Frances Greenslade: Der Duft des Regens

  • Frances Greenslade: Der Duft des Regens
    Mare Verlag 2012. 368 Seiten
    ISBN-13: 978-3866481763. 19,90€
    Orignaltitel: Shelter
    Übersetzerin: Claudia Feldmann


    Verlagstext
    In den Wäldern im Westen Kanadas ist die Welt noch in Ordnung - zumindest für die Schwestern Maggie und Jenny. Sie lieben ihre Ausflüge zu den Seen, sammeln Pilze und Beeren, die Eltern spielen abends Karten. Doch Maggie ist eine geborene »Sorgenmacherin«, sie kann nicht anders, sie fürchtet um das Wohl ihrer Liebsten. Als der Vater bei einem Unfall ums Leben kommt, fühlt sie sich in ihren tiefsten Ängsten bestätigt, schlimmer noch: Es scheint sich die im Dorf vorherrschende Überzeugung zu bewahrheiten, dass ein Unglück selten allein kommt. Auf der Suche nach einem Lebensunterhalt lässt die Mutter die Mädchen bei einer fremden Familie zurück, vorübergehend, sagt sie. Doch die Tage werden zu Wochen, Wochen zu Monaten und dann zu Jahren - Irene bleibt verschwunden. Schließlich macht Maggie sich auf, die Mutter zu finden. Ihre Reise führt sie in Irenes Vergangenheit, bis an die Küste, zu einem alten Boot namens »Elsa«...
    Einfühlsam hinterfragt Frances Greenslade unsere Erwartungen an die Menschen, die unsere Eltern sind. Dass Maggie ihre Mutter nicht nur finden, sondern vor allem verstehen will, wie sie und ihre Schwester dem Leben trotzen und zu starken Frauen heranwachsen, davon erzählt dieser Roman in anrührender und mitreißender Weise. Die mystische Welt der kanadischen Wildnis wird so intensiv beschrieben, dass man zwischen den Seiten den Duft von Regen, Zedern und Meer in der Nase hat.


    Die Autorin
    Frances Greenslade, geboren 1961 in Ontario, Kanada, wuchs mit fünf Geschwistern auf der Niagara-Halbinsel auf. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Penticton, British Columbia, wo sie am Okanagan College Englisch lehrt. »Der Duft des Regens«, dessen Übersetzungsrechte bereits in mehrere Länder verkauft sind, ist ihr erster Roman.


    Inhalt
    Im Chilcotin Distrikt bei Bella Coola im westlichen Kanada hatten schon immer Pioniere gesiedelt, die nach ihren eigenen Vorstellungen leben wollten. Bis in die Gegenwart gab es hier genug Land und Wald für den, der hart arbeiten und der Natur nahe sein wollte. "Man ist frei und brauchte keinen Hunger zu leiden wenn man wusste, was man tat," hatte der Vater Maggie schon oft erzählt. Maggie und Jenny leben in den Wäldern Britisch Columbias mit ihren Eltern in einer einfachen Hütte; das Plumpsklo steht im Garten. Der Vater der Mädchen arbeitet als Holzfäller. Die Mutter Irene tut, was im Haushalt getan werden muss, selbst wenn sie keine Lust dazu hat. Mutter und Töchter genießen es, spontan in der Wildnis ein Zelt zu errichten, Feuer zu machen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Jenny spielt wie andere Mädchen mit ihren Freundinnen und ihren Barbiepuppen. Maggie streift gern gemeinsam mit ihrem Vater durch den Wald und hört seinen Geschichten zu. Maggies "zweites Gesicht" lässt ihr dabei im Wald schratige Wesen aus Blättern und Zweigen begegnen. Die jüngere der Schwestern sorgt sich um ihren Vater, wacht über seinen Schlaf, falls die Hütte unbemerkt vom Ofenfeuer in Brand geraten würde. Auch Maggies Vater ist beim Holzfällen als "Mister Sicherheit" bekannt, der stets überlegt handelt. Als der Vater der Mädchen trotz aller Umsicht tödlich verunglückt, gibt Maggie sich die Schuld daran. Sie hat mit dem Messer des Vaters gespielt und die gewohnte Ordnung im Haus gestört.


