Kopfschuss - Susan Vaught (13-16 J.)

  • Klappentext:


    Er hat sich eine Kugel in den Kopf gejagt, soviel weiß er. Er ist halbseitig gelähmt, hat Erinnerungslücken und schleudert Wörter heraus, die er nicht sagen will und nicht sagen sollte. Das weiß er nur zu genau. Er ist ein Freak, auch das weiß er. Was er nicht weiß, ist: WARUM. Warum hat er das getan? Seine Mutter ist zerbrochen, seine Freunde gehen ihm aus dem Weg – und ihm fehlen anderthalb Jahre in seinem Hirn. Wird er die Wahrheit herausfinden? Eine verzweifelte Suche nach Indizien und Beweisen beginnt. Es ist das Puzzle seines Lebens...


    Meine Meinung:


    Wie muss es wohl sein, zu wissen, dass man versucht hat, sich das Leben zu nehmen, aber sich nicht mehr an die Gründe erinnern kann?


    Wenn man anfängt, „Kofschuss“ zu lesen, wird schnell klar: Diese Situation ist fürchterlich. Jersey ist verzweifelt auf der Suche nach Antworten. Warum? Warum hat er das getan? Er stellt eine Liste möglicher Gründe auf, versucht diese einzeln auszuschließen. Warum?


    Genauso wie Jersey möchte auch der Leser gerne wissen, was den Ich-Erzähler dazu gebracht hat, sich eine Pistole an den Kopf zu halten und abzudrücken? Stand er etwa unter Drogen? War sein Leben einfach nur ätzend? Hatte er etwas Schlimmes getan und wollte seine Schuldgefühle loswerden? Auf der Suche nach dem „Warum?“ begleiten wir Jersey in den ersten Monaten nach seiner Krankenhausentlassung.


    Die Geschichte ist nicht immer ganz leicht zu lesen, die Gedanken und Gespräche nicht immer leicht zugänglich. Denn Jersey leidet an einer Gehirnverletzung, so dass er seine Sprache nicht steuern kann. Viele Absätze lesen sich also wie „wirres Zeug“. Das hat mich anfangs etwas genervt, wurde aber bald zu einem absolut gelungenem Stilmittel. Ich war gezwungen, das zu lesen, was Jersey dachte. Ich habe mit ihm gelitten, wenn er in wichtigen Situationen nichts anderes herausbrachte als „Froschfürze. Schnürsenkel. Froschfürze.“ Ich konnte mich einfach unheimlich gut mit ihm identifizieren. Manchmal fast etwas zu gut, so dass ich mich zwingen musste, nicht zu tief in dem Buch zu versinken.


    So viel Gutes bisher, da muss dann ja auch noch ein bisschen Kritik kommen: Der Schluss!
    Wie schreibt man über das Ende einer Geschichte, ohne zu viel zu verraten. Nur so viel: Anfangs war ich etwas enttäuscht, doch jetzt nach einer kurzen Zeit und nach dem Lesen des Nachtrags vom Verlag erscheint mir dieser Schluss eigentlich genau richtig.


    „Kopfschuss“ ist zu Recht für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Es ist ein spannendes, fesselndes Buch, das sich mit einem sensiblen Thema auseinander setzt: Wie kommt es dazu, dass jemand versucht, sich das Leben zu nehmen? Wie können Angehörige und Freunde damit umgehen? Wie ist die Rückkehr ins Leben? 7 von 10 Sternen.

  • Hm, mir ging es am Anfang auch so, dass ich in Jerseys Sprache erst hineinfinden musste, aber dann hat mich das Buch richtig in den Bann gezogen.


    Welche Gründe hat man, wenn man seinem Leben ein Ende setzen will? Man ist mit Jersey auf der Suche nach der Antwort und taumelt dabei zusammen mit ihm durch den Alltag mit all den Leuten, die er "davor" - vor dem Schuss - schon kannte, aber die nun danach so anders sind. Seine Mutter. Sein Vater. Die Schulkameraden. Bei der Szene in der Toilette mit Zero und dem anderen Jungen musste ich beinahe weinen...


    Jersey hat mich immer mehr berührt. Und irgendwo waren auch die kleinen Szenen zwar nur kurz aufgegriffen, aber doch so intensiv wie bspw. die Szene mit dem Taxifahrer und dem Wechselgeld.


    Zum Ende:


    Bin immer noch sehr bewegt von dem Buch und finde das Buch für Teenies in der Altersklasse sehr wertvoll.


    10 Punkte.

  • Gleich vorneweg: Ich habe das Buch nach 157 Seiten abgebrochen.


    Dabei war ich ja erst ganz begeistert von dem Buch. Die Schilderungen klangen sehr glaubwürdig. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive im Präteritum aus Sicht des 17-jährigen Jersey Hatch.


