Genitalverstümmelung ist Körperverletzung - Landgericht Köln verbietet religiöse Beschneidungen

  • Zitat

    Original von beowulf
    Falsch. Die Eltern stiften einen Täter zur Körperverletzung an. Täter ist der Arzt. Das ist absolut nicht kurios. Juristisch ist jede Spritze, die dir der Arzt setzt eine Körperverletzung, die nur deshalb nicht strafbar ist, weil du (hoffentlich) damit einverstanden bist. In dieser Diskussion geht es darum ob Eltern für ihre minderjährigen Kinder diese Einwilligung geben dürfen, wenn keine medizinische Begründung besteht.

    Ich danke Dir für diese Zusammenfassung. Nun ja, es liegt doch auf der Hand, dass für eine religiös motivierte Beschneidung keine medizin. Indikation vorliegt.
    Dies bedeutet aber auch, dass diejenigen, die also eine medizin. unnötige Beschneidung vornehmen lassen, quasi kriminalisiert werden. :gruebel
    Ich glaube mich zu erinnern, dass gerade im Judentum der Bund Gottes mit Abraham symbolisch durch die Beschneidung repräsentiert wird.


    Natürlich spricht das Gericht nicht explizit von Barbarei, aber manchen Leuten drängt sich wohl dieser Eindruck auf.

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Wusst ich 's doch, dass sich auf meiner Festplatte eine Doku zum Thema versteckt. Leider kann ich mit meinem @#$-tabletteil keine links kopieren also selber googeln: Und wenn' s ein Junge wird?
    Ein amerikanisches Paar mit juedischen Wurzeln steht bei der Geburt ihres Sohnes vor der Frage: beschneiden oder nicht? Waehrend der Vater, aus einer traditionellen algerischen Familie stammend, ohne ueberhaupt darueber nachzudenken, an dieser Tradition festhalten moechte, macht die Mutter sich Gedanken und beginnt zu recherchieren.


    Die Doku war nicht nur witzig und unterhaltsam, sondern auch sehr lehrreich.
    Offensichtlich sind 80% der Amerikaner beschnitten, Teilnehmerinnen einer "sex and the city"-Rundfahrt finden gar Sex mit unbeschnittenen Maennern unvorstellbar.Zum Thema befragte Briten dagegen sehen darin wieder mal ein Beispiel fuer die Dekadenz der Amis, die es nicht schaffen, einen intakten Schwanz sauberzuhalten.
    Dagegen gibt es auch eine Gegenbewegung von Maennern, die einmal pro Jahr am Capitol gegen Beschneidung demonstrieren und sich sogar Gewichte an den Pimmel haengen, um das, was uebrig ist, zu so einer Art Ersatzvorhaut langzuzotteln.


    Seltsamerweise kam die Autorin zwar zu dem Schluss, dass Beschneidung barbarisch ist, hat aber, mit ziemlich schlechtem Gewissen ihre Soehne doch beschneiden lassen :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Hier noch eine Meinung. Das Zitat kann ich unterschreiben:


    Zitat

    Im letzten Jahr mussten im Durchschnitt jede Woche fast drei Kinder in Deutschland sterben, weil sich niemand um sie gekümmert hat oder sie direkter Gewalt ausgesetzt waren. Der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen hat um fast fünf Prozent zugenommen. Als diese Zahlen im Mai herauskamen, haben sich nur wenige Kommentatoren für das Wohl dieser Kinder interessiert. Warum haben nun alle etwas zur Beschneidung zu sagen? Mit 45 Prozent lehnt nahezu die Hälfte der Deutschen eine Beschneidung aus religiösen Gründen ab. Auch aus Gründen des Kinderschutzes. Merkwürdig.



