von fünfzig fehlerfreien Spielen einzustellen. Diesen Rekord hält ein Mann namens Aparicio, von dem auch Henry Skrimshanders Bibel stammt, das Baseball-Buch „Die Kunst des Feldspiels“, das Henry auswendig kennt.


    Aber das Personal, auf das wir als Leser am Westish College treffen, besteht nicht nur aus Leuten, die mit Baseball zu tun haben. Da ist Guert Affenlight, der College-Präsident, dem zugleich die Bekanntheit des Colleges zu verdanken ist, denn Affenlight hat vor Jahren einen Text von Melville ausgegraben, der eine Verbindung zur Gegend herstellt, weshalb die Harpooners auch Harpooners heißen und eine Melville-Statue auf dem Gelände steht. Affenlight beginnt eine zarte, unerwartet tiefe und natürlich klandestine Beziehung zu Owen Dunne, dem fragilen, intellektuellen Mitbewohner von Henry Skrimshander. Affenlights Tochter Pella kehrt zur gleichen Zeit ans College zurück, auf der Flucht vor ihrem Mann, der sie als eine Art Schmuckstück oder Kunstgegenstand betrachtet und aktiv an der Entfaltung hindert. Und, und, und. Das Personal in „Die Kunst des Feldspiels“ ist umfangreich, aber nie unübersichtlich, und Harbach baut durch die personale Erzählweise, die zwischen den Figuren hin- und herspringt, eine große emotionale Nähe auf. Allen Figuren ist gemein, dass sie mit den Zielen in ihrem Leben hadern, dass sie entweder orientierungslos sind oder so fixiert, dass es sich zur fixen Idee entwickelt hat.


    Und dann kommt es bei einem Baseballspiel zu einem tragischen, folgenreichen Unfall.


    Die Geschichte zieht einen wirklich schnell rein und entwickelt sich zu jener Art von Pageturner, dessen Ende man lieber immer weiter hinauszögern möchte. Die Figuren sind lebendig, die Dialoge sind sensationell, der Aufbau ist klug, stimmig und auf ausgewogene Art detailreich. Chad Harbach kann einfach großartig erzählen, ohne je lapidar zu werden, ganz im Gegenteil, denn die Konflikte, um die es in diesem Buch geht, sind groß, wirkmächtig, essentiell. Aber auch die Metaebene spielt eine nicht eben kleine Rolle, und die Themen, die der Autor bedient, sind vielschichtig – die Palette reicht vom Feminismus über allgemeine Sozialkritik bis zu einem differenzierten Diskurs über das amerikanische Bildungssystem, aber im Kern spielen persönliche Schicksale, Lebens- und Liebesgeschichten die Hauptrollen. „Die Kunst des Feldspiels“ ist kein Collegeroman und kein Baseballroman, sondern eine wahrhaft große, clever aufgebaute Erzählung, eine Very Great American Novel. Und interessanterweise ist es ein Aspekt, der eigentlich als Kritikpunkt genannt werden müsste, der dieses Gefühl ausmacht, denn es ist nicht immer zu hundert Prozent schlüssig und nachvollziehbar, warum die Figuren so agieren, wie sie das eben tun. Genau das macht diesen mächtigen, prächtigen Roman aus: Dass sein Personal einfach macht, was es will, ohne dramaturgische Rechenschaft ablegen zu müssen.


    Allein aufgrund seines deutlich geringeren Ausstoßes wird es Chad Harbach vermutlich nicht gelingen, je mit Philip Roth gleichzuziehen, weder mengenmäßig, noch, was die internationale Reputation anbetrifft, und mit ziemlicher Sicherheit wird man ihn nie für den Literatur-Nobelpreis handeln, selbst wenn man weiß, wofür der eigentlich vergeben wird. Aber ich bin sicher, dass Philip Roth dieser Roman auch sehr, sehr gut gefallen hätte.