Santos, Care, Die Geister schweigen, Orig.titel „Habitaciones Cerradas“, Übersetz. Stefanie Karg, Krüger Verlag, Frankfurt am Main, 2012, ISBN 978-3-8105-1945-0
Zur Autorin (lt. Klappentext):
Care Santos gelang mit ihrem Roman „Die Geister schweigen“ der internationale Durchbruch. Sie ist eine der meistgelesenen Autorinnen Spaniens und hat über dreißig Bücher für Erwachsene und Jugendliche veröffentlicht. Für ihr Werk wurde ie 1970 in Barcelona geborene Autorin vielfach ausgezeichnet; ihre Romane werden in vielen Sprachen übersetzt. Care Santos veranstaltet literarische Seminare und arbeitet als Literaturkritikerin für die Tageszeitung El Mundo. Sie lebt mit ihren drei Kindern in Barcelona.
Meine Meinung:
„Eine unmögliche Liebe gibt es doch in den verstaubten Winkeln jedes Menschen“ (Die Geister schweigen, S. 338) stellt ein Charakter in Care Santos vier Generationen umspannendem Roman „Die Geister schweigen“ fest, in dem es im Kern vor allem um die unmögliche Liebe des Malers Amadeo Lax geht, der für sich zur Erkenntnis kommt „Es gibt nur eine Möglichkeit, eine Frau festzuhalten: indem man sie malt.“
Barcelona 2010: Violeta Lax, in Amerika lebende Kunsthistorikerin und Fachexpertin für die Werke ihres Großvaters Amadeo Lax, erhält von einer Unbekannten eine geheimnisvolle Einladung nach Europa. Da sie ohnehin beabsichtigt, nach Europa zu reisen, nimmt sie die Einladung an. Ihre Reisepläne führen sie allerdings erst nach Barcelona, wo das Familienerbe, der großbürgerliche Palast an der Prachtstraße Paseo de Gràcia, in eine Bibliothek umgewandelt werden soll, obwohl er eigentlich ein Museum für Violetas Großvater, den berühmten Maler des Modernismo, Amadeo Lax beherbergen sollte. Bei den Restaurierungsarbeiten stößt man hinter einem Fresco auf einen zugemauerten Raum, der ein furchtbares Geheimnis und eine entsetzliche Lebenslüge offenbart. Die Ergründung dieses Geheimnisses lässt Violetas Europareise zu einer Reise in die Vergangenheit ihrer Familie werden und eröffnet ihr einige Erkenntnisse über sich selbst…
Barcelona 1899: María del Roser Golorons, Freigeist und glückliche Ehefrau des erfolgreichen Unternehmers Rodolfo Lax, zieht mit ihrer Familie und ihrem Personal in den prächtigen neuen Palast im modernsten Teil des aufstrebenden Barcelona, dessen Wände die kommenden Jahrzehnte alle Familienmitglieder mit deren Träumen, Ambitionen, Sehnsüchten, Leidenschaften, Auseinandersetzungen, Dramen und Geheimnissen beherbergen. Geheimnisse, die sie teilweise erst mehr als ein Jahrhundert später wieder freigeben…
Care Santos hat mit ihrem Roman „Die Geister schweigen“ eine faszinierende Familiengeschichte geschrieben, deren Sog sich dem Leser erst eröffnet, wenn er bereits langsam und unmerklich gefangen wurde. Ihre Erzähltechnik, die Geschichte über Bildbeschreibungen gemäß Kunstkatalogen oder –büchern, emails, Briefe, Zeitungsartikel und erzählte Abschnitte zu eröffnen, macht „Die Geister schweigen“ zu einer Komposition, deren Gesamtbild sich der Leser ohne jegliche Anstrengung genussvoll erschließen und Stimmung und Authentizität in sich aufnehmen kann. Wer aufgrund des Klappentextes einen historischen Roman erwartet, könnte enttäuscht sein. Auch wenn Care Santos das historische Umfeld des aufstrebenden Barcelonas integriert und insbesondere die Strömung des Spiritismus aufgreift, liegt ihr Fokus klar auf den Mitgliedern der Familie Lax und einigen eng verbundenen Personen, vor allem auf dem egomanischen, besessenen Amadeo Lax, dessen Charakter fast als Studie ausgearbeitet ist, und seinen obsessiven Beziehungen.
Die besondere Stimmung von Care Santos Roman wird durch die teils poetische Sprache in den erzählten Abschnitten und das seltene Hervortreten der erzählenden Geister des Hauses sehr unterstützt. Als besonders effektvoll habe ich die zeitgeraffte Rückblende im Abschluss des Romans empfunden.
Der Roman wird ergänzt durch einen Stammbaum der Familie Lax, eine Chronik wichtiger Familienereignisse, ein interessantes Personenverzeichnis und Anmerkungen der Autorin, in denen sie Fakten und Fiktion differenziert.
Wer gerne Romane über gut erzählte Familiengeheimnisse, gerne auch als Charakterstudie ausgearbeitet, liest, wer an den Romanen von Elia Barceló Freude hat und wem „Schwanendiebe“ von Elizabeth Kostova gefallen hat, wird zweifellos auch „Die Geister schweigen“ von Care Santos mögen.
10 von 10 Punkten