'Wendekreis des Krebses' - Seiten 323 - Ende


  • Ein interessanter Beitrag.
    Ich bin allerdings der Meinung, dass oftmals - nicht immer - bei der Beurteilung von Henry Millers Verhalten, die eigene "Denk- und Gemengelage" es schwer macht, hier zu einem einigermaßen objektiven Urteil zu gelangen. Kann es nicht auch so sein, dass Miller gerade in seinem Verhalten das Nonplusultra beim Sex sieht? Vielleicht will er ja gar nicht mehr als "stumpfe Triebbefriedigung" - und vielleicht fühlt er sich genau dabei ja auch schweinewohl.
    Vielleicht findet er gerade das gut und geil - was andere eben nicht als gut und geil empfinden.
    Keine Ahnung ob das so ist. Denn so richtig lässt uns Henry Miller nicht in sich hinsehen. Er redet zwar viel - meistens auch über sich selbst - aber immer dann wenn es ans "Eingemachte" gehen könnte - dann macht er (Henry Miller) die Tür zu und wir (die Leser) sind wieder einmal nur auf Vermutungen angewiesen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich habe das Buch so verstanden wie Miller es seine Figur am Anfang des Wendekreises sagen lässt: Er will ein Buch bzw. ein Anti-Buch schreiben mit Inhalten, die noch nie geschrieben wurden. Leider habe ich das Buch weiterverliehen und kann die Textstelle jetzt nur aus dem Kopf wiedergeben.
    Für mich kamen beim Lesen nur Gefühle an als es um seine Frau ging, die ihm fehlte, als er über den Tod nachdachte usw., also bei den philosophischeren Passagen.
    Die Sexszenen habe ich als Gebrülle empfunden, mit nix dahinter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Millers echte Gefühle beim Sex sind.
    Deswegen habe ich auch keine echten Menschen hinter den Prostituierten wahrgenommen, weil die Szenen nicht echt wirkten, eher als Arrangement.
    Ich hoffe, das ist halbwegs verständlich. :gruebel

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Ich hoffe, das ist halbwegs verständlich. :gruebel



    Nicht nur halbwegs - das ist voll verständlich. :grin :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von harimau
    ... Was mir fehlt, ist seine Begeisterung dafür. Er rennt den Weibern hinterher wie er sich ein Gebüsch sucht, hinter dem er pinkeln kann. Um eine Last loszuwerden, seinem Trieb nachzugeben, aber bedeutet es mehr Freude, als bei Blasendruck zu pissen (Was ich keinesfalls unterschätze)? ...


    Der Vergleich gefällt mir. Besser kann man es gar nicht ausdrücken. Große Gefühle habe ich bei ihm eh nicht erwartet, aber gar keine?

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Zitat

    Original von harimau


    Es kommt mir vor, als hätte er sein Pulver verschossen und wollte sich doch weiterhin an seinen wortgewaltigen Ausführungen berauschen. Inhaltlich kam kaum Neues, dazu wiederholten sich Vokabular und benutzte Bilder zusehens. Weniger wäre in dieser Beziehung für mich mehr gewesen.


    harimau, ich mag Dein Schlussfazit schrecklich gern, besonders gern das oben zitierte, auch wenn mein Leselustmesser bei einer viel viel hoeheren Gradzahl ausschlaegt. Dass Du's getroffen hast, finde ich trotzdem.


    "weiterhin an seinen wortgewaltigen Ausfuehrungen berauschen" - das mag ich so, dass ich schon wieder grinsen muss. Ja, das stimmt, im letzten Viertel des Romans hoert man (wie zuvor auch schon, aber nicht so laut) haeufigst den Autor, der sich in seine Worte gehuellt vor den Spiegel stellt und vor Begeisterung ueber sich selbst erroetet.
    Bei einem weniger brillanten Jongleur faende ich das unertraeglich (und finde es nur allzu oft) - beim Henry finde ich es zum Bruellen, hinreissend, koestlich. Man kann den Text auch Seite fuer Seite durchgehen und genau feststellen, an welcher pointierten Formulierung er jetzt wieder einen derart delikaten Narren gefressen hat, dass er den auf der Gurgel behalten und immer wieder anspielen muss. Mir gefaellt's. Ich hab an Eitelkeit, selbstverliebten Hueftschwuengen vor dem Sprachspiegel durchaus meine diebische Freude. Wenn's einer nicht kann, darf er's mit mir nicht machen, ich verzeih's ihm nie, sondern wende mich angeekelt ab.
    Aber beim Henry ...


