Bücherwürmer lieben Bücher über andere Büchernarren, das scheint geradezu ein Naturgesetz zu sein. Zudem hat das Genre ja in den letzten Jahren durch Autoren wie Alberto Manguel (oder in jüngster Zeit Nick Hornby oder Susan Hill) zusätzlich immens an Auftrieb gewonnen. So konnte es wohl nicht ausbleiben, dass auch dieser Veröffentlichung von Nina Sankovitch eine gewisse Aufmerksamkeit sicher war. Der Bericht über ein ganzes Lesejahr, ein Buch pro Tag...? Dem konnte ich unmöglich widerstehen!
Und doch ist das Buch bei mir knapp an der Höchstwertung vorbeigeschrammt. Ich habe es gerne gelesen, keine Frage, fand es amüsant, teils auch lehrreich, leicht zugänglich, flüssig geschrieben. Aber: ein wenig am eigenen Klappentext vorbei ist es dann doch. Das "Rezept" hörte sich fantastisch an, ist aber meines Erachtens nicht zu 100 % umgesetzt worden. Immerhin aber zu, sagen wir mal, 80 Prozent!
Der Anlass, dieses Buch zu schreiben, war leider ein tragischer - es war der Tod von Nina Sankovitch' Schwester. Drei Jahre lang floh sie vor ihrem Schmerz und ihren Gefühlen, bis sie für sich die Notbremse zog und in ein Jahr des Lesens abtauchte. Gut, nun hat man persönlichen Schmerz nicht zu bewerten - aber ich hätte mir für dieses Buch einfach gewünscht, der Tod der Schwester wäre auch allein der Anlass geblieben, wäre nur am Anfang aufgetaucht. Doch nein. Auch noch aus dem unmöglichsten und eigentlich unwahrscheinlichsten Buch zieht Nina eine Parallele, sieht ihre Schwester darin, erinnert sich an ihr gemeinsames Leben. Das mag zwar psychologisch gesehen verständlich sein, aber in einem Buch über ein Lesejahr hat es mich, man entschuldige bitte, im Verlauf der Lektüre zunehmend genervt.
Auch fand ich schade, dass das Buch nach dem großartigen ersten Drittel zunehmend an Struktur verlor. Anfangs beschreibt die Autorin noch, wie sie ihren Tagesablauf im Lesejahr strukturiert, welche Schwierigkeiten es gibt, wie sie zu ihrer Lektüre kommt. Doch all das versandet nach und nach. Es gibt nur noch "thematische" Kapitel, bei denen man manchmal den Zusammenhang mit dem Lesejahr suchen muss. Kapitel über Liebesgeschichten, über Sex, über Mitgefühl in Büchern, über Krimis (wobei ich das Kapitel über Krimis das beste fand). Hin und wieder werden Titel erwähnt, die sie gelesen hat - aber nicht, WANN im Lesejahr das war, und wie sie zu den Büchern kam. Der Jahresablauf verschwindet fast vollständig; hingegen gewinnt die Darstellung der eigenen Familiengeschichte immer mehr Raum. Ich fand dies schade - da ich, dem Klappentext zufolge, etwas anderes erwartet hatte.
Immerhin, es gibt einen Anhang mit all den Büchern, die sie in ihrem Lesejahr verschlungen hat. Und es gibt die Adresse ihres Blogs, auf dem sie täglich (!) ihre Rezensionen veröffentlichte. Vermutlich sollte man sich lieber den durchlesen, wenn man tatsächlich an ihrer Meinung zu ihrer Lektüre interessiert ist. Ich möchte meine leichte Enttäuschung aber insofern abmildern, als das Buch durchaus den einen oder anderen Lichtblick bescherte, die eine oder andere Einsicht, was Bücher und Lebenserkenntnis betrifft. Ich werde es sicher noch öfter zur Hand nehmen, und an den Stellen schmökern, die mir besonders gefallen haben.