Inflationäre Ich-Perspektive

  • Liebe Mit-Eulen,


    ich bin gerade zwischen frustriert und verzweifelt. :cry Scheinbar ist es kaum noch möglich, ein Buch in die Hand zu bekommen, in dem die Hauptperson NICHT "Ich" ist. - ab und an hat mir das früher gefallen, doch mittlerweile ist dieses "Ich" für mich eine einheitliche Person. Wenn ich fünf Bücher hintereinander mit dieser Perspektive lese, empfinde ich einfach keinen Unterschied mehr zwischen den 5 Ichs. (Im schlimmsten Fall weiß ich weder, wie die Person heißt, noch kommt dessen Geschlecht rüber) Mein Standard-Bild dieses Ich ist momentan eine junge, brünette Frau.


    Bilde ich mir das ein, oder erlebt die "Ich"-Perspektive gerade ein epidemisches Wachstum?

  • Ich finde das auch!


    Und ich kann das gar nicht leiden, aus dem identischen Grund wie Du - irgendwann verschwimmt alles, weil mir die erzählerischen Beschreibungen fehlen.


    Eine schöne Zwischenlösung lese ich grade: Ich-Erzähler und kapitelweise ein Dritter - aber ist schon immer bisschen komisch, dieses Gewechsele! Und der Ich-Erzähler ist mir absolut schwammig vor den Augen, wohingegen der, um den es in den Teilen des Dritten Erzählers geht, eigentlich sehr klar ist.

  • Zitat

    Original von JASS
    Liebe Mit-Eulen,


    ich bin gerade zwischen frustriert und verzweifelt. :cry Scheinbar ist es kaum noch möglich, ein Buch in die Hand zu bekommen, in dem die Hauptperson NICHT "Ich" ist. - ab und an hat mir das früher gefallen, doch mittlerweile ist dieses "Ich" für mich eine einheitliche Person. Wenn ich fünf Bücher hintereinander mit dieser Perspektive lese, empfinde ich einfach keinen Unterschied mehr zwischen den 5 Ichs. (Im schlimmsten Fall weiß ich weder, wie die Person heißt, noch kommt dessen Geschlecht rüber) Mein Standard-Bild dieses Ich ist momentan eine junge, brünette Frau.


    Bilde ich mir das ein, oder erlebt die "Ich"-Perspektive gerade ein epidemisches Wachstum?


    In letzter Zeit lese ich auch vermehrt Bücher in der Ich-Perspektive. Allerdings stört mich dies nicht sonderlich, aber der Trend zur Ich-Perspektive ist gegeben.

  • Ich bin auch kein Fan der Ich- Perspektive. Derzeit nimmt das wirklich Überhand bei den Büchern. Ich lese momentan ein Buch, das gleich von 2 Personen aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Das nervt einfach tierisch. Hätte ich das gewusst, hätte ich mir das Buch nie gekauft.


    Am meisten finde ich es schade, dass aufgrund dieser Perspektive die anderen Charaktere immer etwas blass bleiben.

  • Zitat

    Original von JASS
    Liebe Mit-Eulen,


    ich bin gerade zwischen frustriert und verzweifelt. :cry Scheinbar ist es kaum noch möglich, ein Buch in die Hand zu bekommen, in dem die Hauptperson NICHT "Ich" ist. - ab und an hat mir das früher gefallen, doch mittlerweile ist dieses "Ich" für mich eine einheitliche Person. Wenn ich fünf Bücher hintereinander mit dieser Perspektive lese, empfinde ich einfach keinen Unterschied mehr zwischen den 5 Ichs. (Im schlimmsten Fall weiß ich weder, wie die Person heißt, noch kommt dessen Geschlecht rüber) Mein Standard-Bild dieses Ich ist momentan eine junge, brünette Frau.


    ein horror-bild :lache


    kommt wohl von den ganzen selbstfindungs- und ich-behauptungs- seminaren. :chen


    Ich-perspektive ist offenbar ansteckend.


