'Die Tote von Charlottenburg' -Seiten 001 - 082

  • Ein "Hallo" in die Runde! :wave
    Ich kenne die Vorgänger-Romane (oder ist es nur einer?) nicht, werde das aber schleunigst nachholen, denn der Einstieg in dieses Buch ist mir sehr leicht gefallen.
    Die Mischung aus Kriminalfall und Zeitzeugnis gefällt mir außerordentlich gut.



    Zitat

    Original von dyke
    ...
    Warum Clara nicht bei Leo einziehen kann, hat sich mir auch nicht ganz erschlossen?
    Die Wohnung hat doch mindestens 4 Zimmer – Wohn-, Kinder-, Schlafzimmer und ein Zimmer für Leos Schwester. Was spricht dagegen, dass alles so bleibt wie es ist und Leo und Clara arbeiten gehen? Doppeltes Einkommen und einmal Miete gespart !


    Was ist mir da entgangen?
    ...


    Ich denke, dabei spielen zwei Sachen eine Rolle.
    Leo wirkt mir jetzt nicht als der morderne Mann schlechthin. Was ist mit Claras Freiheit, wenn abends kein Essen auf dem Tisch steht und sich die Wäscheberge türmen?
    Er wirkt auf mich shcon so, dass er erwartet, dass die Ehefrau ihre "Pflichten" im Haushalt erfüllt. Zumindest in der Praxis.
    Das Geld scheint für eine Haushälterin nicht zu reichen.
    Und Ilse?
    Sie ist dabei, sich abzunabeln und ihr eigenes Leben zu leben. Was wäre das für ein Leben? Erst die Eltern pflegen, dann beim Bruder als Mädchen für alles?
    Ich finde es gut, dass die ihre eigenen Wege geht.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Bücherfrau
    Hm, ich hoffe, Leo ist jetzt nicht zu unsympathisch geworden. Soll er ja nicht sein. Es ist gar nicht so einfach, Figuren zu erschaffen, die gute und schlechte Seiten haben und einfach menschlich sind. Das Problem hatte ich gerade in einer anderen Leserunde, wo eine Figur ganz schön kritisiert wurde, obwohl ich sie gar nicht so negativ gemeint hatte ;-).


    Leo ist gar nicht unsympathisch.
    Er ist aufrichtig und das in einer so schwierigen Zeit, das finde ich eine sehr gute Wahl.
    Ich lese am liebsten über Menschen mit Ecken und Kanten.
    Er ist ein Mann seiner Zeit. Wenn ich mir die Einstellung meines Vaters angucke, ist Leo sehr fortschrittlich. :lache
    Ich kenne mich in dem Zeitraum nicht aus, aber ich denke, dass es für Frauen kaum Möglichkeiten gab, Beruf und Familie zu vereinbaren. Es sei denn, man war reich genug, um eine Kinderfrau zu beschäftigen.
    Kindertagesstätten, Kindergeld...alles noch Zukunftsmusik. Insofern finde ich Claras Gedanken sehr nachvollziehbar und empfinde die Entscheidungsmöglichkeiten für Eltern heute als ein Privileg.


    Ich kann aber auch Leo verstehen. Was soll er ohne Ilse machen?
    Er könnte ein bisschen dankbarer sein und Ilses Arbeit mehr wertschätzen. Und hoffentlich deutet er die Anzeichen rechtzeitig.


    Und Ilse?
    Ich wünsche ihr von Herzen, dass sie ihren eigenen Weg geht. :-]


    So, nun ist es an der Autorin, aus diesem Dilemma einen Ausweg zu finden. :lache


    Zum Krimiteil:
    Ich bin gespannt, was es mit diesem Frauen-Club und mit dem ominösen Stratow auf sich hat.
    Und welche Substanz zum Mord geführt hat.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Regenfisch hat eigentlich alles gesagt, das kann ich so unterschreiben. Ich finde Leo überhaupt nicht unsympathisch, nur Ilse ggü. finde ich ihn etwas undankbar. Und Leo und Clara stecken beide in einem Dilemma - Leo wünscht sich Clara als Ehefrau, aber sicher dann auch als Mutter seiner Kinder und Hausfrau und dann könnte Clara ihre Bibliothek nicht weiterführen.
    Und Clara wünscht sich zwar Leo als Ehemann, möchte aber gleichzeitig ihre Unabhängigkeit bewahren und auch weiter ihre Bibliothek führen. Dann bräuchten sie aber eine dritte Person, die sich ums Haus und um die Kinder kümmert und das könnte Ilse natürlich nur machen, wenn sie im Haus bliebe und weiterhin ihr Leben hinter das anderer stellt, was man sich als Leser nicht wünscht.