    Gunda Trepp zum Thema Beschneidung

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Zitat

    Original von newmoon
    Hier noch eine Meinung. Das Zitat kann ich unterschreiben:




    Gunda Trepp zum Thema Beschneidung


    Weil sich also niemand über sexuelle Vergehen an Kindern aufregt ( halte ich für ein Gerücht), sollte ich einfach Sang- und Klanglos ein anderes, offenscheinliches Vergehen, als Ritus getarnt, tolerieren. Hammer, was für eine super Logik. Scheuern doch alle hin und wieder ihren Kindern mal eine, mache ich jetzt auch so! :rolleyes

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Das ist Quatsch. Über nichts wird permanent und in voller Breitseite so intensiv berichtet wie über sexuellen Mißbrauch an Kindern, die Beschneidung ist nur eine andere Form des Mißbrauches.

  • Die Idee, des Kommentators von 16:08 finde ich sehr gut. "Sohn" und "Tochter vertauschen:


    Zitat

    Der dreijährige Sohn spricht mit stolzem Gesicht den hebräischen Segen über dem Brot, die Tochter wird kurz nach der Geburt beschnitten. Damit zu warten, würde bedeuten, ihr eine wichtige Orientierung vorzuenthalten.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Das ist Quatsch. Über nichts wird permanent und in voller Breitseite so intensiv berichtet wie über sexuellen Mißbrauch an Kindern, die Beschneidung ist nur eine andere Form des Mißbrauches.


    Dem schließt sich auch Reinhard Merkel, Jurist und Mitglied des Deutschen Ethikrats, an, der in der Süddeutschen Zeitung von heute den Antrag der Bundesregierung, der Ethikrat möge die religiöse Beschneidung auf legale Füße stellen, "wenig durchdacht" und "schon im Grundsatz verfehlt (...) bis zum Abwegigen" findet. Er erklärt ausführlich, warum es überhaupt keine juristische Rechtfertigung für die Beschneidung von Kindern gibt, und fährt fort: "Dem schärferen Blick wird auf Dauer nicht verborgen bleiben, was die angekündigte Regelung trotz der Allgemeinheit ihrer äußeren Form ihrem Sinne nach ist: ein jüdisch-muslimisches Sonderrecht. Das bezeichnet einen Sündenfall des Rechtsstaats. Anlass genug für ein schlechtes Gewissen des Gesetzgebers. Er möge es nicht weiterhin mit Redensarten verdunkeln, die neben der Sache liegen. Und sich wie den beiden Religionsgemeinschaften die Zumutung nicht erlassen, künftig nach einer besseren, rechtlichen Lösung zu suchen."


    Das ist aus meiner Sicht die bisher treffendste Beurteilung der "windelweichen" Empfehlungen des Ethikrates zu diesem Problem und deren rechtsstaatlichen Ungeheuerlichkeit, dabei bemerkenswert klar, knapp und präzise formuliert.

  • "Juden und Muslime könnten sich dann überlegen, ob sie auf einen zentralen Punkt ihrer religiösen Identität verzichten, sich bestrafen und sogar einsperren lassen, oder aber auswandern. So sieht es aus, wenn man die Sache konsequent zu Ende denkt."


    Recht hat er mit diesem Artikel.

    ToniO



    Betrachte nicht den Krug, sondern dessen Inhalt.
    Rabbi Me'ir


    Coincidence is God's way of remaining anonymous.
    Albert Einstein

  • Zitat

    Original von tonio_treschi
    "Juden und Muslime könnten sich dann überlegen, ob sie auf einen zentralen Punkt ihrer religiösen Identität verzichten, sich bestrafen und sogar einsperren lassen, oder aber auswandern. So sieht es aus, wenn man die Sache konsequent zu Ende denkt."


    Recht hat er mit diesem Artikel.


    Nein, tonio treschi, er mag das Recht haben, seine sattsam bekannten Argumente zu vertreten, aber recht hat er nicht. Das Recht definiert sich hierzulande - und das war leider nicht immer so - nach dem Gesetz, nicht nach den Befindlichkeiten von Glaubensgemeinschaften. Warum nur ist das so schwer zu begreifen?
    Der von dir zitierte jüdische Funktionär argumentiert erneut haarscharf an der Frage der Rechtstaatlichkeit vorbei. Und erneut fällt ihm aus Mangel an rechtsstaatlichen Argumenten nichts Klügeres ein, als "versteckten Antisemitismus" zu unterstellen und den massenhaften Exodus derer anzukündigen, die sich unter anderem über die in diesem Lande rechtswidrige Beschneidung definieren. Das ist nichts anderes als eine ziemlich unverblümte Erpressung.
    Zu einem solchen Auszug aber wird es ganz sicher nicht kommen, und dazu darf es sogar unter keinen Umständen kommen - weder bei Muslimen noch bei Juden. Aber zu fordern, dass ein demokratischer Rechtsstaat zu Gunsten archaischer religiöser Rituale einzelner Bevölkerungsgruppen seine eigenen Gesetze missachtet, ist schon ein starkes Stück.

