Stefan aus dem Siepen, Das Seil

  • Ich war sehr überrascht, als ich das Buch, nein, das Büchlein, schließlich in Händen hielt. Der Klappentext hatte Mystisches versprochen, und nun hatte das Ganze kaum mehr als 180 Seiten, in großer Schrifttype gesetzt.Das wäre ja in wenigsten Stunden gelesen. Und ich sollte recht behalten. Fast wie ein Schnellzug sauste die Geschichte an mir vorbei, die im Klappentext schon fast vollständig geschildert ist: in einem einsamen Dorf wird plötzlich ein Seil auf der Wiese gefunden, das in den Wald führt, und dessen Ende man nicht sieht. Die Dorfbewohner können sich der Faszination des Rätsels nicht entziehen, und schicken einen Erkundungstrupp los - der viel länger ausbleibt, als erwartet...


    Doch entgegen meiner Vermutung, verleitet mich die Kürze und ausgesprochen leichte Lesbarkeit nun gerade nicht (!) zu einer vorschnellen Aburteilung als "seichte Kost". Das Buch hat Untiefen, die mir erst jetzt, einen Tag nach der Lektüre, so richtig zu Bewusstsein kommen.


    Irgendwo hatte ich einen Vergleich mit "Die Wand" von Marlen Haushofer gelesen, und dem kann ich zustimmen. Auch die "Wand" las sich, oberflächlich gesehen, eher langweilig und leicht, hatte aber eine Bedeutung, die weitaus tiefer reicht. Auch das "Seil" geht in seiner Bedeutung weit über den reinen Text hinaus. Ich würde sogar noch einen weiteren Vergleich ziehen wollen - ich dachte auch an "Das Experiment". In extremen Situationen treten nämlich oft die wahren Charaktereigenschaften der Menschen hervor. So auch hier. Vom Sich-Aufspielen, über das Dozieren, Plündern, Aufwiegeln und letztlich Morden, ist alles dabei.


    Nur mit der Aufschrift "Roman" auf dem Cover bin ich nicht recht glücklich. "Parabel", wie im Klappentext, trifft es weitaus besser. Dafür spricht auch, dass die Geschichte nicht eindeutig "verortet" ist, weder was Zeit, noch Schauplatz betrifft. Ebenso ist der Beginn recht abrupt, wie auch das Ende. Doch all das hat mich weniger gestört. Ich habe, trotz des eher gemächlichen Tempos, teilweise den Atem angehalten, und gebannt beobachtet, wie der sehr eigenwillige Expeditionstrupp nach und nach verrohte. Hier lag für mich die wahre Bedeutung des Textes. Da war mir das offene Ende schon fast egal.


    Was mir jedoch nicht egal war, und was auch zu einem Stern Abzug führt, sind zwei Tatsachen. Erstens hat das Buch keinen eindeutigen Protagonisten, keinen Erzähler. Ich finde, durch einen solchen hätte die Geschichte an Eindringlichkeit gewonnen. Zweitens hat mich einfach die Rollenaufteilung gestört - die Männer ziehen los, die Frauen bleiben daheim und hüten die Häuser. Auch wenn die Frauen letztlich das bessere Los gezogen hatten, so habe ich mich doch ein wenig geärgert.


    Insgesamt würde ich das Buch allen empfehlen, die willens und fähig sind, hinter die Fassade eines oberflächlich leicht zu lesenden Textchens zu schauen, um sich Fragen über die wahre Natur des Menschen zu stellen.

  • Das lese ich gerade, bin zur Hälfte durch und von den zusammengesetzten Adjektiven so schrecklich angenervt, daß alles andere an mir vorbei zu gehen scheint... :rolleyes



