Weiß ich, wann es Liebe ist? - Audur Ava Ólafsdóttir

  • Hm, wie soll ich denn jetzt ein Buch rezensieren, das mir streckenweise extrem auf die Nerven ging, das aber eigentlich nicht schlecht ist unddas sicherlich der einen oder anderen Eule gut gefallen würde, das ich also andererseits sogar empfehlen könnte?


    „Weiß ich, wann es Liebe ist?“, der deutsche Titel deutet schon an, worum es geht: Arnljótur, ein postpubertierender 22jähriger Isländer, will endlich wissen, was er eigentlich will. Seine geliebte Mutter ist einige Monate zuvor gestorben, sein etwas schusseliger Vater und der geistigbehinderte Zwillingsbruder können ihm auch nicht weiterhelfen und dann ist er auch noch, Ergebnis eines hastigen One-Night-Stands, Vater einer kleinen Tochter geworden.
    In dieser Situation, in dem seine Gedanken fast ausschließlich um Sex, Tod und Liebe kreisen, beschließt er, aufs Festland (ich nehme an, Südfrankreich) zu reisen und einen verwilderten Klostergarten auf Vordermann zu bringen. Im Gepäck hat er eine besondere Rose, die seine Mutter, leidenschaftliche Gärtnerin, einst gezüchtet hat.
    Als er dort, um eine Todeserfahrung reicher, endlich angekommen ist, findet er sich plötzlich gänzlich auf sich selbst zurückgeworfen, muss er feststellen, dass, so er sich nicht gerade mit Pflanzen und Gartenplanung beschäftigt, immer noch Sex, Tod und Liebe seine Gedanken beherrschen. Bis die Kindsmutter mitsamt neunmonatiger Tochter auftaucht und er sich der Realität stellen muss.


    Diese Geschichte einer Selbstfindung, die ruhig, wenn auch durchaus mit selbstironischen Untertönen erzählt wird, treibt den Leser ganz eigentümlich mit, so wie Arnljótur durchs Leben treibt. Das wird durch den Ich-Erzähler noch verstärkt, sitzen wir doch quasi in seinem Kopf.
    .
    Leider fiel ich mit zunehmender Lesedauer aus eben jenem Kopf heraus, was zum einen an der seltsamen, christlich-mystisch verquasten Wahrnehmung des Helden seiner Umwelt lag. Er denkt kein einziges Mal über Religion und Religiosität nach, sondern reagiert rein emotional auf christliche Symbole und feierliche Stimmungen. Der Kirchenbau, ein filmbegeisterter Pastor, der Friede eines Klostergartens, all das sorgt für ein heimeliges Gefühl der Geborgenheit. Das mag tröstlich sein, löst aber keine Probleme, es stellt die Gedanken ruhig, anstatt ihnen eine Richtung zu geben.


    Das andere Problem war dieses bewusst jesusgleiche Kind, so gut und rein. Es schreit nie, isst alles, schläft zuverlässig. Es ist freundlich zu Mensch und Tier und, ach, es liebt es sogar, von seinem Vater in putzige Kleidchen, Mäntelchen und Schleifchen gesteckt zu werden. Auch wenn diese Stellen nicht ganz frei von Ironie sind und wahrscheinlich nur die Botschaft einfach ein wenig überdosiert war, dass dieses Kind den Helden rettet, sowie Jesus die Christenheit rettete, gingen sie mir doch gehörig auf die Nerven. Denn Arnljótur muss sich, in dem er plötzlich für dieses Kind die Verantwortung übernimmt, keiner Aufgabe stellen: das Kind funktioniert von alleine und ist nur dazu da, das Leben seines Vaters zu erhellen (und tut das auch zuverlässig). Das stellt die einfache Tatsache auf den Kopf, dass Eltern für ihre Kinder dazusein haben und nicht andersherum und ist für mich eine gefährlich mystifizierende Darstellung des Zustands Elternschaft.


    Aber auch wenn mich dieses Buch komplett auf dem falschen Fuß erwischt hat, weniger ausgeprägten Kopfmenschen könnte das Buch durchaus gefallen. Ich wäre sogar auf anderslautende Interpretationen gespannt.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Herrje, das Buch liegt auf meinem SUB. Ich muss ja immer alles haben (oder fast alles), das aus isländischer Feder stammt. Nach dieser Rezi rutscht es im Stapel aber noch einmal ein gutes Stück weiter nach unten. Wenn ich es mal anlesen kann (leider null Zeit momentan), sortiere ich es vielleicht lieber gleich aus und erspare mir eine Enttäuschung. Danke, DraperDoyle!

  • Och nö, Fandorina, so war das jetzt aber nicht geplant ;-)


    Nimm dir doch ein Beispiel an mir: ich horte nicht nur isländische Literatur, sondern versuche, manchmal unter Aufbringung nahezu übermenschlicher Selbstdisziplin (Höllenengel :yikes), das alles auch zu lesen.
    Was tut man nicht alles für eine universale Bildung :grin


    Und vielleicht ist das Buch ja gar nicht so schlimm und hat bei mir nur einen etwas empfindlichen Nerv getroffen...

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ach, ich denke, ich lasse es einfach zwischen all den anderen ungelesenen Büchern stehen und mache mir dann irgendwann mal selbst ein Bild. Frisst ja kein Brot.


    Außerdem habe ich gerade zwei sehr schlechte Rezis über ein isländisches Buch gelesen, das mir vor etlichen Jahren gut gefiel. Da freue ich mich ja auch weiterhin auf den Re-Read und auf die Folgebände. :-)