Verlag: Suhrkamp Verlag, 2011
Gebundene Ausgabe: 318 Seiten
Kurzbeschreibung:
Rüdiger Stolzenburg, 59 Jahre alt, hat seit 15 Jahren eine halbe Stelle als Dozent an einem kulturwissenschaftlichen Institut. Seine Aufstiegschancen tendieren gegen null, mit seinem Gehalt kommt er eher schlecht als recht über die Runden. Er ist ein prototypisches Mitglied des akademischen Prekariats. Dieser »Klasse« fehlt jede Zukunftshoffnung: Die selbst gesetzten Maßstäbe an die universitäre Lehre lassen sich nicht aufrecht erhalten; die eigene Forschung führt zu keinem greifbaren Resultat. Für das Spezialgebiet des Rüdiger Stolzenburg, den im 18. Jahrhundert in Wien lebenden Schauspieler, Librettisten und Kartografen Friedrich Wilhelm Weiskern, lassen sich weder Drittmittel noch Publikationsmöglichkeiten beschaffen. Und dann erweist sich das angeblich sensationelle neue Material aus dem Nachlaß von Weiskern auch noch als Fälschung. Seine Bemühungen, eine ihn ruinierende Steuernachforderung zu erfüllen, machen ihm endgültig deutlich: die Welt, die Wirtschaft, die Politik, die privaten Beziehungen – alles ist prekär. Sie zerbrechen, sie setzen Gewalt frei, geben in großem Ausmaß den Schein für Sein aus. Christoph Hein hat mit Rüdiger Stolzenburg eine Figur geschaffen, in der sich prototypisch die Gefährdungen unserer Gesellschaft und unserer Zivilisation am Ende des ersten Jahrzehnts des zweiten Jahrtausends spiegeln. Christoph Hein ist damit der aktuelle, realistische, literarisch durchgeformte Gesellschaftsroman gelungen.
Über den Autor:
Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. 1967 studierte an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm mit seinem Prosadebüt Einladung zum Lever Bourgeoise. 2008 wurde Hein mit dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen ausgezeichnet.
Mein Eindruck:
Weißkerns Nachlass ist ein amüsantes Buch mit leichter Ironie und mittelscharfer Sozialkritik geschrieben. Es erinnert mich an Siegfried Lenz Roman Fundbüro oder an die Stimmung von der Hein-Verfilmung Willenbrock. Die Figur ist jedoch ganz anders angelegt als Willenbrock. Der 59jährige Dozent für Kulturgeschichte Rüdiger Stolzenburg, dessen vergebliche Absicht es ist, eine Werkausgabe von Friedrich Wilhelm Weiskern herauszubringen, hat einige Probleme im Leben. Geschieden und von wenig Mitteln lebend, hat er keine berufliche Aussichten mehr. Er hat eine junge Freundin, eine Beziehung ohne viel Tiefgang, die intelligente Kollegin, mit der er gut reden kann, gibt ihm einen Korb. Mit den Studenten hat er es auch nicht leicht. Einer will ihn bestechen, die andere ist in ihn verliebt, eine weitere bietet Sex für das Diplom an. Dann gibt es noch eine gewalttätige Mädchengang, die es auf ihn abgesehen hat.
Es ist diese vollkommene Aussichtslosigkeit, bei der Stolzenburg dennoch der letzte Idealist bleibt, die den Leser berührt.
Neben der gelungen Romanfigurgestaltung ist auch die Romanstruktur gut gewählt. In einer Klammer (Stolzenburg fliegt nach Basel) wird Stolzenburgs Situation erzählt.
Der Klappentext spricht von dem „aktuellen, realistischen, literarisch durchgeformten Gesellschaftsroman“. In Maßen würde ich dem zustimmen.