Es hat mir keine Ruhe gelassen. Ich wollte dieses Thema doch nochmal aufgreifen. Da dies im Ursprungsthread nicht erwünscht war hier also einen neuen.
Tannenbernie, ich nehme dich beim Wort mit deiner Bereitschaft weiter zu diskutieren und werfe dir den Stock wieder zu...
ZitatAlles anzeigenAber nun zum wichtigen. Du hast mich gefragt, was für Übersetzungen ich im Sinn abe, da werfe ich mal ein paar in den Raum (ohne groß Recherche):
1) Smilla lehrt uns, daß Eskimos weit über einhundert Worte für Schnee haben. In der deutschen Sprache gibt es meines Wissens weit weniger. Meine erste Frage an dich also, wie übersetzt du die Prosa eines Eskimos, der über den Schnee in seinem Heimatdorf sinniert?
2) Nagel mich nicht ganz fest, aber ich bin recht sicher, daß südamerikanische Ureinwohner weit über einhundert Worte für grün und auch andere farben haben. Auch hier ist eine Übersetzung sicher interessant.
3) Ganz wüst wird es bei Wortwitzen. Du wärst der erste Mensch auf der Welt, der diese in verschiedene Sprachen übersetzen könnte.
4) Redewendungen sind ebenfalls großartig, besonders wenn sie durch jeweiligen Zeitgeist nur temporär entstehen und dann in verschiedenen Subkulturen noch verschiedene Bedeutungen haben - "Alter Schwede, hier geht ja der Bär ab. Da steppt die Kuh im Kettenhemd."
5) Slang ist dann noch besonders schön, gerade weil der außerhalb einer gewissen Subkultur dann noch andere Bedeutung haben kann. Gerade, wenn diese Subkultur in einem anderen Land nicht existiert, bin ich dann espannt auf eine sinnvolle Übersetzung.
6) Kommen wir zu Dialekten. Oder nein, lassen wir es lieber bleiben. Denn der Einsatz von Dialekten im Dialog von Handlungsträgern lässt sich einfach unmöglich übersetzen, das lassen schon die kulturellen Unterschiede verschiedener Länder nicht zu.
7) Ebenfalls witzig ist die Nutung von Wörtern, die einmal aus der historie heraus in andere Sprachen importiert wurden. So kennen wir in den romaischen Sprachen jeweils ein Wort für "König" und haben so ziemlich dieselbe Bedeutug für das Wort, egal ob in Frankreich, Deutschland, Spanien oder England. Das liegt natürlich an der Geschichte Europas, in der Könige in unserer Kultur entsprechend verankert waren. Als dann die europäischen Eroberer auf andere Kulturen trafen, nannten sie die dort vorhandenen souveränen Herrscher eben auch "König", owohl diese von ihren Traditionen und Hintergründen mit europäischen Königen nichts gemein hatten. So wird dann noch heute königen von diesem oder jenen Land gesprochen, obwohl das originalwort in der jeweiligen Sprache etwas anderes bedeutet.
Ein schönes Beispiel hatte ich erst letztens, als ich in einem speziellen Zusammenhang über "die größte Rasse der Jäger" gelesen habe. Das machte null Sinn für mich und ich überlegte, was gemeint sein könnte. Nun fand ich das original als "the greatest race of hunters" und sah das Problem des Übersetzers. "Race" wird normal mit "Rennen" oder "Rasse" übersetzt. Rennen schien dem Übersetzer keinen Sinn zu machen, also wählte er Rasse, was genauso quatsch war. Tatsächlich wird im englischen Slang "Race" auch für die Jagd verwendet, meist im Zusammenhang mit "der einen großen Jagd" auf eine bestimmte wertvolle Beute. Somit wäre die korrekte Übersetzung "Die größte Jagd der Jäger" gewesen - hörtsich super an. Ganz davon abgesehen, daß der Sinn verloren geht, da es im Deutschen nun mal kein entsprechendes Wort gibt, daß diese große Jagd ausdrückt.
Da du ja so eine schöne Auflistung geliefert hast, werde ich auch Punkt für Punkt darauf eingehen.
1) Dieses Beispiel finde ich ehrlich gesagt absurd. Ich gehe mal ganz stark davon aus, dass kein Mitglied dieses Forums eine Inuit-Sprache beherrscht. Sollte ich also Interesse an einem Inuit-Text haben, habe ich die Wahl zwischen einem Originaltext, von dem ich NICHTS verstehe, und einer Üersetzung (falls es eine gibt...), bei der zwar die Feinheiten des Schnees in der Sprache der Inuits verloren gegangen ist, ich jedoch einen Eindruck von der Erzähltradition der Inuits bekomme, von ihrer Vorstellungen von der Welt etc pp.
