Der Engel am Wegesrand

  • Hallo,


    ich war zwar schon länger nicht mehr im Forum aktiv, aber als ich dieses Gedicht geschrieben habe, dachte ich sofort an die Büchereulen.
    Ich würde gerne eure Meinung dazu hören.


    Der Engel am Wegesrand


    Gestern ward ich aus bei Nacht,
    da hörte ich ganz sacht,
    das Klingeln eines Glöckchens so fein,
    wie das Herzen eines Engels rein.


    Und als ich zaghaft um die Ecke schaute,
    vernahm ich wieder diese Laute.
    Tatsächlich saß am Wegesrand
    ein Engelchen mit einem Gewand so weiß wie Sand.


    Seine Flügel waren weißer als der Schnee,
    seine Augen so blau, wie ein tiefer See.
    Es blickte mich ganz schüchtern an
    und ich war gefangen in seinem Bann.

    wer nicht liest, ist nicht besser dran,
    als jemand, der nicht lesen kann

    Herrmann Simon, dt. Wirtschaftswissenschaftler, 1947

  • Antwortgesang


    Heut war ich zu Haus am Tag,
    weil ich keinen Regen mag.
    Da hörte ich nen lauten Schrei,
    und schaute nach, wer das wohl sei.


    Ganz leis betrat ich jedes Zimmer,
    jedoch das Etwas schrie noch immer,
    der Schrei klang kläglich und verzerrt.
    Er war im Kühlschrank eingesperrt.


    Ein Engel saß da einfach rum
    und schaute dämlich, glotzte dumm,
    sein Blick war irr und eiseskalt.
    Im Kühlschrank wird kein Engel alt ...


    (alternativ die letzten beiden Zeilen:


    Sein Blick war kalt, er schien mir krank.
    Er war gefangen in meinem Schrank ...)

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • churchill  
    Ich finde dein Gedicht sehr schön.
    Was willst du mir damit sagen?


    arter  
    Mit dem Versmaß ist das so eine Sache. Daran habe ich gar nicht gedacht und ich weiß auch nicht, ob ich das überhaupt hinbekommen würde.
    Für mich sind Gedichte Ausdrücke meiner Gefühle, die ich nicht in ein Versmaß zwingen will. Für mich zählen Reime und Rythmus.
    Vielleicht kann man mein Produkt dann kein Gedicht nennen?
    Muss das Versmaß bei einem Gedicht auf jeden Fall stimmen?

    wer nicht liest, ist nicht besser dran,
    als jemand, der nicht lesen kann

    Herrmann Simon, dt. Wirtschaftswissenschaftler, 1947

  • Bei einem Gedicht kommt es auf viele kleine Dinge an. Gefühle in Worte zu kleiden, ist dann besonders wirkungsvoll (für den Leser), wenn den Gefühlen dabei eine Form gegeben wird.


    Gute Gedichte sind konzentriert auf das Wesentliche. Dabei kann ein Versmaß helfen. Dir sind Rhythmus und Reim wichtig? Dann wirst du merken, dass z.B. in der zweiten Strophe einiges holpert und stolpert.


    Die Reime wirken manchmal etwas "platt" nach dem Motto "Reim dich oder ich fress dich" ...


    Mein "Antwortgesang" sollte dein Gedicht ein bisschen parodieren und ein Engelbild zeichnen, das nicht ganz so süß ist wie deins ... Durch diesen Kontrast, diesen untypischen Engel will ich die Frage aufwerfen: "Was macht einen Engel und seine Wirkung aus?"

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Eventuell hätte dem Gedicht auch eine Pointe (das Wort ist irreführend), eine Wendung gutgetan.


    Zum Beispiel, dass das lyrische Ich das Haus verlässt, den Engel am Straßenrand sieht, und das Autowrack am nächstgelegenen Baum. Oder so.

  • churchill
    Bei mir holpert in Strophe 2 eigentlich nichts. Kannst du mir das genauer erklären?
    Die Reime habe ich so aufgeschrieben, wie sie mir "zugeflogen" sind. Was genau wirkt daran platt"?


    Als ich geschrieben habe, dachte ich an so einen Engel : klick
    (der kommt aus einem Buch von mir)
    Ich gebe zu, dass ich gerade ein bisschen in Weihnachtsstimmung bin :grin
    Der Engel soll putzig, tolpatschig, süß, schüchtern, liebenswürdig wirken.
    Kommt das falsch rüber?


