Inhalt:
Jamie ist gerade zehn Jahre alt geworden, aber sein Leben ist alles andere als kinderleicht: Nachdem seine Schwester vor einigen Jahren bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen ist, ist seine Familie zerbrochen: Seine Eltern haben sich getrennt und Jamie lebt mit seiner anderen Schwester Jas und seinem Vater alleine. Doch dieser scheint sich kaum noch daran zu erinnern, dass er noch zwei weitere Kinder hat und ertränkt seine Trauer in Alkohol.
Und auch in der neuen Schule wird Jamie von den Mitschülern nur geärgert. Die einzige, die zu ihm hält, ist Sunya. Wäre Sunya nur nicht Muslima, denn wie sagt sein Vater immer: „Muslime haben deine Schwester getötet!“
Meine Meinung:
Manchmal (ganz selten) hat man das Glück, Bücher von fast unschätzbarem Wert in der Hand zu halten. Sie sind so wertvoll, weil sie entweder besonders spannend sind, eine besonders interessante Geschichte erzählen oder – wie in diesem Buch – einfach unheimlich bewegend sind und den Leser auf eine ganz besondere Art und Weise berühren.
"Ich denke darüber nach, ob Mum ihre Zugfahrkarte schon gekauft hat. [...] Bestimmt kommt sie, bevor ich in die neue Schule gehe, weil sie mir noch Viel Glück und Sei Brav und diese ganzen Sachen sagen will, die Mütter eben so sagen. Und bestimmt will sie mich unbedingt in meinem neuen T-Shirt sehen. Ich werde es nicht mehr ausziehen, bis sie hier ist, sicherheitshalber. Ich werde es auch nachts anlassen, weil Superhelden nie Feierabend haben und Mum vielleicht wegen einer Zugverspätung oder einem Verkehrsstau erst abends ankommt. Vielleicht noch nicht heute, morgen oder übermorgen, aber wenn Mum schreibt Ganz bald, dann meint sie das auch so. Und dann will ich vorbereitet sein." (S. 30)
Schon auf den ersten Seiten war mir klar, dass „Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims“ ein solches Buch sein würde. Annabell Pitcher verleiht ihrem Ich-Erzähler Jamie eine unglaublich intensive Stimme, die mich von den ersten Sätzen an mitten in die Geschichte gesogen hat. Das Schicksal, was sie ihm zugedacht hat, ist unglaublich schwer, doch durch die Augen eines Zehnjährigen bekommt man als Leser einen ganz neuen Blickwinkel. So schwankte ich beim Lesen zwischen einem leisen Kichern, Tränen in den Augen und einem mitfühlenden Seufzen.
„Zuerst hatten wir Mathe, dann Geografie. Ich schaute kein einziges Mal zu Sunya rüber. Ich war ganz wirr im Kopf, und es kam mir vor, als hätte ich Dad verraten. Obwohl ich weiß Haut habe, ohne ausländischen Akzent spreche und finde, dass man Schwestern anderer Menschen nicht in die Luft sprengen darf, war Sunya irgendwie auf die Idee gekommen, mir muslimischen Schmuck zu schenken.“ (S. 38)
„Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims“ ist das traurig-anrührende Portrait einer Familie, die fast zerbrochen ist; und doch ist es voller Hoffnung. Es ist ein Buch, das ich mit Tränen in den Augen zugeklappt habe. 10 von 10 Sternen!
Das Buch wird bei Goldmann nicht gesondert als Jugendbuch veröffentlich - zumindest soweit ich weiß -, ist aber im englischen ursprünglich in einem Kinderbuchverlag veröffentlicht worden. Ich denke, man kann es sowohl als Jugendlicher als auch als Erwachsener lesen.