Jens Mühling, Mein russisches Abenteuer

  • Wenn ich könnte, würde ich sechs Sterne vergeben anstatt 5! Dies war für mich bislang mit Abstand das beste Buch, das ich im Rahmen der Debütautoren-Aktion lesen durfte. Eine echte Bereicherung, sowohl was den Inhalt, als auch den Schreibstil betrifft.


    Was dieses Buch für mich besonders auszeichnete, war vor allem der Schreibstil, die Form, in die die Erlebnisse des Autors gegossen wurden. Es ist weder eine reine Reisebeschreibung, die trocken von Station A nach B nach C läuft. Es ist aber auch keine historische Abhandlung, kein "Zettelkasten", und auch keine "Nummernrevue". Es ist etwas ganz Eigenes, das wunderbar ausbalanciert zwischen Belletristik und Sachbuch einzuordnen ist. Meine allerhöchste Bewunderung für dieses Kunststück!


    Einfach "schön" fand ich schon die Idee, die Kapitel zu den einzelnen Stationen der Reise mit den "Elementen" zu betiteln, also "Eis" für die Ukraine, "Blut" für Moskau, "Wind" für Sankt Petersburg, "Wasser" für Sibirien, "Gras" für die Steppe, und "Holz" für die Taiga. Wie man beim Lesen merkt, haben diese Bezeichnungen ihre Berechtigung, und kommen in der Schilderung vor. Dies unterstreicht den Eindruck einer Naturgewalt, den Russland noch heute ausstrahlt.


    Der Autor lässt die zeitlichen Abläufe seiner Reise ganz bewusst etwas im Dunkeln. Er verknüpft die Stationen seiner Reise eher anhand von Hinweisen, die er von Menschen bekommt, die er trifft. Es ist fast wie bei einer Schnitzeljagd; er gelangt, durch die unmöglichsten Begegnungen, von einer kuriosen Station zur nächsten. Mönche, Altgläubige, religiöse Sonderlinge aller Art; aber auch Menschen, die um jedes Fitzelchen ihres Nationalstolzes ringen, Menschen, die Angehörige in allen möglichen Scharmützeln verloren haben. Mir hat sich ein Bild eines bis ins Absurde hinein zersplitterten Landes vermittelt - dabei waren die historischen Hintergründe geschickt eingebaut, und haben mir, soweit das überhaupt möglich ist in einem Land wie Russland, ein wenig Verständnis ermöglicht.


    Besonders gelungen empfand ich auch die Tatsache, dass der Autor die zahlreichen Absurditäten dieser Reise zwar deutlich unterstreicht, sich aber zumeist einer Wertung enthält. Auch wenn es von religiösen Spinnern, wie man wohl sagen würde, während der Reise nur so gewimmelt hat - man merkt Jens Mühling deutlich an, dass er alle diese Personen zuallererst als Menschen wahrgenommen hat. Lediglich bei den anscheinend nicht auszurottenden Trinkgelagen der russischen Männer schimmert so etwas wie Fassungslosigkeit oder Entrüstung bei ihm durch.


    Dieses Buch versucht weder, zu missionieren, noch, zu verklären - es ist aber auch keine reine Beschreibung, und gerade darin liegt sein Wert. Der Leser schwankt zwischen ungläubigem Lachen, Kopfschütteln und Mitgefühl. Er wird mitgenommen auf eine unvergessliche Reise, und erhält Einblick in eine Welt, die ihm sonst verschlossen bliebe. Obwohl Russland wahrscheinlich nie ganz verstanden werden kann, wünsche ich mir mehr solcher Bücher - damit das Fremde weniger fremd wird.