    Irgendwo hatte ich gelesen, daß "Das Seil" von Stimmung und Stil ähnlich wie "Die Wand" sein sollte. Da mich dieses Buch damals noch wochenlang gefesselt und nachdenklich gestimmt hatte, war ich voller Vorfreude an die Lektüre von "Das Seil" herangetreten.
    Letztlich stimmt dieser Vergleich irgendwo auch, der Stil ist tatsächlich dem der Haushofer nicht unähnlich und die Stimmung der beiden Bücher läßt sich durchaus vergleichen, was mich allerdings bei Haushofer fasziniert hatte, nämlich die Emotionen, die Kälte, die Einsamkeit, das fand ich hier nicht. Sehr distanziert wird berichtet, wenig Nähe zu den Figuren kommt auf. emotionslos folgt man den Figuren in den Wald, schreitet am Seil entlang und ahnt doch bereits, wie es enden wird. Die Aktionen waren mir zu vorhersehbar, zu oft bereits ähnlich da gewesen und zu wenig drastisch.
    Sicherlich schreibt der Autor auf eine durchaus beeindruckende Art und Weise, aber wirklich faszinieren oder einen Nachhall bei mir erzeugen konnte er nicht.
    Dann kommen wir zu dem Punkt, der mich auf die Palme gebracht hat. ADJEKTIVE. Dieses Buch strotz nur so von ihnen, ob Stilmittel oder bewußt eingesetzt, ist mir egal, Herr aus dem Siepen kommt oftmals nicht mal mit einem Adjektiv aus, sondern verbindet zwei dieser von mir so wenig geliebten Worte auch noch per Bindestrich zu einem. Schrecklich-fürchterlich hat mich diese inflationär-begeisterte Nutzung dieser seltsam-gruseligen Worte genervt. Wirklich, das muß doch nicht sein. Wirklich nicht.
    Glücklicherweise bekommt er seinen adjektivischen Brechreiz ab der Mitte des Buches einigermaßen in den Griff, sonst wäre das hier ein ganz böser Verriß geworden. So hat es mich immerhin über 1 Stunde 40 Minten durchaus nicht schlecht unterhalten.
    Ein Stern Abzug also für die Adjektive und wofür der zweite Stern runter?
    Für den Preis. Ja, ich weiß, Kunst hat ihren Preis, aber fast 15 Euro für ein 180 Seiten Taschenbuch mit dieser unsäglichen Klappbroschur, die nicht mal entfernt an ein Hardcover erinnert, finde ich, Kunst hin oder her einfach als deutlich überteuert.

  • Meine Meinung: Ein Dorf mitten im Nirgendwo, in einer Zeit, in der die Menschen ohne jede Technik leben, das ist der Schauplatz dieser Geschichte, bzw. Parabel, denn als solche würde ich sie sehen. In einem einsamen Dorf mitten in den Wäldern findet eines Morgens ein Bauer ein Seil, das in den Wald hinein führt. Was für eine Abwechslung von den ansonsten immer gleichen Tagesabläufen! Es dauert nicht lange und die Neugier siegt über die Pflichterfüllung und fast alle Männer verlassen das Dörfchen, obwohl sie eigentlich die Ernte einfahren müssten und machen sich auf die Suche nach dem Ende des Seils'


    Interessant bei dieser Geschichte ist sicherlich, dass sie viele Interpretationen gestattet. Man kann sich so seine Gedanken um das machen, was hier beschrieben werden soll und sich fragen, was der Autor dem Leser so verschlüsselt damit sagen will. Was er sagt, das tut er in einer seltsam altmodisch anmutenden Sprache,die mir nicht besonders gut gefallen hat, denn sie wirkt irgendwie nicht echt, passt aber trotzdem zu den von ihm gewählten geistig einfach gestrickten Figuren.


    Es geht um Menschen, die jemandem folgen, der sie zu einer unsinnigen Sache verleitet, um die Anziehung des Unbekannten, um den Verlust von Moral und Werten und letztlich um die Feigheit derer, die es am Ende nicht gewesen sein wollen. Mit der Schilderung dieser kurzen Geschichte hat der Autor dann auch schon sehr viel ausgesagt. Ich fand das Büchlein nicht schlecht, habe allerdings durch die fehlende emotionale Einbindung des Lesers das Ganze eher distanziert betrachtet, was ich aber in diesem Fall nicht schlimm fand, denn so vergibt man keine Sympathien und konzentriert sich nur auf das, was erzählt werden sollte.


    Dank der geringen Seitenzahl ist das Buch sehr schnell gelesen, allerdings habe auch ich mich gefragt, wann denn die Unart der Verlage aufhört, ihre Bücher als teure und unsinnige Klappbroschur auf den Markt zu bringen. Der Preis für solch ein dünnes Büchlein ist einfach viel zu hoch.


    Mein Fazit: Nett zu lesen, ganz unterhaltsam, etwas zu leicht zu interpretieren - 7 Pünktchen dafür.