    Dori
    Ja, über eine Wendung habe ich auch schon nachgedacht, aber irgendwie ist bei mir nach dem Wort "Bann" schluss. Da kommt einfach nichts mehr, als würde das lyrische Ich tot umfallen.



    So, ich habe mir jetzt von meiner Schwester das Lyrikbuch ausgeliehen, mit dem die in ihrem Deutsch Leistungskurs gearbeitet haben. Mal sehen, ob ich noch ein richtiges Gedicht hinbekomme...

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    als jemand, der nicht lesen kann

    Herrmann Simon, dt. Wirtschaftswissenschaftler, 1947

  • Zitat

    Original von fantasy


    Bei mir holpert in Strophe 2 eigentlich nichts. Kannst du mir das genauer erklären?


    Chuchill ist zwar sicherer der kompetentere Ansprechpartner, aber ich hab ja das Versmaß bemängelt und möchte dir kurz erklären, was ich meine. Du selbst hast ja gesagt, dass dir wichtig ist, dass ein Gedicht einen Rythmus hat. Genau das meine ich mit Versmaß. Schauen wir uns doch mal die letzten zwei Zeilen deiner zweiten Strophe an:


    Zitat

    Tatsächlich saß am Wegesrand
    ein Engelchen mit einem Gewand so weiß wie Sand.


    Hier stimmt der Rythmus überhaupt nicht. Das sage ich rein gefühlsmäßig. Man kann das auch mit Silbenzahlen begründen. Dori und Churchill könnten dir das genauer erklären.


    Es sind einfach zu viele Silben in der letzten Zeile. So z.B. würde es funktionieren:


    Zitat

    Tatsächlich saß am Wegesrand
    ein Engelchen so weiß wie Sand.


    Wenn dir das inhaltlich zu knapp ist, hast du keine andere Möglichkeit, als das komplett umzuschreiben.



    Mit "platte Reime" meint churchill so Sachen wie "Nacht - sacht". Die Zeile "da hörte ich ganz sacht" scheint nur aus einem einzigen Grund zu existieren, damit da was steht, das sich auf "Nacht" reimt. Ein richtig schönes Gedicht besteht nur aus Zeilen, wo jedes Wort den Inhalt mitträgt und die Reime sich spielerisch wie nebenbei von selbst erledigen. Das ist natürlich sehr schwer und erfordert eine Menge Übung und auch ein gewisses Näschen. Churchill hat in seinem Beispiel gezeigt, wie es gut gemacht wird. :wave

  • fantasy
    Das hast du wirklich ganz ordentlich gemacht. Sicher fehlt noch die Feinabstimmung, aber so schlecht wie es hier von einigen "Kritikern" gemacht wird ist es beileibe nicht.
    Mir imponiert dein Mut es hier bei den Eulen reinzustellen, sind doch gerade bei den Eulen eine Menge "Gedichte-niedermach-Kreaturen" unterwegs..... :rofl
    Also - nicht entmutigen lassen - weitermachen.... :wave


    Sehr vielversprechende Ansätze sind vorhanden. :-)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • arter
    Danke, jetzt hab ich es glaub ich verstanden.
    In dem erwähnten Buch von meiner Schwester steht auch was von Silbenanzahl, das guck ich mir noch genauer an.


    Voltaire
    Danke sehr!
    Ich übe weiter.

    wer nicht liest, ist nicht besser dran,
    als jemand, der nicht lesen kann

    Herrmann Simon, dt. Wirtschaftswissenschaftler, 1947

  • Hallo Fantasy,


    ich mag dein Gedicht. Es kommt nicht immer darauf an wie professionell etwas. Wichtig ist doch, dass es dir gefällt. Mach weiter so. Ich habe auch mal so angefangen. Und die Gedichte waren nicht so gut wie deines. Vielleicht versuchst du es auch mal mit einer Kurzgeschichte.


    Liebe Grüße :wave

    Fay
    Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers. (Stendhal)

  • Danke Fay!
    Ich mag Kurzgeschichten gerne. Zweimal hab ich hier auch schon am Schreibwettbewerb teilgenommen. Dieses mal scheint meine Geschichte bei einigen ganz gut anzukommen :-]
    Hab auch eine neue Idee für eine weitere Kurzgeschichte...

    wer nicht liest, ist nicht besser dran,
    als jemand, der nicht lesen kann

    Herrmann Simon, dt. Wirtschaftswissenschaftler, 1947