Ich hab das Buch nicht gelesen, aber ich sag trotzdem mal was.
Als Verhaltenstherapeutin würde ich im Idealfall natürlich auch keine Ratschläge geben. Ich glaube, das ist eine häufige Fehlannahme, dass VTler immer schön Ratschläge geben, aber in meiner Ausbildung habe ich das auch anders gelernt (was nicht heisst, dass es mir immer gelingt, keine Ratschläge zu geben ;-)).
Wir sind schon ein bisschen direktiver als Tiefenpsychologen, denke ich. Mit Tipps und Ratschlägen ist das aber immer so eine Sache. Es ist recht verführerisch, und man wird auch oft von Patienten nach Tipps gefragt, oft auch mit einer gewissen Dringlichkeit, aber gefühlt würde ich sagen, dass der Wunsch dahinter meist ist: "Geben Sie mir mal einen Tipp, wie ich mein Problem so schnell wie möglich loswerden kann, ohne Dinge dafür tun zu müssen, die irgendwie anstrengend sind oder Angst machen." Hinter so einem Wunsch steckt, meiner Meinung nach, aber nicht Faulheit, sondern ein hoher Leidensdruck. Meist haben die Patienten ja auch schon allerlei probiert, was nicht funktioniert hat und auch schon jede Menge Ratschläge bekommen. Da es aber so etwas wie ein "free lunch" im Leben nicht gibt, kann man als Therapeutin mit seinen Tiops nur scheitern. Es ist auch eher unwahrscheinlich, dass ausgerechnet ich die goldene Leiter aus dem Depressionsloch kenne.
Was ich hingegen machen würde, ist zunächst gemeinsam mit dem Patienten ein Störungsmodell erarbeiten, aus dem der Patient selbst ableiten kann, was der nächste Schritt aus dem Problem sein könnte. Ich kaue das Modell also nicht vor, sondern wir entwickeln das gemeinsam. Bei einer Depression könnte dies zum Beispiel ein Teufelskreismodell sein, dass gedrückte Stimmung und Energiemangeln dazu führen, dass man zu nichts Lust hat, was wiederum zu Inaktivität führt, was wiederum zu gedrückter Stimmung und Energiemangel führen kann, usw. usw...
Der daraus ableitbare Ausweg wäre, den Teufelskreis zu durchbrechen, indem man positive Aktivitäten aufbaut, auch wenn es erstmal schwerfällt. Der typische depressive Patient möchte aber an dieser Stelle lieber erstmal die schlechte Stimmung loswerden und nicht mehr so schlapp sein, bevor er irgendetwas macht, was Anstrengung kostet, wo er doch eh schon Energiemangel hat und auch das Gefühl, sowieso zu scheitern, was auch ein Symptom der Depression ist. Also lieber erstmal ausruhen.
Deshalb gebe ich auch nicht den Ratschlag, doch mal was zu machen, z.B. einen VHS-Kurs, denn darauf kriege ich nur ein "Aber ich bin zu schlapp/müde/depressiv/unfähig, so etwas zu machen". Stattdessen werfe ich nur erstmal als Hypothese in den Raum, dass sich die Stimmung und das Energielevel häufig verbessern, wenn man etwas macht. Dafür, dass ein Aktivitätenaufbau bei der Behandlung von Depressionen hilfreich ist, gibt es eine gewisse empirische Grundlage aus der Therapieforschung, trotzdem muss mir der Patient natürlich nichts glauben. Der Patient kann sich entscheiden, diese Hypothese selbst zu überprüfen, oder auch nicht. Zum Beispiel kann er ein Stimmungstagebuch führen, in dem er eine Zeitlang aufschreibt, was er im Verlauf des Tages gemacht hat und wie die Stimmung war (im Idealfall würde ich mit dem Patienten erarbeiten, wie man so eine Hypothese überprüft und nicht vorschlagen, doch mal ein Stimmungstagebuch zu machen). Häufig kommt dann dabei heraus, dass die Stimmung gut war, wenn er etwas gemacht hat und schlecht, wenn er allein auf der Couch gesessen und gegrübelt hat. Dass es also einen Zusammenhang zwischen Stimmung und Aktivitäten gibt.
An dieser Stelle, wo also der Zusammenhang hergestellt wurde, kommt der Punkt, wo sich die Patienten dafür entscheiden können, die Anstrengung auf sich zu nehmen und etwas zu machen, obwohl sie eigentlich aufgrund ihrer Depression keine Lust dazu haben. Also etwas zu machen, nicht weil es Spaß macht, sondern weil es sinnvoll ist im Kampf gegen die Depression. Wir kennen das alle, dass man sich aus irgendwelchen Gründen aufrafft, irgendetwas zu machen, zum Beispiel zu einer Feier zu gehen, obwohl man eigentlich keine Lust hat, aber man hat es der Freundin versprochen, und hinterher war es dann oft doch besser als man gedacht hat und manchmal hat es sogar Spaß gemacht. Eine Spaßgarantie gibt es aber von mir nicht. Man erhöht nur die Wahrscheinlichkeit, positive Dnge zu erleben.
Diese Erkenntnis. dass man erst etwas macht und sich dadurch die Stimmung verbessert, statt darauf zu warten, bis sich die Stimmung verbessert, um dann wieder etwas machen zu können, ist dann das, was der Patient in der Regel in der Depression noch nicht weiss.
Eine meiner Patientinnen hat sich in der Folge einer solchen Therapie übrigens mal entschieden, einen VHS-Kurs zu besuchen, und das war mit der Depression und dazu auch noch einem stressigen Job schon recht anstrengend für sie. Hat dann aber auch dazu beigetragen, dass sie stolz auf die neuerworbenen Fertigkeiten war, entdeckt hat, dass sie ein gewisses Talent hat, von dem sie nichts wusste und darüber auch noch neue Freunde gefunden hat. Dies hat sch positiv auf ihre Stimmung ausgewirkt. Es war aber nicht mein Ratschlag, einen VHS-Kurs zu machen, sondern auf die Idee ist sie selbst gekommen. Und ich würde deshalb nun auch nicht jedem vorschlagen, bei Depression einen VHS-Kurs zu machen. Was für jemanden eine positive Aktivität ist, ist ja auch von Person zu Person unterschiedlich.
Und das war natürlich nicht das einzige, was wir gemacht haben, sondern nur ein Teil davon.