Véronique Olmi: In diesem Sommer
Verlag Antje Kunstmann 2012. 272 Seiten
ISBN 978-3-88897-776-3. 18,95€
Originaltitel: Cet été-là
Übersetzerin: Claudia Steinitz
Verlagstext
Ein Sommerwochenende: Drei Paare treffen sich in einem Ferienhaus in der Normandie, um den 14. Juli zu feiern, wie jedes Jahr. Auf der Terrasse über dem Meer, im Schatten der großen Kiefer zusammen essen; die alten Zeiten beschwören und den jüngsten Klatsch austauschen jetzt, wo alle älter und die Kinder schon bald erwachsen sind, sehnt sich jeder nach der Geborgenheit vertrauter Rituale. Doch in diesem Jahr ist es anders als sonst: Delphine und Denis, die Gastgeber, stehen kurz vor der Trennung; Nicolas und die Schauspielerin Marie versuchen sich durch demonstrative Nähe über seine Depression und das Ende ihrer Karriere hinwegzutäuschen, und Lola hat wieder einen neuen Liebhaber mitgebracht. Und dann taucht noch der rätselhafte junge Dimitri auf. Warum erzählt er jedem eine andere Geschichte? Hat er es auf Jeanne, die Tochter der Gastgeber, abgesehen? Als beide in einer Gewitternacht vermisst werden, machen sich die Erwachsenen in ganz neuen Paarungen auf die Suche.
Die Autorin
Véronique Olmi wurde 1962 in Nizza geboren und lebt heute mit ihren zwei Kindern in Paris. In Frankreich wurde sie, als eine der bekanntesten Dramatikerinnen des Landes, für ihre Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seit 1990 hat die ausgebildete Schauspielerin zwölf Theaterstücke verfasst, am Anfang stand sie bei deren Aufführung auch selbst auf der Bühne und/oder führte Regie. Ihre Theaterstücke wurden in viele Sprachen übersetzt, einige Stücke liegen auch in deutscher Übersetzung vor (bei Suhrkamp) und werden in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgeführt. Ihr neuer Roman »Die erste Liebe« stand monatelang auf den französischen Bestsellerlisten.
Inhalt
Zum französischen Nationalfeiertag werden drei Paare und ein paar Jugendliche kurze Zeit gemeinsam in einem Ferienhaus in Coutainville in der Normandie verbringen. Delphine und Denis ahnen sicher, dass es die letzten Tage sein könnten, die sie gemeinsam mit ihren Kindern Alex und Jeanne verbringen werden. Jahr für Jahr hatte das Paar in den Sommern am Meer verfolgen können, wie die Kinder und ihre Spielgefährten heranwuchsen und wie alle anderen alterten.
"Die Sonne stand jetzt hoch, und das Meer war unsichtbar. Schon sah man die Gestalten, die auf die Jagd nach Krabben und Sandaalen gingen. Jedes Jahr war es so, die gleichen Gesten, die gleichen Bilder in derselben Landschaft und die Freude, sich wiederzusehen, mit klar verteilten Rollen und dem gemeinsamen Wunsch, das alles gelingen sollte. In diesem Jahr aber würde nichts so ablaufen wie erwartet." (S. 27)
Drei Paare, zwei Männer, die seit ihrer Schulzeit miteinander befreundet sind, Jugendliche und ihre gleichaltrigen Gäste, Eltern und Kinderlose - bereits in der Zusammensetzung der Gruppe, die in Coutainville aufeinander tifft, liegt Zündstoff für einen spannenden Familienroman. Feine in die Zukunft gerichtete Andeutungen lassen Konflikte zwischen den Gastgebern ahnen, die sich auch durch das Einladen von Freunden nicht verdrängen lassen. Mit Weinkeller, einer Putzfrau, die sich um das Haus kümmert, Golf und Reitsport demonstrieren Delphine und Denis bürgerlichen Wohlstand. "Sie hatten Geld im Blut". (S. 118) Man hält sich für etwas Besseres und meidet die Wochenenden, wenn die Einheimischen sich am Strand treffen. Marie, deren Karriere aus Altersgründen am Ende ist, kann bei ihren Freunden kaum auf Verständnis für ihre finanziellen Sorgen hoffen. Delphine hadert mit dem Erwachsenwerden ihrer Tochter Jeanne und Lola bringt wie in jedem Sommer wieder einen anderen Liebhaber mit nach Coutainville. Nicolas litt vor einiger Zeit an Depressionen und muss sich beim Sport mit seinen nachlassenden Kräften abfinden. Beim Zurschaustellen körperlicher Fitness am Strand kann Nicolas micht mehr mithalten. Die Rituale der Begüterten, die sich in ihrem Publikum gespiegelt sehen möchten, werden nicht nur ihm zur Last. Dimitri schließlich, ein junger Mann, der sich mit Jeanne am Strand unterhält, wird zum Katalysator und zur Projektionsfläche bisher sorgsam verdeckter Konflikte, als er Delphines Territorium betritt. Die Kiefer, die das Ferienhaus beschattet, wird symbolisch zur Kraftprobe zwischen Delphine und dem jungen Mann.
Fazit
Die von Véronique Olmi hingetupfte Stimmung der französischen Atlantikküste zieht beim Lesen sofort in ihren Bann. An den Ferientagen am Meer fallen die Masken. Paare, die einander nicht zuhören oder aneinander vorbei reden und ihre bisher unausgesprochenen Konflikte treten vor der Kulisse sommerlicher Sorglosigkeit deutlich hervor. Das Ende von Lebensphasen, Abschiede von Personen und von Illusionen lassen sich in der Ausnahmesituation nicht mehr verbergen, wenn die Beteiligten auf engem Raum miteinander auskommen müssen.
Für eine leicht lesbare Sommergeschichte in Einzelszenen entfaltet Véronique Olmis Roman in seinen Dialogen zwischen wechselnden Gesprächspartnern eine erstaunliche Tiefe.
9 von 10 Punkten