Mach mal Feuer, Kleine - Martin Šmaus

  • Kurzbeschreibung:
    Andrejko ist kaum vier Jahre alt, als ihn sein Onkel Fero von der Roma-Siedlung in den ostslowakischen Waldkarpaten zu Verwandten nach Prag bringt, die dort am Rande der Legalität leben. Fero ist tief beeindruckt von der Fingerfertigkeit des Jungen, die sich in der Stadt sicher gewinnbringend einsetzen ließe. Andrejko lernt schnell. Er bettelt und stiehlt, ein Leben als gesellschaftlicher Außenseiter scheint vorgezeichnet zu sein. Doch Andrejko will sich nicht wie seine Verwandten in den Nischen der Gesellschaft einrichten. Ihn zieht es zurück zum ursprünglichen Leben in den Bergen. Kraftvoll und poetisch erzählt Martin Šmaus von dem bewegten Leben eines Roma- Jungen vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Kommunismus.


    Über den Autor:
    Martin Šmaus, geboren 1965 in der südöstlich von Prag gelegenen Stadt Jihlava, studierte Nukleartechnik und Elektronik und arbeitet als Techniker und Computeradministrator in einem Krankenhaus. ›Mach mal Feuer, Kleine‹ ist sein erster Roman und sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Aufmerksamkeit. 2006 wurde er mit dem Magnesia Litera (bedeutendster tschechischer Literaturpreis) in der Kategorie »Entdeckung des Jahres« ausgezeichnet. 2008 erschien sein zweiter Roman 'Židle pro Štefana'. Martin Šmaus lebt mit seiner Familie in Odry (Novojiínsko) im Osten Tschechiens.


    Meine Eindrücke:

    Zitat

    Zitat, S. 284: "Die feurigen Csardas-Lieder und die klagenden Halgato kann niemand auf der ganzen Welt in Noten pressen, sie bestehen nicht aus Tönen, sondern bluten und sprudeln aus der Tiefe, aus dem Inneren, so wie eine Quelle aus der Erde und der Saft aus einem verletzten Baum, sie sind heiser, kantig und schneidend, und zugleich so weich und traurig, dass man verrückt werden möchte. […] Mein liebes, liebes Mädchen, ich bitt dich, mach mal Feuer …"


    Wo Feuer ist, sind Leben und Wärme, es wird gegessen, getrunken, gefeiert, gesungen und geliebt, und die Roma tun alles aus vollem, überquellendem Herzen.


    Andrejko Dunka wird in einer Romasiedlung bei Poljana, einem Dorf in der Ostslowakei, geboren und mit vier Jahren nach Prag geschickt, um zu lernen, wie man sich sein Brot verdient. In Prag ist der Himmel zwischen den Häuserschluchten mit Straßenbahnkabeln zugenäht. Er landet bei den Dunkas, Onkel und Tante mit vielen Kindern und lernt, beim Betteln hungrig zu schauen und unbemerkt Dinge mitgehen zu lassen. Die Dunkas beanspruchen ihren Platz in der sozialistischen Tschechoslowakei: Sozialwohnung, Stütze, Kindergeld. Je mehr Kinder, desto mehr Geld. Wenn es kalt ist, wird Feuer gemacht, Türen, Fensterrahmen und Dachbalken verfeuert; stürzt das Haus ein, wird das Amt neuen Wohnraum stellen. Keiner denkt an morgen, man lebt im Hier und Jetzt. Es dauert nicht lange, bis Andrejko geschnappt und in eine Besserungsanstalt gebracht wird, kein Zuckerschlecken in den siebziger Jahren. Ihm gelingt die Flucht nach Poljana, doch die Siedlung ist verlassen, seine Mama ist gestorben, niemand ist mehr da. Nur der alte Juraj, der Schäfer, nimmt sich seiner an und lässt ihn bei sich wohnen und kommen und gehen wie er will und weckt in ihm den Wunsch nach einer Heimat und die Liebe zur Natur. Andrejko zieht es irgendwann wieder zu den Dunkas, die inzwischen nach Pilsen gezogen sind. Er wird zwischen den Welten hin- und hergerissen; da sind die heißblütige Familie, die Musik, die keine Noten braucht, das Leben von der Hand in den Mund; dort sind die Arbeit in der Brauerei, das Streben nach Anerkennung und Liebe, der Wunsch nach Zugehörigkeit. Doch Andrejko fühlt nicht durch und durch wie ein Roma, und ein Weißer ist er auch nicht. Sein Leben verläuft am Rande der Gesellschaft, in der im Sozialismus kein Platz für Andersdenkende, Andersartige ist. Immer wieder zieht es ihn nach Poljana, in die Berge, zu den hundertjährigen Eichen und Buchen, aber das Glück lässt sich nicht festhalten; der Preis der Freiheit ist hoch.


    Die Geschichte ist recht einfach und hat nur einen Handlungsstrang: sie begleitet Andrejko. Dennoch gelingt es dem Autor, den Bogen vom zweiten Weltkrieg bis zum Ende des Sozialismus zu spannen, die Ausgrenzung der Roma zu allen Zeiten sichtbar zu machen, Fragen nach Schuld und Mitschuld zu stellen und einen wunderschön-rauen Landstrich zu beschreiben, in dem immer noch Trampelpfade über die von Menschenhand willkürlich gezogenen Grenzen führen.


    Der märchenhafte Erzählstil und die manchmal langen Sätze passen ans Lagerfeuer. Ich habe der Geschichte und dem Knistern atemlos gelauscht, die Handflächen zum Feuer gestreckt, in die Flammen geschaut und zugesehen, wie die Funken in die Dunkelheit stoben. Faszinierend und traurig-schön.