  • Nur merkwürdig, dass diesem Staat seine eigenen Gesetze jetzt erst ins Gedächtnis kommen... Und dass sich gerade diejenigen so ereifern, denen die Befindlichkeiten der Juden (und Muslime) sonst herzlich egal sind.


    Unverblümte Erpressung? Erpressung wäre es, wenn ihr Unbeschnittenen glaubtet, es sei ein Verlust für euch, wenn wir gingen. Das ist aber allzu offensichtlich keineswegs der Fall. (Wenn ich den Kommentaren auch auf dieser Seite Glauben schenke, ist eher das Gegenteil der Fall.)


    Und warum, bitte schön, darf es unter keinen Umständen dazu kommen, dass wir dieses Land verlassen? Wenn es uns (wieder einmal) unmöglich gemacht wird, nach unserer Glauben zu leben, ist es besser zu gehen. Ich jedenfalls ziehe Aliyah eindeutig einem deutschen Gefängnis vor - oder dem Bruch mit unserem Glauben.

    ToniO



    Betrachte nicht den Krug, sondern dessen Inhalt.
    Rabbi Me'ir


    Coincidence is God's way of remaining anonymous.
    Albert Einstein

  • Ich bin beschnitten- aus medizinischen Gründen- nicht am achten Tag nach der Geburt, sondern eher in dem Alter in dem Muslime beschnitten werden- und ich sage es ist Körperverletzung und hat auch später schwere Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Psyche. Das ist nun mal so. Ob man das tolerieren soll, man das legalisieren soll, das ist eine Frage der Gesellschaft und der Gesetzgebung. Schließlich ist auch jede Impfung eines Kindes Körperverletzung und der Arzt bekommt mächtig Ärger, wenn er ohne Einwilligung der Eltern impft. Hier ist jetzt einfach die Frage ist die Einwilligung der Eltern wirksam, wenn dieses sich "nur" auf eine sinnentleerte jahrtausendealte Tradition, auf einen Ritus berufen können. Ist diese Tradition, die ausschließlich damit begründet wird, dass se eben eine Tradition sei, ein Argument gegen die durchaus neuere Erkenntnis, dass Kinder ohne Gewalt in der Erziehung aufwachsen sollten. Auch gegen die Erkenntnis, dass man Kindern die freie Wahl lassen sollte, ob sie etwas tun oder lassen.


    Richtig ist die Merkwürdigkeit, dass erst jetzt jemand auf die Idee kam diese Körperverletzung auch anzuzeigen und damit ans Licht zu ziehen. Wo kein Kläger ist, da ist kein Richter, das gilt besonders bei der Körperverletzung als Antragsdelikt. Eine schlecht ausgeführte Beschneidung mit entsetzlichen Folgen für das Kind führte zu einer Anzeige gegen den Arzt, nicht gegen die Eltern, gegen de Beschneider, nicht gegen die Anstifter. Das Urteil führt aus, dass der Arzt freizusprechen ist, obwohl er sich schuldig gemacht hat, gerade weil er nicht davon ausgehen musste, nicht wissen musste, dass er hier eine strafbare Handlung begeht.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übersiet :grin


    :lesend  :lesend

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von beowulf ()

  • Für mich ist sehr interessant, dass dieses Thema nun so in der Öffentlichkeit diskutiert wird.
    Ich selbst habe bisher nichts gegen eine Beschneidung von Jungen gehabt, meine beiden Cousins sind (auch aus medizinischen Gründen) beschnitten worden und haben damit keine Probleme.
    Dementsprechend erschien mir das auch nie als etwas Negatives. In Deutschland stellt sich die Frage natürlich auch nicht so offensichtlich weil es hier einfach kein Usus ist.