    Tja, da bin ich gespannt, was Susanne sich da noch so weiter ausgedacht hat :grin


    Übrigens, der neue Kollege mit dem wunderbaren Namen Sonnenschein gefällt mir gut. Bin neugierig, ob er noch eine größere Rolle spielt.
    Und was hat Stratow wohl mit dem Tod der Ärztin zu tun...? Ich finde es übrigens sehr schade, dass man Henriette nicht vorher noch ein bisschen näher kennengelernt hat, denn sie scheint eine sehr interessante Persönlichkeit gewesen zu sein. Die Szene mit Clara am Strand war zumindest so, dass ich als Leser diese Figur sofort mochte.


    Das Schenken des Bildes von Leo an Clara fand ich auch total stark - "ich schenke dir diesen Tag" - einfach schön :-]

  • Hallo allerseits :wave


    Den Gedanken von Regenfisch stimme ich auch voll und ganz zu :fingerhoch


    Die Probleme von Leo und Clara sind wahrscheinlich nicht ungewöhnlich für die Zeit der 20er Jahre.
    Spätestens, wenn Kinder kamen, war für eine Frau die Berufstätigkeit beendet, auch weil es kaum Möglichkeiten gab, sie außer Haus betreuen zu lassen.
    Daher ist auch Ilse in Leo`s Haushalt so wichtig, ohne sie wäre es nicht gegangen.
    Die unabhängigen Frauen, wie Henriette ( die ich auch sehr gerne besser kennengelernt hätte), Clara, Magda und andere, sind alle kinderlos und unverheiratet.

  • Auch ich finde Leo nun gar nicht unsympathisch, sondern ich glaube, dass er nicht weit genug denkt.


    Ich fürchte, ihm ist gar nicht klar, dass seine Wünsche dazu führen, dass Clara für den Haushalt zuständig wäre. Aber warum muss Ilse gehen? Ja - eigenes Leben wäre schön, aber wäre da nicht auch eine Wohngemeinschaft denkbar und Ilse mit einer Arbeit zusätzlich?


    Die Frauen dürften sich doch nicht behaken? Das wäre doch nicht sooo schwierig, denn Ilse ist doch nicht eifersüchtig.

    Binchen
    :write
    Kein Lesen ist der Mühe wert, wenn es nicht unterhält. (William Somerset Maugham) ;-)

  • Susanne, auch ich "muss" mich allen anderen anschließen, ich find Leo auhc nicht unsympathisch, und seine menschlichen Züge zeigt er dann ja auch noch gegenüber Sonnenschein. Ich bin gerade mit Teil II fertig und es gefällt mir immer noch sehr gut!

  • Ich finde Leo ganz und gar nicht unsympathisch. Es wäre sehr seltsam, wenn ein vor 1900 geborener Mann, der somit der Generation meiner Urgroßeltern angehört, "moderne" Sichtweisen hat. Es war damals halt so, dass sich die Frauen der Mittelschicht um Haushalt und Kinder kümmerten, auch wenn das unserer heutigen Lebensweise widerspricht. Ich finde die unterschiedlichen Erwartungen sehr schön dargestellt und nachvollziehbar, mal sehen, wie es weitergeht. Für Ilse deutet sich eine Möglichkeit an, die fehlende Hilfe der Ärztin wird ja öfters angesprochen. :-] Ohne Ilse hätte Leo sowieso schon längst heiraten müssen, ob mit Liebe oder ohne.


    Was gibt es aus den Vorgängerbänden eigentlich noch wichtiges über Leo Wechsler zu wissen? Ich nehme an, er ist Clare irgendwann im 1. Band begegnet, oder kannten sich die beiden da schon? Die Einführung der Figuren finde ich sehr gelungen, es wird knapp gehalten und immer mit Handlung verknüpft, so dass auf den wenigen Seiten schon sehr viel passiert ist. Beschrieben werden die Protagonisten wirklich wenig, mich stört das aber nicht. Ich kann mich auch bei den historischen Romanen von Susanne nicht an das Äußere der Figuren erinnern, an ihren Charakter und ihr Wesen dagegen sehr gut.