    Er hat versucht, sich mit einer Pistole umzubringen. Die Kugel blieb in seinem Gehirn stecken, er konnte gerettet werden, hat aber körperliche und geistige Beeinträchtigungen zurückbehalten. Die linke Körperhälfte ist nur mehr begrenzt bewegungsfähig und sein Gehirn "zwingt" ihn, dauernd irgendwelche (meist unpassende) Wörter auszusprechen.


    Letzeres ist auf Dauer wirklich sehr nervig zu lesen. Es bläht das Buch regelrecht auf und man hat den Eindruck, nicht vorwärts zu kommen, weil ständig Wörter wiederholt werden.


    Was mich aber wirklich massiv gestört und zum Abbruch bewogen hat, ist die Botschaft, die die Autorin mit diesem Buch transportiert. Der Tenor ihres Buches: Selbstmörder sind schreckliche Egoisten, die wahren Leidtragenden sind die Angehörigen.



    Das empfinde ich als blanken Hohn. Wer den einzigen Ausweg im Suizid sieht, ist entweder total verzweifelt oder schwer depressiv. Das mit Egoismus gleichzusetzen ist eine Frechheit. Das Buch ist in meinen Augen Schrott! Total undifferenziert. Irgendwie "typisch amerikanisch scheinheilig". Sorry, netter kann ich das echt nicht schildern.

  • Rosha :
    (deine PN Box ist voll) ;-)


    Und allgemein, finde das sehr erstaunlich mit welch unterschiedlicher Betonung man manche Szenen in dem Buch lesen kann und was man dann wie interpretiert. :-) Allein von der sprachlichen Art hatte ich erwartet, dass das sehr polarisieren kann, weil man entweder da in den Stil richtig reinfindet oder nicht, aber sehr interessant, wie man auch die inhaltlichen Feinheiten anders bewerten bzw. sogar teilweise gleich bewerten, aber anders gewichten kann, sodass ein ganz unterschiedliches Lesefeeling zurückbleibt. :-)

  • Ich möchte mich nach dem Lesen eurer Rezensionen Roshas Sicht und Meinung anschließen. Die Botschaft: Selbstmörder sind schreckliche Egoisten wird tatsächlich nicht aufgehoben, auch wenn man diesen Jugendroman zu Ende liest.


    Dies hier schrieb vor kurzem im Lieblingsbuchthread, da ich den Tipp von dort hatte. Nun kopiere ich es auch hier hinein.


    Mich störte der Stil. Die konsequente Innensicht eines Hirngeschädigten hilft zwar einerseits, einen Einblick zu bekommen, wie sich ein junger Mensch nach einem Kopfschuss fühlt und welche immensen Schwierigkeiten beim Denken, Fühlen und im alltäglichen Leben auftreten. Die ständigen Wiederholungen von diversen Dingen, (Haferbrei, der immer gleichen Traum u.v.m.) hat eine Funktion, soll uns ja in den Kopf des armen Jersey hineinversetzen. Mir das war allerdings zu eindimensional Die Mutter und der Vater, Leza und Mama Rush bleiben blass wie Pappfiguren, da man nichts aus ihrer Sicht zu lesen bekommt, und wenn mir jemand - wie in diesem Buch - mit der Holzhammer-Methode etwas beibringen will, ist der Effekt: Widerstand. Und in diesem Falle auch noch Langeweile und Lust, das Buch einfach abzubrechen.
    Es wäre schon viel interessanter gewesen, wenn die Monotonie in Jerseys Leben unterbrochen worden wäre durch 2 weitere Perspektiven: Lezas Sicht und die von Mama Rush. Das hätte mMn das Lesen bereichern wesentlich interessanter machen können.


    Zuguterletzt mag dieser Jugendroman in den USA relevant sein, weil dort jede/r eine oder auch viele Waffen besitzen und mit sich herumtragen oder in seiner Wohnung/ seinem Haus herumliegen lassen darf. Klar, dass suizidgefährdete Jugendliche da nicht "widerstehen" können. Wenn es darum geht, die Gefahren der amerikanischen Waffenverliebtheit zu zeigen (Ein freier Mann in einem freien Land hat das Recht eine Waffe, um sich zu schützen), ist das Buch passend.
    Spoiler


    Ich kann da nur den Kopf schütteln.
    In Deutschland dürfte für Jugendliche, die sich umbringen wollen, ein Revolver/eine Pistole wohl eher selten das Mittel der Wahl sein, da sie sich diese erst umständlich illegal irgendwo besorgen müssten. Daher würde ich mir zu einem so wichtigen Thema wie Selbstmordgefährdung von Jugendlichen einen sensibleren, vielschichtigeren und unseren Gegebenheiten entsprechenden Roman wünschen.


    Einen positiven Nebeneffekt hat dieser sogenannte "Thriller" (der eigentlich ein pädagogisch motivierter Jugendroman ist) jedoch:
    Ich freue mich mal wieder, dass ich nicht in den USA leben muss und nicht immer und überall damit rechnen muss, dass irgendwer plötzlich herumballert und sich selbst oder andere umbringt. :grin


    Von mir gibt es dafür (insbesondere wegen der Botschaft) nur 2/10 Eulenpunkten.