    Über religiöse Traditionen zu diskutieren ist müßig, denn daran wird sich nichts ändern. Die Vermieter von Bekannten rieben alle ihre Kinder einige Tage nach der Geburt mit Salz ein (das zwei Tage drauf blieb), um sie so zu reinigen. Muslime ünrigens. Natürlich ist auch das für mich eine Körperverletzung, jedoch ließen sie darüber nicht mit sich reden. Das war aber keine muslimische Tradition, der alle Muslime nachgehen.


    Ich denke man muss grundsätzlich religiöse Traditionen und religiösen Fanatismus voneinander trennen.
    Ist Beschneidung also generell etwas Schlechtes, wo doch viele Männer anscheinend problemlos damit leben?
    Ich denke, es ist eher so zu sehen: Eltern sollten nicht darüber entscheiden dürfen, ob ihr Sohn beschnitten wird. Diese Entscheidung sollte, im Sinne der unantastbaren Menschenwürde, ihm selbst überlassen bleiben. Auch aus religiösen Gründen - immerhin könnte sich auch da jeder Junge mit der Volljährigkeit selbst entscheiden, ob er dieser Tradition folgen möchte oder nicht.
    Aber wie gesagt, solche Überlegungen sind müßig, festgefahrene religiöse Traditionen aufzubrechen ist mehr als schwer - ich würde es fast unmöglich nennen.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Alo ich würde die Probleme, die ich wegen der Beschneidung habe meiner Tante nicht erzählen..


    Sie spricht ja von Cousins. ;-) (und auch wenn du das auch deiner Cousine nicht erzählen würdest - es gibt vielleicht Verwandte, die sich drüber durchaus unterhalten können)

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


    *Bestellungen bei Amazon bitte über Forumlinks (s. Eulen-Startseite) tätigen, um so das Forum zu unterstützen.*

  • Über die möglichen - auch negativen - Folgen einer Zirkumzision - psychischen wie physischen - kann man viel nachlesen; darüber muss hier niemand persönlich berichten (ich hatte ja erwähnt, dass mir dieses "Glück" ebenfalls zuteil wurde, werde mich in dieser Hinsicht aber wie Beo zurückhalten). Außerdem sind persönliche Erfahrungsberichte grundsätzlich von geringer Evidenz; sie emotionalisieren eine Debatte nur, und nachprüfen lässt sich persönliches - vor allem emotionales - Erleben so gut wie nie. Dasselbe gilt, wenn Leute behaupten, ihre Tiere homöopathisch geheilt oder etwa "prima Kinder" auch mit viel Dresche herangezogen zu haben, nach dem Motto: Und? Hat es ihnen geschadet? Derlei ist wissenschaftlich wie aus Sicht des entsprechenden Diskurses bedeutungslos; es ist höchstens geeignet, ein schlechtes Licht auf jenen zu werfen, der sich dieserart äußert, selbst dann, wenn es derjenige "gut gemeint" hat.


    Grundsätzlich gilt m.E., dass das medizinische Argument - die Zirkumzision beugt u.a. der Phimose und einigen Infektionskrankheiten vor - keines ist. Erstens wird nicht aus medizinischen Gründen beschnitten, sondern aus weltanschaulichen, und zweitens gibt es fraglos jede Menge Amputationsoperationen, die Krankheiten vorbeugen würden. Ohne Beine bekommt man keinen Fußpilz mehr und ohne Kopf keine Depressionen. Eine Religionsgemeinschaft, die dies argumentativ heranziehen würde, um entsprechende Rituale zu begründen, hätte es schwer. Und, wie gesagt - es wird ja nicht aus medizinischen Gründen beschnitten, sondern eben aus religiösen. Außerdem sind sämtliche Krankheitsbilder, denen man dieserart "vorbeugt", heutzutage problemlos behandelbar. Notfalls eben mit einer (späteren) Zirkumzision, wahrscheinlicher aber medikamentös.


