"Du hast waaaas?", Schulles Augen funkelten gewittrig dunkelblau bis violett. "Soll ich dir jetzt eine scheuern, oder was?" Matze wollte sich genauer nach dem "oder was" erkundigen, er biss sich dann jedoch auf die Zunge, denn das rote Gesicht Schulles verhieß nichts Gutes. Deshalb teilte er seinem Partner mit, dass er mit der Option, eine in die Fresse zu kriegen, durchaus einverstanden sei.
Er hatte schon oft eine gescheuert gekriegt und wusste, dass das weniger weh tat, als andere Sachen, die möglicherweise hinter dem "oder was" stecken mochten. Schulle meinte, Matze sei ein Vollidiot, was dieser eifrig bejahte. Daran war schließlich nicht zu zweifeln. Hatte er doch das Notizbüchlein aus Schulles Putzkolonnen-Overall entfernt, um es auf einem Klodeckel in der Toilette des 14. Stockwerks zu hinterlassen. In der Hektik des Garderobenwechsels konnte das schon mal vorkommen. Sie befanden sich aber gerade im 23. Stock vor dem Safe, dessen Geheimcode in gerade jenem Notizbüchlein aufgeschrieben war.
Nicht nur der Geheimcode, sondern auch der Gebäudeplan und der Dienstplan des Wachdienstes, sowie einige Alarmanlagendetails waren darin festgehalten und außerdem die Adressdaten sämtlicher Kumpels von Schulle. Somit war das Büchlein relativ wichtig für das Gelingen des akribisch ausgearbeiteten Planes. Vielleicht war das Büchlein auch das allerwichtigste Element in diesem Plan. Vielleicht war es auch das Allerwichtigste überhaupt. So genau wusste Matze das nicht.
"Nimm doch seinen Geburtstag", schlug Matze vor, begab sich dann jedoch in sichere Entfernung außerhalb Schulles Schlagreichweite. Die persönlichen Daten des Firmeninhabers hatte sich Schulle offenbar auch nicht gemerkt, sondern in diesem kleinen schwarzen Büchlein notiert.
Schulle war sich darüber im Klaren, dass der Bruch grandios gescheitert war. Es blieb wohl keine Alternative, als Matze in den Lüftungsschacht zu schicken und ihn die 9 Stockwerke heruntersteigen zu lassen, denn alle anderen Wege waren aktuell alarmlagentechnisch völlig unbrauchbar. Mit etwas Glück würde es dieser Trottel noch rechtzeitig vor Bürobeginn schaffen und das Corpus Delicti vernichten. Er selbst sah es als weniger riskant an, sich im 23. Stock auf der Herrentoilette bis zum nächsten Morgen zu verstecken, um dann unbehelligt herauszuspazieren. Er würde dann wohl eine Weile untertauchen müssen.
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"Zerreißen und in kleinsten Schnipseln herunterspülen", war die unmissverständliche Anweisung gewesen. Als Matze sich dirch den engen Schacht heruntergekämpft und es tatsächlich zu der besagten Toilette geschafft hatte, grübelte er. Eigentlich war ja Schulle total okay, besonders damals in Fuhlsbüttel waren sie unzertrennlich gewesen. Matze hatte soviel von ihm gelernt, zum Beispiel in der Werkstatt, die Reihenfolge in welcher er die drei Palstikteile zu verbinden waren, das alles hatte ihm Schulle gezeigt. Damals war das Leben nicht so kompliziert. Sie hatten immer eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf.
Vielleicht würde es ja nicht so schlimm werden, wenn er das mit dem Zerreißen und runterspülen einfach vergaß, dachte er, als er das Büchlein im Ganzen in die Toilette warf. Dann begab er sich zu der Sicherheitstür und warf sich mit seinen 120 Kilo Muskelmasse dagegen. Irgendwie musste die Alarmanlage ja mal anspringen. Dann ging er zurück aufs Klo, und wartete, dass jemand ihn abholte.
Schulle würde das schon verstehen. Eines war doch klar. Verpfeifen würde er seinen Boss nie. Ganovenehrenwort!