    Irene bleibt mittellos mit den kleinen Töchtern zurück, in der einfachen Hütte in Duchess Creek, die nur gemietet ist. Sie nimmt eine Stelle als Köchin in einem Holzfällerkamp an, die Töchter lässt sie gegen Bezahlung bei weitläufigen Bekannten. Ohne soziale Hängematte und ohne Verwandte, die sich um die Mädchen kümmern können, müssen die beiden weitgehend allein zurechtkommen. Als Irenes Briefe und Zahlungen ausbleiben, macht Maggie sich auf die Suche nach ihrer Mutter und deren Geschichte.


    "Im Notfall findest du immer natürlichen Schutz, hatte Dad im Herbst zu mir gesagt, als wir den Unterschlupf am See gebaut hatten. [...] Wenn du nur vorübergehend Schutz brauchst, gibt es fast immer irgendetwas, das du verwenden kannst. Aber du kannst dir genausogut einen Unterschlupf bauen. Es hilft dir beim Nachdenken und hält die Angst in Schach, bis du gefunden wirst." (S. 54) Wenn man im dünn besiedelten Britisch Columbia mit dem Auto von der Fahrbahn abkommt, darf man nicht in Panik loslaufen. Erst Schutz, dann Wasser, dann Feuer und Nahrung, hatte der Vater Maggie stets eingeschärft. Die Gespräche zwischen Vater und Tochter drehten sich darum, wie man sich im Falle eines Unfalls oder plötzlichen Wetterumschwungs einen einfachen Unterstand bauen kann, um zu überleben bis man von anderen gefunden wird. - "Shelter" (Obdach, Zuflucht) lautet der Originaltitel des Buches, "Nahrung, Wasser und Feuer" sind die Kapitel in Greenslades Roman überschrieben. - Da Maggie und Jenny noch viel zu jung sind, um ohne Mutter aufzuwachsen, müssen sie für den sicheren Unterstand in ihrem Leben von nun an selbst sorgen.


    "Ihre Briefe hatten geklungen wie die Jenny, die ich kannte, immer heiter, immer mit dem Kiel nach unten, wie ein gutes Kanu in tosendem Wasser. Aber am Telefon konnte ich etwas Dunkles hören, das auf der Lauer lag und nach ihr rief. Es fiel ihr schwer, sich über Wasser zu halten." (S. 233). Maggie, die Sorgensucherin, muss sich aktuell um ihre Schwester sorgen. Der Blick aus Maggies Perspektive weitet sich durch Briefe Jennys an Maggie, sowie durch die Erinnerungen des Indianers Onkel Leslie an den Vater und Erzählungen der Freundin Rita über Irene. Die Gespräche mit Rita ermöglichen Maggie, rückwärts durch ihr eigenes Leben zu gehen. Auch die Raben-Mythen der Haida-Indianer der Pazifkküste finden ihren Platz im Roman.


    Fazit
    Frances Greenslade erzählt eine anrührende Geschichte von mutigen Frauen und deren starken Töchtern, die sich während der 70er in Kanadas Wildnis durchschlugen. Nur der wird in der Natur überleben, der in Krisensituationen die Reihenfolge Schutz/Nahrung/Wasser/Feuer streng einhält. Es ist die Geschichte zweier junger Frauen, die erst ihre Wurzeln finden müssen, um selbst erwachsen werden zu können. Greenslade wirft neben großartigen Naturbeschreibungen zwischen den Zeilen die Frage auf, mit welchen Werten und Fertigkeiten wir unsere Kinder ins Leben entlassen wollen.