Mal davon abgesehen stehen mir im Deutschen ja mehr als ein Wort zur Verfügung um Schnee zu beschreiben. Ich kann den Schnee doch näher bestimmen: Schnee, der unter den Füssen quitscht, Schnee, der besonders geeignet ist ein Igloo zu bauen, bläulich leuchtender Schnee, dreckiger Schnee, pulveriger Schnee, grobkörniger Schnee ... was auch immer die Inuits mit ihrem spezifischen Schneebegriff meinen.
Dazu kommt, dass wir hier bislang ja eigentlich über die europäisch/amerikanischen Klassiker reden, wo es diese massiven sprachlichen Differenzen nicht gibt, ohne sprachliche Unterschiede nivelieren zu wollen.
2) Da gilt eigentlich alles, was ich zu Punkt 1) schon geschrieben habe auch. Im Übrigen haben wir auch im Deutschen eine ganze Reihe Worte für grün: Olivgrün, smaragdgrün, mint, laubgrün, blaugrün, moosgrün, flaschengrün, tannengrün, grassgrün, schilfgrün, türkisgrün, maigrün, dunkelgrün, blasgrün, farngrün, opalgrün, kieferngrün, minzgrün, pastellgrün. Zumal das Spektrum bei Farben ja grundsätzlich unendlich erweiterbar ist, du kannst eine Farbe ja auch einfach bananenblattgrün oder frühlingsschösslingsgrün nennen.
3) Wortwitze sind natürlich Tüftelarbeit. Wortwörtlich geht das tatsächlich eher selten. Aber gerade in den europäischen Sprachen gelingt es erstaunlich häufig Wortwitze ziemlich nah am Original zu übersetzen. Man erkennt die Verwandschaft dann doch. Ansonsten gibt es die Geheimwaffe der kompensierenden Übersetzung. Neigt ein Autor (wie Shakespeare) zu sexuellen Anspielungen, kann man die nicht immer an der entsprechenden Stelle mit übersetzen, Manchmal bietet sich jedoch an anderer Stelle ein entsprechendes Wortspiel im Deutschen an und dann setzt man es eben an dieser Stelle an. Um dem Geist eines Textes nahe zu kommen, ist es oft sinnvoller sich nicht sklavisch an die Vorlage zu halten.
Gerade Wortwitze sind im Übrigen ein besonderes Argument für die Übersetzung, da sie dem ungeübten Leser einer Fremdsprache mit ziemlicher Sicherheit entgehen und so ein ironischer oder humorvoller Unterton dem Leser vollkommen fremd bleiben, wohingegen eine gute Übersetzung so etwas übermitteln kann.
4) Wortwörtlich kann man solche Redwendungen sicherlich selten übersetzen. Aber es gibt doch in der Fremdsprache oft Redewendungen, die in vergleichbaren Kontexten von vergleichbaren sozialen Gruppen benutzt wird. Das ein Teil der kulturellen Konnotation dabei verloren geht. Aber auch hier wieder die Frage, hätte ein deutscher Leser, der den kulturellen Kontext wenig kennt, das überhaupt aufgeschnappt? Eher nicht...
5) Dialekte sind extrem schwierig zu übersetzen. Keine Frage. Man hat zwei Möglichkeiten. Man nimmt einen deutschen Dialekt, was ich persönlich schwierig finde, weil eine ganze andere Bedeutung mitschwingt, ob jemand wallisisch oder sächsisch spricht. Gerade bei regionalen Dialekten kommt ein kultureller Kontext mit rein, der die Geschichte ungünstig verfärbt.Anders ist es aber zum Beispiel, wenn man Pigiun-Englisch mit Pigeon-Englisch mit Elementen aus dem Rotwelsch übersetzt. Zweitens gibt es die Möglichkeit einen Phantasie-Dialekt zu erfinden, was zum Beispiel in "Willkommen bei den Sch'tis" wirklich gut gelungen ist.
Bei Dialekten haben wir außerdem wiederum das Problem, dass sie für einen Nicht-Muttersprachler oft extrem schwer zu verstehen sind. Also, habe ich auch hier oft die Entscheidung zwischen einer Übersetzung, wo ich zumindest etwas verstehe, und vollkommenem oder weitgehendem Unverständniss.
Du sprichst außerdem vom kulturellen Kontext. Aber es ist doch unsinnig anzunehmen, dass sich der kulturelle Kontext automatisch bei der Lektüre eines fremdsprachigen Textes erschließt. Wenn ich kaum eine Vorstellung von der englischen Klassengesellschaft habe und nicht weiß, in welchem Maße sich Klassenunterschiede in England sprachlich manifestieren, kann ich überhaupt nichts mit dem working class English sprechenden Protagonisten anfangen. Da kann ich die Figur sehr viel besser einordnen, wenn sie in Proldeutsch daherkommt.
7) Auch hier geht es wieder um außereuropäische Sprachen. Hilfreich ist da eine Fußnote, die die Unterschiede erklärt. Ich finde ja eh, Übersetzungen sollten viel mehr Fussnoten haben...