    Mir gefällt auch sehr gut das Zeitbild, das "so ganz nebenbei" vermittelt wird. Besonders schmunzeln musste ich über den Dialog über das Radio - im Zeitalter von Fernsehen und Internet unvorstellbar!


    Auch die Krimihandlung läuft interessant an, wobei auch mir Henriette zu schnell stirbt. Allerdings lernen wir sie ja im Zuge der Ermittlungen immer besser kennen. Warum aber ist sich der Gerichtsmediziner so sicher, dass das evtl. Gift eingeatmet wurde? Es war doch auch der Magen angegriffen, oder?


    Ich nehme an, damals waren Abtreibungen verboten, oder? Für einen Mord gibt es momentan sehr viele Motive, wobei ihr Privatleben ja schon irgendwie vorrangig ist. Soll uns das was sagen?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    Ich nehme an, damals waren Abtreibungen verboten, oder?


    Das war doch noch der Fall bis in die 70er oder 80er - oder hab ich das jetzt in falscher Erinnerung (ich denk hier nur an das Stern(?)-Cover, auf dem irgendwelche Frauen gegen den § 218 protestiert haben, das ist ja noch nicht soooo lange (verglichen mit der Zeit bis in die 20er) her.

  • Nur ganz kurz und ohne eure vorherigen Posts gelesen zu haben.


    Ich habe den Abschnitt auf einen Rutsch gelesen und bin begeistert. Besonders das erste Kapitel hat es mir angetan, da konnte ich Hiddensee direkt vor mir sehen, obwohl ich noch nie dort war.


    Der Fall scheint ja kompliziert zu werden, wenn Jettes Freundinnen schon darüber nachdenken, was sie der polizei erzählen sollen und was nicht.


    Schön, daß Clara und Leo zueinander gefunden haben, auch wenn es jetzt erst einmal daran geht, das Privatleben zu überdenken und dann neu zu organisieren.
    Aber vielleicht kann Ilse ja bei Magda arbeiten und damit etwas unabhängiger werden, dass wäre ja schon mal ein erster Schritt aus dem Kuddel muddel.


    So, ich geh jetzt ins Bett morgen dann mehr.

  • Ich mag sie alle drei, Leo, Clara und Ilse und bringe für jeden von ihnen vollstes Verständnis auf. Dass Clara ihre Selbständigkeit nicht aufgeben möchte, ist aus heutiger Sicht normal und aus damaliger wahrscheinlich sehr modern gedacht.
    Ich bin sehr gespannt, ob und wie Susanne den Konflikt lösen kann und hoffe, dass sie einen weg findet, der alle drei (und mich :-)) zufriedenstellt.


    Ich frage mich, welche Rolle Adrians Aufzeichnungen spielen. Sind sie nur ein Rückblick auf das Leben von Henriette? Oder steckt mehr dahinter? Wenn Adrian etwas mit dem Tod seiner Tante zu tun hätte, wäre er ja sicher nicht zur Polizei gegangen. Aber irgendwas stimmt da nicht. Hatte er ein Verhältnis mit seiner Tante?


    Eine kleine Anmerkung für die nächste Auflage zu S. 52: im oberen Drittel muss es statt "Walther sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an" "Leo" heißen.

  • Zitat

    Original von dschaenna
    Das war doch noch der Fall bis in die 70er oder 80er - oder hab ich das jetzt in falscher Erinnerung (ich denk hier nur an das Stern(?)-Cover, auf dem irgendwelche Frauen gegen den § 218 protestiert haben, das ist ja noch nicht soooo lange (verglichen mit der Zeit bis in die 20er) her.


    Ich hab jetzt mal ein bißchen gegoogelt, da es mich interessiert hat und in meinem Hinterkopf noch was über eine Neuregelung in meiner Jugendzeit rumgeschwirrt ist. Tatsächlich gibt es die heutige Fristenregelung seit Beginn der 90er Jahre. Dass es vorher verboten war, wusste ich noch, allerdings habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wie es ganz früher war. Allerdings bei genauerem Nachdenken logisch!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina


    Ich hab jetzt mal ein bißchen gegoogelt, da es mich interessiert hat und in meinem Hinterkopf noch was über eine Neuregelung in meiner Jugendzeit rumgeschwirrt ist. Tatsächlich gibt es die heutige Fristenregelung seit Beginn der 90er Jahre. Dass es vorher verboten war, wusste ich noch, allerdings habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wie es ganz früher war. Allerdings bei genauerem Nachdenken logisch!