  • Das ist es, was mir nach der Lektüre von "Das Seil" im Kopf herumgeht. Denn gelesen ist das Buch schnell, die 176 Seiten sind in relativ grosser Schrift gedruckt und zudem gibt es auch noch einige Leerseiten.
    Der Roman wurde vom dtv in der premium-Reihe herausgegeben, d.h eine Klappbroschur zu einem doch recht heftigen Preis von 14,90 Euro. Das dürfte den einen oder anderen vom Kauf des Buches abhalten.
    Die Geschichte, oder besser gesagt, die Parabel, erzählt die Ereignisse in einem nicht näher benannten Dorf in einer nicht näher benannten Zeit die durch das plötzliche Auftauchen eines Seilendes ( oder anfangs? ) in der Dorfgemeinschaft ausgelöst werden. Dem Leser werden die Geschehnisse in einer sehr gut lesbaren Sprache dargelegt. Die Menschen, ihr Handeln und ihr Tun, sowie die Umgebung werden ausführlich und genau beschrieben. Manchmal hatte ich fast den Eindruck, als würde ich ein Drehbuch zu einem Theaterstück lesen.
    Mir hat das sehr gut gefallen.
    Es ist faszinierend, die Entwicklung der Geschichte zu verfolgen. Natürlich ist manches vorhersehbar, natürlich wurde hier nicht das Rad neu erfunden.
    Aber der Schreibstil von Stefan aus dem Siepen hat mir ein wirklich faszinierendes Leseerlebnis beschert, welches nachhallt und Stoff zum Denken bietet.
    Irgendwann werde ich dieses Buch sicher ein zweites Mal lesen - ich bin heute schon gespannt, wie die Geschichte dann auf mich wirken wird.


    Von mir gibt es 9 von 10 Punkten für dieses an Seiten arme aber an Inhalt reiche Buch.

  • Lange stand das Büchlein auf meiner Wunschliste und so schnell hatte ich es nun durch. Es hat mir aber sehr gefallen. Ich mochte die Sprache sehr gerne. Sie liest sich einfach, ist aber doch besonders.
    Man fühlt sich beim Lesen als würde man selbst am Seil entlanglaufen um dessen Geheimnis zu entlüften. Und nun nach dem Beenden beginnt man tatsächlich noch mehr über alles Gelesene Nachzudenken und zu Grübeln :)

  • ASIN/ISBN: 3423143452


    Zu diesem Buch Worte zu finden, fällt mir schwer. Deshalb fange ich lieber einmal damit an, was es nicht ist: es ist definitiv kein „Unterhaltungsroman“, liest sich aber ausgesprochen gut und durch das Rätsel um das Seil sogar sehr spannend. Es ist – für mich – nicht mal ein Roman (auch wenn es groß vorne draufsteht), dafür ist es zu kurz und zu wenig ausschweifend – das Buch konzentriert sich auf das Wesentliche und bringt seine Geschichte genau auf den Punkt. Ich würde es als Parabel einordnen, doch bin ich viel zu sehr Laie, um das wirklich sagen zu können. Was uns die ungewöhnliche Geschichte sagen will, bleibt jeder Leserin/jedem Leser selbst überlassen.


    „Das Seil“ regt zum Weiterdenken an, es stellt wichtige Fragen – ohne darauf auch nur eine Antwort zu geben. Was ist richtig, was falsch und gibt es diese Unterscheidung überhaupt? Wo ist der Punkt, an dem eine Suche nach Antworten und Erweiterung des Geistes nur noch dem Selbstzweck dient und das herkömmliche Leben aufs Spiel setzt oder sogar zerstört. Wann wird aus dem mutigen „Vorwärts“ ein unüberlegter Schritt ins Verderben? Das sind nur einige der Fragen, die bei mir aufgetaucht sind. Wenn man die Beiträge meiner VorschreiberInnen durchliest, erkennt man: es sind für jeden andere. Unter der einfachen Geschichte verstecken sich sehr vielschichtige Ansätze, die jede Leserin und jeder Leser für sich selbst entdecken kann und damit einen ganz anderen Fokus in den Mittelpunkt ihres/seines Lesens stellt.


    Das Buch lässt alle diese Fragen offen, genauso wie das Ende. Das passt, denn es ist kein Buch, das erzählt, sondern ein Buch, das anregt. Zum Selberdenken und Weiterspinnen.


    Was mir persönlich daneben sehr gut gefallen hat: der Text ist gut geschrieben und lässt sich wunderbar lesen. Unverschnörkelt und ohne großen Pathos, mit klaren und direkten Sätzen, die aber alles sagen, was gesagt werden muss. Und weil ich nicht lange über die Wörter nachdenken muss bleibt sehr viel mehr Raum, um über den Inhalt zu sinnieren. Es entwickelt durch die ständige Frage nach dem mysteriösen Seil zudem einen Lesesog, dem ich mich nicht entziehen konnte.


    Fazit: Eine ungewöhnlich, sehr anregende kurze Geschichte, die sich zudem sehr gut liest. Knappe 9 von 10 Eulenpunkten für seine Vielschichtigkeit und eine Leseempfehlung für alle, die mehr als nur Unterhaltung suchen.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021