    Mir ist das ich vor kurzem störend in der Farseer-trilogy aufgefallen - da war das ich wenigstens ein junger, schwarzhaariger assassine - dahingehend war es für mich störend, als dass ich danach wieder mal die untugenden und unzulässigkeiten meiner eigenen machwerke ausbessernd und neue absätze einfügend, die figuren, die vormals dritte person waren, plötzlich ich-erzähler wurden - diese lapsi hab ich natürlich sofort wieder gelöscht. Ich schau meinen figuren nur über die schulter, nicht in die seele.


    Wenn man sowas liest, ist man also höchst gefährdet, selber sowas zu schreiben... - wahrscheinlich hast du aber bloss eine schlechte lektüren-auswahl getroffen:
    Kauf dir für zwischendurch ein Sachbuch über bestattungssitten in der hallstattzeit. Da kommen keine leute drin vor, die dich mit ihrer lebensgeschichte aus erster hand belästigen... die sind alle schon tot, und was sie sich zeitlebens dachten, liest sich bestenfalls aus den beigaben. :grin

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

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  • Zitat

    Original von MagnaMater


    Wenn man sowas liest, ist man also höchst gefährdet, selber sowas zu schreiben... - wahrscheinlich hast du aber bloss eine schlechte lektüren-auswahl getroffen:
    Kauf dir für zwischendurch ein Sachbuch über bestattungssitten in der hallstattzeit. Da kommen keine leute drin vor, die dich mit ihrer lebensgeschichte aus erster hand belästigen... die sind alle schon tot, und was sie sich zeitlebens dachten, liest sich bestenfalls aus den beigaben. :grin


    Da bleibe ich lieber bei meinen Statistik-Büchern über Wahrscheinlichkeit, Regression und Kausalität. :grin Mit meinen guten Freunden den Mengen, dem Wahrscheinlichkeitsraum und den bedingten Erwartungswerten. :grin



    Immerhin scheine ich nicht verrückt zu sein und es mir einzubilden. :wow

    Es ist erst dann ein Problem, wenn eine Tasse heißer Tee nicht mehr hilft. :fruehstueck

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  • Zitat

    Original von JASS


    Da bleib ich lieber bei meinen Statistik-Büchern über Wahrscheinlichkeit, Regression und Kausalität. :grin Mit meinen guten Freunden den Mengen, dem Wahrscheinlichkeitsraum und den bedingten Erwartungswerten. :grin


    Och neee, die würd ich mir nie freiwillig antun, nachdem ich da soo viel draus lesen und verinnerlichen mußte :grin


    Aber ich bin ja eh anders, da ich ein absoluter Fan der Ich Perspektive bin :schaem

  • Bin ich die einzige, die das gar nicht richtig registriert, aus welcher Perspektive die Geschichte erzählt wird?
    Den Unterschied kenne ich natürlich schon, aber wenn man mich nach dem Lesen fragen würde, ob das Buch in der Ich-Perspektive geschrieben ist, könnte ich das wahrscheinlich in 90% der Fälle nicht beantworten.

    She crouched with her hand out. What the hell was she doing…
    “Here, kitty, kitty, kitty.”
    Oh my God, she was retarded and I was going to kill Jim.
    *Currans POV*

  • OT: Looool, Flammenkatze, deine signatur trifft es!


    Die diskussion zum anderen thread:


    Game of Thrones (Ein Lied von Eis und Feuer)


    She crouched with her hand out. What the hell was she doing…
    “Here, kitty, kitty, kitty.”
    Oh my God, she was retarded and I was going to kill Jim.
    *Currans POV*


    :lache :lache :lache

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

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  • Hallo Jass,


    Dein Anliegen habe ich zum Anlass genommen, meine letzten Lektüren einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Dabei hat sich herausgestellt, dass der vorletzte Roman in der personalen Erzählperspektive geschrieben wurde (der Erzähler schlüft also in die Rolle der Figuren), die letzten Erzählungen aus der Ich-Perspektive berichten (was bei Reiseschilderungen zwar nicht notwendig ist, aber für mich als Leser überzeugender klingt) und in meiner aktuellen Kurzgeschichte hat der geistige Vater die auktoriale Erzählform benutzt.
    Wie Du siehst. sind in meiner Leseauswahl mehrere Erzählperspektiven bemüht worden, aber ich beobachte "Dein Phänomen" in Zukunft und werde berichten.