    Ich finde übrigens, dass die Debatte täglich interessanter wird. Herzlich gelacht habe ich bei den Äußerungen des Oberrabbiners Yona Metzger, der extra nach Deutschland gekommen war, um an der Diskussion teilzunehmen, und im Rahmen dessen frischfröhlich Dinge erklärte wie, man würde den Säuglingen "einen Tropfen süßen Weins" verabreichen, und diese würden dann einschlafen, also nichts mehr spüren. Ein Tropfen, so so. Ein durchschnittlicher Regentropfen wiegt ungefähr 0,05 Gramm. Bei einem Alkoholgehalt von 10 Prozent wären in einem "Tropfen süßen Weins" ungefähr 0,005 Gramm reinen Alkohols, was sogar am Metabolismus eines acht Tage alten Babys spurlos vorübergehen dürfte. Merke: Wenn man leicht widerlegbare Verniedlichungen als rhetorisches Mittel anwendet, läuft man Gefahr, unglaubwürdig zu werden. Metzger hat aber noch einige andere Dinge gesagt, die nicht unbedingt geeignet waren, seinen Standpunkt plausibler zu machen. So sprach er, ganz im Gegenteil, von einem "Stempel, einem Siegel auf dem Körper des Juden" - und argumentierte so, vielleicht, ohne es zu wissen, exakt im Sinne des Landgerichts Köln. Und auch seine Behauptung, eine Spritze würde dem Kind mehr Schmerzen zufügen als der Beschneidungsvorgang (unter Alkohol) selbst, zeugt bestenfalls von medizinischen Laienkenntnissen. Außerdem geht es nicht um die Abwägung von Schmerzen. Fraglos wäre Schmerzfreiheit erstrebenswert, aber das Landgericht hat auch nicht die Schmerzen beim Eingriff als Körperverletzung gewertet, sondern den Eingriff selbst. Es geht bei Körperverletzungen nicht darum, ob sie wehtun. Auch eine völlig schmerzfrei zugefügte Amputation bleibt eine Amputation.


    An dieser Stelle hat sich auch der Ethikrat mit seiner "Empfehlung" verhaspelt, die da (vereinfacht gesagt) lautet, man solle ein Gesetz verfassen, das die religiöse Beschneidung gestattet, wenn der zu beschneidende Junge (örtlich) betäubt ist. Auch dieser Empfehlung liegt das Missverständnis zugrunde, es ginge bei der Wertung des Vorgangs um Schmerzen. Darum geht es aber nicht - oder bestenfalls am Rande. Es geht um nicht weniger als die körperliche Unversehrtheit, und die wird mit oder ohne Betäubung beeinträchtigt. Zudem lehnt mindestens Yona Metzger Betäubungen (abseits der Alkoholgabe) rundweg ab, wie er auch jedwede grundsätzlich Diskussion über das Ritual ablehnt. Selbstverständlich hat sogar Metzger die Antisemitismuskeule rechtzeitig gezückt, bezieht sich hier aber - rhetorisch etwas geschickter - auf den Antisemitismus in der Sowjetunion, in der die Beschneidung verboten war: "Ich glaube nicht, dass Sie möchten, dass es hier eine kommunistische Herrschaft gibt, die dazu führt, dass ein Jude ein Gebot nicht einhalten kann." Diese Äußerung hat so viele merkwürdige Implikationen, dass es sich eigentlich kaum lohnt, überhaupt darauf einzugehen, aber eines sei dennoch angemerkt: Es ist nicht die Aufgabe von Demokratien, dafür zu sorgen, dass alle religiösen Menschen all ihre religiösen Gebote einhalten können. Yona Metzger ist übrigens längst nicht der einzige Kirchenmensch, der absonderliche Dinge zum Thema gesagt hat.


