„Das sogenannte Böse – Zur Naturgeschichte der Aggression“ von Konrad Lorenz

  • Der Autor (Klappentext):
    Konrad Lorenz, am 7. November 1903 in Wien geboren, studierte Medizin und Biologie. 1949 gründete er das Institut für vergleichende Verhaltensforschung in Altenberg (Österreich) und wurde 1951 an das Max-Planck-Institut berufen. Von 1961 bis 1973 war er Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltenspsychologie in Seewiesen bei Starnberg. Konrad Lorenz ist einer der Begründer der vergleichenden Verhaltenskunde, der Ethologie. 1973 wurde ihm, zusammen mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbegren, der Nobelpreis für Medizin und Physiologie zuerkannt. Er starb am 17. Februar 1989.


    persönlicher Nachtrag:
    Am allgemein bekanntesten wurde Lorenz wohl durch seine Verhaltensstudien an Graugänsen. So hat er an handaufgezogenen Graugänsen das Prinzip der Prägung studiert und aufgeschlüsselt.


    Das Buch (Klappentext):
    „Das sogenannte Böse“ ist eim Schlüsseltext unserer gegenwärtigen menschlichen Selbsterkenntnis. Konrad Lorenz hat das große Verdienst, in einer Zeit, in der die menschheit zuweilen recht diletantisch an ihren Zwängen und Widesprüchen herumdoktert, die -vergleichsweise primitiven, aber deshalb um so gefährlicheren – Grundantriebe menschlichen Verhaltens wieder ins Bewusstsein gebracht zu haben. Seitdem Lorenz die Aggression als einnen wesentlichen Faktor menschlicher Handlungen und Reaktionen erkannte und in dem vorliegenden Buch überzeugend darstellte, ist dieser Begriff nicht nur zum Schlagwort der anthropologischen und soziologischen Diskussion geworden, sondern hat auch eine Flut von Veröffentlichungen zu diesem Thema ausgelöst. Nicht zuletzt diese Tatsache unterstreicht eindrucksvoll den Epochalen Rang des Werkes.


    Meine Meinung:
    Im Rahmen meiner persönlichen Leserunde naturwissenschaftlicher Klassiker hab ich „Das sogenannte Böse“ heute beendet.
    Das Buch gibt nicht nur einen allgemeinverständlichen Abriss über verschiedene Stufen von Aggression im Tierreich und welche unverzichtbaren Funktionen diese in der Interaktion und im geselligen Zusammenleben von Tieren erfüllt. Auch grundsätzliche Handlungsantriebe und deren Wechselwirkungen werden anschaulich an zahlreichen Beispielen, die er zumeist selbst im Laufe seiner Forscherlaufbahn beobachtet hat, erklärt und geben einen Eindruck davon, welche Reize ein Individuum zu welchen Handlungen motivieren können. Dabei bezieht er sich häufiger noch als auf seine Graugänse auf Studien an diversen Buntbarscharten. Aber auch viele andere Tierarten wie Wölfe, Ratten oder Rabenvögel werden in die Betrachtungen intensiv einbezogen und ergeben so einen recht guten Rundumschlag.


    Besonders interessant und neu für mich ist seine These, dass der allergrößte Teil von Hemmmechanismen gegen Aggressionen direkt aus umgeleiteten Aggressionsreizen hervorgangen sind und im Zuge dessen auch viele Reizsysteme der Paarbildung und persönlicher Beziehungen im Tierreich ursprünglich auf aggressivem Verhalten fußen. Noch heute sind in vielen Paarbindungsmechanismen die Parallelen zu Aggressionsmechanimsen unverkennbar. Er geht sogar soweit zu behaupten, dass jede Liebe auch heute noch ein nicht unbeachtliches Maß an Aggression birgt. Mit recht eindrücklichen Beispielen belegt er, dass persönliche Bindungen in aller Regel nur bei Arten auftreten, die ein gewisses Aggressionspotential aufweisen. Friedliche Arten bilden keine Freundschaften sondern leben i.d.R. anonym nebeneinander her.


    Zum Schluss versucht er die im Buch gewonnen Erkenntnisse auf die menschliche Gesellschaft anzuwenden, warnt aber auch davor, zu voreilig zu pauschalisieren.
    Dass größte Problem der Menschheit sei, so Lorenz, dass der Mensch evolutionsbiologisch kein stark bewaffnetes Raubtier ist, denn diese haben bei entsprechendem Aggressionpotential starke Hemmungen entwickelt, die das Töten von Artgenossen unterbinden (es kommt praktisch nicht vor, dass Tiere, die in der Lage wären einen schwächeren Artgenossen ohne weiteres zu töten oder massiv zu verletzen, dieses auch tun). Im Zuge seiner kulturellen Enwticklung hat sich der Mensch heute aber zu einem stark bewaffneten Tier entwickelt, das passend starker Hemmungen entbehrt. Dennoch ist der Ausblick, den Konrad Lorenz letztlich gibt ein positiver.


    Insgesamt ist der Text gut verständlich geschrieben und sorgsam durchdacht strukturiert, so dass sich am Ende sowas wie ein Aha-Effekt beim Leser einstellen kann. Einige trockenere Passagen werden durch seine zahlreichen Anekdoten und fein gestreuten Witz wieder ausgeglichen (Bsp: Er erklärt, dass das Füttern bei Vogelpärchen ein Vorrecht des Ranghöheren ist. Ein Ranghöheres Tier wird sich also nicht von einem Rangniederen Füttern lassen wollen. In dem Zuge erwähnt er zusammenfassend das „Prinzip Geben ist seliger denn Nehmen, oder, wo die Nahrung aus dem Kropfe hochgewürgt wird, Übergeben ist seliger den Übernehmen“).


    Hier und da kommen einige Aussagen recht vermenschlicht daher, obwohl Lorenz selbst mehrfach betont, dass das nicht in seinem Interesse liegt. Ich bin bei Vermenschlichungen gern etwas vorsichtig, aber recht weit am Schluss des Buches schreibt Lorenz einen Absatz, der mich nachdenklich und versöhnlich mit diesen Stellen stimmte:

    Zitat

    „Je komplexer und differenzierter zwei analog gebaute und Gleiches leistende Organe sind, desto größer ist unserer Berechtigung, sie unter einem funktionell bestimmten begriff zu vereinigen und mit dem gleichen Namen zu benennen, seien sie auch stammelsgeschichtlich noch so verschiedener Herkunft. [..Bsp: Wirbeltierauge und Auge der Kopffüßer werden trotz verschiedener Herkunft beide Problemlos als Augen betitelt, und zwar ohne sie in Anführungszeichen setzen zu müssen ..] Mit ebenso gutem recht lassen wir dies [ Anführungszeichen] fort, wenn wir von sozialen Verhaltensweisen höherer Tiere sprechen, die solchen des Menschen in mindestens ebenso vielen Merkmalen analog sind.“


    .. und dass vieles vom Grundmechanismus recht vergleichbar ist, hat er in dem vorausstehenden Buch gut dokumentiert.


    Insgesamt ein Text, welcher nicht umsonst zum Klassiker wurde. Wer sich für Verhaltensbiologie oder Psychologie und den Menschen interessiert sollte hier ruhig einen Blick riskieren.


    liebe Grüße
    Aj