    Vielleicht liegt Deine Beobachtung auch nur an Deinem favorisierten Genre.
    Chick-Lit? Das Leid lässt sich aus der Ich-Perspektive besser klagen ;-).

  • Zitat

    Original von arter
    Lies mal eins mit DU-Perspektive. Z.B. "Du" von Zoran Drvenkar.
    Das ist echt beeindruckend. Für mich zumindest ....


    Der "Nachtzirkus" von Erin Morgenstern hat auch Passagen aus der zweiten Person.


    Ich glaube, die Ich-Perspektive ist zurzeit so populär, weil man sich 1. viele Beschreibungen des Protagonisten sparen kann (da bleibt mehr Zeit für sinnleere Dialoge oder adjektivgeschwängerte Beschreibungen) und 2. der Leser sofort eine Verbindung zum Erzähler aufbaut.
    Letzteres scheint mir deswegen ein so wichtiges Argument zu sein, weil das darauf hindeutet, dass viele Leser sich heutzutage nicht mehr genug Zeit nehmen, sich auf Charaktere einzulassen und so durch ihren Kauf von Ich-Erzähler-Büchern das ganze noch steigern (ich könnte mir vorstellen, dass so mancher Lektor auf das Manuskript eines Autoren "Bitte auf Ich-Perspektive umschreiben!" schreibt, wenn er es zurücksendet).
    Und das wiederum spiegelt für mich die Schnelllebigkeit und den Massenkonsum von Büchern in unserer Zeit wieder: Ein Buch fertig, schnell das nächste, wenn man nicht schnell genug reinkommt, wirds abgebrochen und das nächste wird zur Hand genommen (ich will hier keinem auf die Füße treten, das ist einfach ein allgemeiner Trend).

  • Arter, das stimmt - ein saugutes Buch! Ob ich, er oder du... ist mir piepegal - aufs Erzählenkönnen kommt es an, allein das ist die Perspektive, die zählt.

  • Zitat

    Original von Dori: Und das wiederum spiegelt für mich die Schnelllebigkeit und den Massenkonsum von Büchern in unserer Zeit wieder: Ein Buch fertig, schnell das nächste, wenn man nicht schnell genug reinkommt, wirds abgebrochen und das nächste wird zur Hand genommen (ich will hier keinem auf die Füße treten, das ist einfach ein allgemeiner Trend).


    Du sprichst hier etwas an, was mich schon länger beschäftigt und mich veranlassen müsste, einen neuen Thread zu eröffnen. Fragt sich, ob ich dann mit faulen Eiern beworfen würde und meine Mitgliedschaft hier im Forum als beendet ansehen kann.
    Übrigens, meine Abbrecherquote beläuft sich im aktuellen Lesejahr auf Null.

  • Zitat

    Original von Flammenkatze
    Bin ich die einzige, die das gar nicht richtig registriert, aus welcher Perspektive die Geschichte erzählt wird?


    Nein, bist Du nicht. Ich registriere das i. d. R. auch nicht. Es ist mir auch egal, solange es gut geschrieben ist. Etwas seltsam wird es höchstens, wenn eine Frau aus Ich-Perspektive erzählt und das so geschrieben ist, daß man als Leser sehr nah dran ist. Dann stelle ich mir halt vor, die sitzt mir gegenüber und erzählt mir in der Ich-Form. Aber Probleme habe ich damit keine.


    In Rezis erwähne ich - wenn mir die Ich-Perspektive auffällt - das nur, weil ich weiß, daß viele die nicht mögen, um darauf hinzuweisen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Salonlöwin


    Vielleicht liegt Deine Beobachtung auch nur an Deinem favorisierten Genre.
    Chick-Lit? Das Leid lässt sich aus der Ich-Perspektive besser klagen ;-).