    Nachdem nunmehr eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten beschlossen hat, relativ kurzfristig ein Gesetz zu formulieren, das die religiöse Beschneidung - wahrscheinlich unter bestimmten Bedingungen - straffrei zulässt, bin ich sehr gespannt auf den Gesetzestext. Ich bin auch sehr gespannt darauf, welche Reaktionen dieses Gesetz, wenn es denn beschlossen wird, provozieren wird, denn es wird mit Sicherheit viele Errungenschaften der letzten Jahrzehnte auf den Kopf stellen, nicht zuletzt diejenige, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr straffrei "züchtigen" dürfen. Ich bin sicher, dass es - in welcher Form auch immer - schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird, denn dort gehört diese Frage letztlich auch hin.

  • Und für alle die auf die Frage "warum erst jetzt" zurückkommen wollen. Es gehört zu den großartigen Errungenschaften unseres demokratischen Rechtsstaates, dass auch die Verfassung nicht statisch ist, sondern durch Auslegung sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnissen angepasst werden kann. Diktaturen legen größten Wert darauf, dass ein Richter enge Grenzen einhält und stets im Sinne der Diktatur entscheidet, bei unserer Demokratie legen die Richter die Verfassung auch im Sinne wandelbarer Lebensverhältnisse aus. Bedeutet mehr Freiheit und weniger Sicherheit, keine in Stein gehauenen Gebote, aber das ist die Gefahr die Freiheit innewohnt.

  • Die absonderlichen Argumente der Religionsfürsten aller Couleur entlarven sich selbst. Ich finde die Diskussion übrigens nicht deshalb immer interessanter, weil etwa ständig neue, bedenkenswerte Argumente vorgebracht würden. Ganz im Gegenteil: Interessant ist, zu beobachten, dass zwar die Vehemenz steigt, nicht aber die Stichhaltigkeit.
    Dabei liegt die einfache Wahrheit klar auf dem Tisch: Keine religiöse Vorschrift und kein daraus resultierendes Ritual stehen über dem verfassungsmäßigen Recht auf körperliche Unversehrtheit. Nicht in diesem Lande jedenfalls. Und das ist gut so.

  • Zitat

    Original von Gummibärchen


    Sie spricht ja von Cousins. ;-) (und auch wenn du das auch deiner Cousine nicht erzählen würdest - es gibt vielleicht Verwandte, die sich drüber durchaus unterhalten können)


    Ja, wir haben uns vor einigen Monaten mal darüber unterhalten. Die beiden können sich an den Eingriff selbst noch schmerzhaft erinnern, hatten aber danach und bis heute keine Probleme mehr damit.


    Sich an einem künftigen Gesetzestext aufzuhängen halte ich für etwas naiv, ehrlich gesagt. Per Gesetz ist körperliche Gewalt gegen Kinder verboten - trotzdem findet sie statt. Per Gesetz ist hier auch die Leihmutterschaft verboten - dann geht man eben ins Ausland. Per Gesetz sind Drogen verboten - trotzdem bekommt man sie auf jedem Festival in Deutschland.
    Ein Gesetz ändert nicht viel, ein Umdenken müsste in dieser Sache angestrebt werden. Und DAS ist das Problem, wie ich bereits geschrieben hatte: Religionen zum Umdenken zu bewegen ist eine Lebensaufgabe.

  • Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat verkünden lassen, Strafanzeigen aufgrund religiös motivierter Beschneidungen vorläufig nicht zu verfolgen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehören eine Einwilligung der Eltern, eine vorherige "Pflichtberatung", der "Nachweis der religiösen Motivation" sowie die Durchführung des Eingriffs durch einen qualifizierten Arzt.


    http://www.n-tv.de/politik/Lan…idung-article7139231.html


    Seit dem Kölner Urteil haben in Berlin keine solchen Zirkumzisionen mehr stattgefunden. Muslime und Juden begrüßen die Ankündigung der Generalstaatsanwaltschaft.


    Ich kann mir eigentlich ersparen, anzumerken, dass ich diesen Schritt weniger begrüße. Ich verstehe die Motivation der Behörden, in der rechtsunsicheren Situation eine Übergangslösung zu finden, bis der Gesetzgeber klare Verhältnisse geschaffen hat, empfinde es aber zugleich als überaus befremdlich, dass auf diese Weise "geduldete gefährliche Körperverletzungen" möglich sind.