    Leser, die "River" und "Rubinrotes Herz, eisblaue See" mögen, werden Greenslades Erstlingsroman lieben.


    ... ein Tipp von buzzaldrin ...


    9 von 10 Punkten


    [SIZE=7]Tippfehler gefunden[/SIZE]

  • Was für eine Rezi! Siehst du mich sabbern? Um nicht gleich schon wieder SuB-Aufbau zu betreiben, sollte ich viellleicht erst mal "River" lesen. Das liegt schon auf meinem SuB.


    Aber auf meine WuLi hat es der "Duft des Regens" aufgrund deiner Rezi schon mal geschafft. Danke! :wave

  • Ich kann der wunderbaren Rezension von buchdoktor nur noch hinzufügen, dass ich diesem Buch ganz ganz viele Leser wünsche. Ein echtes Jahreshighlight!

  • Die Geschichte zweier Schwestern – Maggie und Jenny wachsen tief in der Wildnis auf. Ohne Strom und ohne fließend Wasser, doch sie lieben ihr einfaches Leben. Bis plötzlich ihr Vater bei einem Unfall ums Leben kommt. Danach wird nichts mehr sein, wie es einmal war…


    Vorweg muss ich sagen, dass man den Klappentext gar nicht lesen sollte, da dieser viel zu viel verrät. Die Geschichte selbst hat mich total gefesselt. Bereits nach den ersten Seiten konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen. Dabei passiert auf den ersten Seiten gar nicht mal so viel. Aber die Autorin hat einen so fesselnden, realitätsnahen Schreibstil, der es mir sehr angetan hat. Sie beschreibt die Lebensverhältnisse und die Natur so authentisch, dass sich der Leser sofort hineingezogen fühlt in diese wunderschöne Landschaft.Interessant war auch wie die Familie lebt: ohne Strom und ohne fließend Wasser, das Leben inmitten dieser Natur, verbunden mit Spaziergängen und Hütten bauen aus jeglichem Material. Dieser Lebensstil ändert sich allerdings schlagartig, als der Vater stirbt und ihre Mutter jegliche Verantwortung abgibt. Die Mädchen lernen es auf sich allein gestellt zu sein und versuchen mit der Situation so gut es geht klar zu kommen.


    Die Geschichte ist aus der Sicht von Maggie geschrieben und gegen Ende gibt es auch Abschnitte aus Jennys Sicht. Dadurch erfahren wir sehr gut, ws in den beiden Mädchen vor sich geht. Auch das Ende hat mir sehr gut gefallen. Hier hätte ich mir sogar vorstellen können, dass wir noch einige Details mehr erfahren. Doch auch so war der Abschluss schön stimmig.
    Es handelt sich auf alle Fälle um ein Buch, auf welches man sich einlassen muss - doch dann wird man nicht enttäuscht und erlebt ein großartiges Leseerlebnis.


    Fazit: Eine schöne und tragische Geschichte über die beiden Schwestern Maggie und Jenny. Durch den tollen Schreibstil der Autorin ein wirklich empfehlenswertes Buch. Ich vergebe 9 von 10 Punkten.

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Zum Inhalt ist schon genug gesagt worden, was ich nur bestätigen kann, daher gleich mein
    Fazit:


    Dieser Roman war ein wirklicher Lesegenuss für mich.
    Es geht um erwachsen werden und erwachsen sein, um Töchter und ihre Mütter, um Verlust und ums Überleben, das Überleben in der Wildnis und im Dschungel unserer zivilisierten Welt.
    Was mich wirklich an diesem Buch begeistert hat ist die feine Balance zwischen Leichtigkeit und Tiefe. Nichts in diesem Roman ist oberflächlich. Es ist ein Buch, das man, zum Beispiel aus Zeitmangel, aus der Hand legen kann, auch nach nur ein paar Seiten, und wenn man weiterliest, ist man sofort wieder intensiv mitten im Geschehen.


    9 von 10 Punkten von mir!