    Dieses Jahr:


    - Barry Hutchison, Invisible Fiends 02, (Horror)
    - Jonathan Kellermann, tödliche Lektion (Krimi)
    - Charlaine Harris, Vorübergehend Tot / Club Dead (Vampirreihe)
    - Suzanne Collins, die Tributen von Panem (3x) (Fantasy)
    - Jennifer Benkau, Dark Canopy (Science Fiction)
    - P.C. Kast / Kristen Cast, Gezeichnet (Vampirreihe)
    - Cody McFayden, Ausgelöscht (Thriller)
    - Annette Göttlicher, Mensch, Paul (Frauenroman)


    Ich habe nachgerechnet, dass ich damit 50 Prozent Ich-Perspektive gelesen habe. :wow


    Und jetzt liegen gerad bereit:


    - Carlos R. Zafon, Der Schatten des Windes (???)
    - Kris Webb / Kathy Wilson, Wie ich den kleinen Jack erbte (Frauenroman)


    Aber ich mag gerad keine Ich-Perspektive mehr. :cry

    Es ist erst dann ein Problem, wenn eine Tasse heißer Tee nicht mehr hilft. :fruehstueck

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  • Zitat

    Original von Salonlöwin


    Aber ich möchte mich der Figur gerne Nahe fühlen - Und genau das ist mein Problem, wenn sich jede Figur plötzlich gleich liest. Ich kann Figur A von B nicht mehr richtig unterscheiden.


    Und "Michael" von "Ramona" allein durch das Lesen des Wortes zu unterscheiden wäre immerhin ein Anfang. :grin

  • Ja, Salonlöwin, in Doris These steckt etwas. Ob die Ich-Perspektive als Werkzeug der These nutzt, wage ich zu bezweifeln. Aber das Thema-an-sich sollte näher erörtert werden. Denn Konzentrationsdefizite, Aufmerksamkeitsmangel, Zerstreutheitssucht und "Infotainment" als Massenverdummungsinstrument sind die Seuchen im Hier und Jetzt. Darüber muss man schreiben. Falls dich jemand mit faulen Eiern beschmeißt, dann freue dich, dass du dich der Verblödung entgegensetzt - das macht dich stolzer und stärker!

  • ...dabei ist die ICH-Erzählung die schwierigste überhaupt. An die haben sich vor Jahren kaum Autoren gewagt.


    Der Schreiber beschneidet sich jeglicher dramaturgischen Elemente, was dem Leser natürlich irgendwann auffällt.


    Wie schon gesagt, keine Zeit, keine Zeit. Der Leser muss in den ersten 3 bis 5 Seiten in die story hineingezogen werden. Und das geht nur mit der sofortigen Identifikation des (Ich)-Erzählers.


    Aber sind es nicht die Leser, die das geradezu fordern? Der Markt reagiert nur.
    Short stories, möglichst nicht über 50 Seiten auf dem Pad, so zwischen Haltestellen lesbar. Das ist der Markt. Da soll man als Autor noch Qualitätsansprüchen gerecht werden?


    ICH erzähle mal kurz ne Geschichte. Möglichst ohne Tiefgang. Fast food.


    Lest doch bitte nur die Leserunde hier zu meinem Thriller Saigon-Berlin.


    Anfänglich: das ist doch alles viel zu konstruiert. Schluss: Man, hätte ich doch besser am Anfang aufgepasst, jetzt kapiere ich die Konstruktion. Aber viel zu spät. Und dabei schreibe ich ausschließlich in der ICH-Perspektive. Und wer mich kennt, weiß, dass keine meiner Charakteren und die Umfeldgeschichten zu kurz kommen. Im Gegenteil. Ich widtme ihnen viel Zeit und Platz...und Humor . Also, von Inflation möchte ich nicht sprechen. Es kommt auf die Qualität des Erzählers an...


  • Ich muss endlich diese Bücher lesen... :grin


    arter, die Du-Perspektive find ich ganz schrecklich. Ich hab dann immer das Bedürfnis mit Lockenwickler in den Haaren, Little-Rose-QVC-Homeshopping-Bademantel und passenden Schlappen sämtlichen männliche Menschen und Tieren in meiner Umgebung mit erhobenem Zeigefinger "Sag mir nicht, was ich tun soll" zuzubrüllen.
    Erotische Geschichten in der Du-Perspektive finde ich GANZ gruselig...!

    She crouched with her hand out. What the hell was she doing…
    “Here, kitty, kitty, kitty.”
    Oh my God, she was retarded and I was going to kill Jim.
    *Currans POV*