    Das Stern-Cover ist aus den siebzigern und ich kann mich noch gut an die Debatten der achtziger Jahre erinnern.
    Mir war da drchaus bewusst, daß es damals noch verboten war.


    Genauso, wie es bis Mitte der siebziger Jahre einem Mann noch erlaubt war, die Stelle seiner Frau zu kündigen, auch ohne ihr Einverständnis....

  • Mich hat allerdings auch überrascht, wie weit man in Berlin damals schon war, was die Frauenberatungsstellen anging. In dieser Hinsicht hatte sich mit Gründung der Republik viel geändert. Alice Vollnhals war eine der ersten Ärztinnen, die sich auf diesem Gebiet engagiert haben, deshalb wollte ich sie auch gern als Nebenfigur dabei haben.

  • Es ist richtig schön, wieder ein Buch mit Leo und Clara zu lesen. :-]


    Das neue Cover gefällt mir sehr gut ( obwohl ich die alten Motive der Vorgängerbände auch richtig schön fand ).


    Die Geschichte hat mich sofort gefesselt, die Zeit und die damaligen Verhältnisse sind einfach zu interessant.
    Als der Herr Sonnenschein aufgetaucht ist, war mir sofort klar, dass er Jude ist und ich bin/war gespannt, wie sehr dieses im Buch ( oder auch in weiteren Bänden ) thematisiert wird.


    Ich bin auch sehr neugierig darauf, wie genau Henriette ums Leben kam, in welche Richtung sich Iles Leben entwickeln wird und wie Leo und Clara "alles" unter einen Hut bringen.


    Sehr interessant finde ich auch die Anfänge der Frauenberatungsstellen etc.
    Auch ich kann mich an das Stern-Cover erinnern.

  • Zitat

    Original von Bücherfrau
    Alice Vollnhals war eine der ersten Ärztinnen, die sich auf diesem Gebiet engagiert haben, deshalb wollte ich sie auch gern als Nebenfigur dabei haben.


    Das finde ich sehr interessant, dass es Alice Vollnhals wirklich gab. Leider findet man im Internet nur wenig über sie, kannst du evtl. mehr über sie berichten?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina


    Das finde ich sehr interessant, dass es Alice Vollnhals wirklich gab. Leider findet man im Internet nur wenig über sie, kannst du evtl. mehr über sie berichten?


    Ich fand das auch interessant, zu erfahren, dass es eben einige Deiner Personen wirklich gegeben hat - aber auf der anderen Seite war ich dann hin- und hergerissen, ob ich das nicht schon gerne VOR dem Lesen gewusst hätte, also via Personenverzeichnis auf den ersten Seiten und nicht hinten.
    Hast Du darüber auch einmal nachgedacht, oder ist das aus einem bestimmten (oder auch gern unbestimmten :grin) Grund für Dich hinten anzusiedeln?

  • Mittlerweile bin ich auch zum Personenverzeichnis vorgedrungen :grin, da steht ja einiges über Alice Vollnhals. Wirklich eine sehr interessante Persönlichkeit, schade, dass für sie im Buch nicht mehr Platz war. Aber ihre Geschichte wäre doch ein eigenes Buch wert, oder?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • dschaenna : Ich habe das bisher immer so gehalten, zusammen mit dem Nachwort. Vielleicht würde es auch etwas ablenken, wenn man die Personen aufgezählt bekommt, bevor die Handlung beginnt. Anders kenne ich es nur von Rebecca Gablé, die ihr Personenverzeichnis nach vorn stellt, aber sie hat auch sehr viel Personal und hilft den Lesern damit, die Figuren auseinanderzuhalten. Das ist bei einem Krimi nicht so unbedingt nötig.
    Lese-rina : Ja, sie ist sehr interessant. Sie war in zweiter Ehe mit einem jüdischen Arzt verheiratet und ist mit ihm nach Asien gegangen, später aber nach Deutschland zurückgekehrt, so viel ich weiß. Ein sehr bewegtes Leben.