Verlag: Carl Hanser, 2012
Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
Kurzbeschreibung:
Toto ist ein Wunder. Ein Waisenkind ohne klares Geschlecht. Zu dick, zu groß, im Suff gezeugt. Der Vater schon vor der Geburt abgehauen, die Mutter bald danach. Und doch bleibt Toto wie unberührt. Im kalten Sommer 1966 geboren, wandelt er durch die DDR, als ob es alles noch gäbe: Güte, Unschuld, Liebe. Warum, fragt er sich, machen die Menschen dieses Leben noch schrecklicher, als es schon ist? Toto geht in den Westen, wo der Kapitalismus zerstört, was der Sozialismus verrotten ließ. Nur zwei Dinge machen ihm Hoffnung - das Wiedersehen mit Kasimir und sein einziges Talent: das Singen. Es führt Toto bis nach Paris. Ein wütender, schriller Roman einer großen Autorin über das Einzige im Leben, was zählt.
Über die Autorin:
Sibylle Berg wurde in Weimar geboren. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht sowie Theaterstücke und Texte für verschiedene Magazine in Deutschland und der Schweiz, darunter "Das Magazin" (Zürich), "Allegra" (Hamburg) und das "Zeit"-Magazin. Sibylle Berg lebt in Zürich.
Mein Eindruck:
Sibylle Berg hat nach ihrem Erfolgsroman „Der Mann schläft“ wieder einen wichtigen Roman veröffentlicht. Und wieder beim Hanser-Verlag „Vielen Dank für das Leben“ erzählt von Toto, die ohne eindeutiges Geschlecht in der DDR geboren wurde.
Die Darstellung des Lebens eines Hermaphroditen lässt sofort auch den Vergleich mit Jeffrey Eugenides Middlesex aufkommen. Mit dessen literarischer Leistung kann sich „Vielen Dank für das Leben“ nicht direkt vergleichen, da dessen große Komplexität und Tiefe der Emotionen nicht erreicht werden kann. Aber auch Sibylle Berg erzählt viel. Totos Leben wird beschrieben von der Geburt 1966 an. Ungeliebt von der lebensuntüchtigen Mutter ins Kinderheim abgeschoben, wird Toto stets wegen des Andersseins ausgegrenzt. Das ändert sich auch nicht. als Toto später als junger Mann/Frau in den Westen ging. Beide Systeme sind gegenüber Menschen außerhalb der Norm erbarmungslos. Erst spät begegnet Toto ihren Jugendfreund Kasimir wieder, der eine innere Beschädigung mit sich herumträgt.
Es bleibt dem Leser aber eine spürbare Distanz zu Toto. Sie nimmt die Dinge gelassen hin, sie ist nicht fähig zu Hass oder Wut. Sie ist ein zutiefst menschliches, mitfühlendes Wesen. Eine Lichtgestalt vergleichbar mit Percy Anton Schlugen, der Jesusartigen Figur von Martin Walsers Muttersohn.
Durch die Überhöhung ist keine durchgängige Identifikation möglich, von der Autorin vermutlich auch nicht beabsichtigt.
Auffällig ist auch, dass Sibylle Berg mit Wut schreibt, aber das wohl dosiert und kontrolliert.
Ich glaube, das verstärkt die Wirkung! Wenn Sibylle Berg so weiter schreibt könnte sie langfristig zu der bedeutendsten literarischen Stimme deutscher Sprache werden.