    Auch an Deinen Ausfuehrungen zum Blasendruck habe ich mich delektiert. Das kommt bei mir ganz anders an, und dennoch glaube ich, genau zu verstehen, wo Du da ins Schwarze triffst. Wobei ich (eigentlich bin ich ja absolut dagegen, solche Dinge im INTERNET schriftlich niederzulegen, aber heute ist eine Ausnahme ...) ja zugeben muss, vorgeschaedigt zu sein - als juengstes (und einziges) Schwesterlein von vier Bruedern ist mir die im Alter von zehn Jahren gestellte Frage: "Was is'n Orgasmus?" durchaus mit den Worten: "Du, das ist wenn Du von der Strassenecke an ganz noetig musst, und dann endlich aufs Haeuschen kannst", beantwortet worden.


    Verschaemt, aber schuldlos gruesst Charlie

  • P.S.: Ich muss das jetzt doch noch anfuegen.
    Irgendwas stimmt mit mir nicht (nicht mal heute, wo ich ganz fuerchterlich stolz darauf bin, seit knapp fuenfundzwanzig Jahren die ehrenwerte Gattin eines Halbjahrhunderters zu sein).
    Ich kann mir nicht helfen, aber fuer mich ist "er rennt den Weibern hinterher, wie er sich ein Gebuesch sucht, in dem er pinkeln kann" selbst in meinem gesetzten Alter (oder erst recht dann, fuercht' ich ...) noch immer ein Kompliment, das mich von den Fuessen reisst.


    Sorry!


    Bitte nicht schmeissen,
    Charlie

  • Zitat

    Original von harimau
    So, nun scheint die LR entgegen meinen Erwartungen wohl doch eingeschlafen zu sein. Die Asche gehört auch auf mein Haupt, aber zuletzt war bei mir zu viel los, um dafür Zeit zu finden. Auch auf die Gefahr hin, ins Leere zu schreiben, möchte ich doch ein paar Gedanken zum Wendekreis loswerden.


    Die Asche fällt auf deinem Haupt kaum auf... :grin


    Zitat

    Original von harimau
    Zur Rolle der Sexualität: Voltaire schreibt weiter oben "Er fickt halt gern - was ist daran auszusetzen?" Gar nichts. Was mir fehlt, ist seine Begeisterung dafür.


    Du hast recht. Begeisterung beim Ficken ist etwas anderes. Aber ich glaube immer noch, dass Miller kein pornographisches Buch geschrieben hat, das beim Leser Lust auf's Ficken hervorrufen soll. Sondern eher ein obszönes (mir fällt leider kein besseres Wort für ein, denn ich meine das gar nicht schambehaftet), ein provozierendes Buch, mit dem er Sex hinterm Vorhang des Unausgesprochenen und des Romatisierenden hervorgeholt hat.


    Zitat

    Original von harimau
    Er rennt den Weibern hinterher wie er sich ein Gebüsch sucht, hinter dem er pinkeln kann. Um eine Last loszuwerden, seinem Trieb nachzugeben, aber bedeutet es mehr Freude, als bei Blasendruck zu pissen (Was ich keinesfalls unterschätze)?


    Da musste ich gleich an Freuds Abhandlungen zur analen Phase denken, der dem Zusammenspiel aus Hingabe und Zurückhaltung beim Kacken einen hohen Lustgewinn zuschreibt. (Lang, lang ist das Studium her...)


    Zitat

    Original von harimau
    ...
    Noch einmal: Ich rede hier nicht von Moral, sondern von mangelnder (rein körperlicher) Erfüllung, Genuss, Leidenschaft, wie immer man das nennen will, was über stumpfe Triebbefriedigung hinausgeht und einen Fick zum guten Fick macht. Zu einem geilen Fick eben. Hier empfinde ich den Protagonisten ähnlich erbärmlich wie in seiner Essens-Schnorrerei - aus der er im Übrigen mehr Lustgewinn zu ziehen scheint, wenn man die Beschreibungen von Ficken und Fressen gegenüberstellt.
    ...


    An welchen Stellen erlebst du den Protagonisten befriedigt?
    Ich erlebe ihn eher als Rammler, denn als Genussmenschen. Höchstens in der Konzerthalle oder als er über Matisse schreibt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Ein interessanter Beitrag.
    Ich bin allerdings der Meinung, dass oftmals - nicht immer - bei der Beurteilung von Henry Millers Verhalten, die eigene "Denk- und Gemengelage" es schwer macht, hier zu einem einigermaßen objektiven Urteil zu gelangen. Kann es nicht auch so sein, dass Miller gerade in seinem Verhalten das Nonplusultra beim Sex sieht? Vielleicht will er ja gar nicht mehr als "stumpfe Triebbefriedigung" - und vielleicht fühlt er sich genau dabei ja auch schweinewohl.
    Vielleicht findet er gerade das gut und geil - was andere eben nicht als gut und geil empfinden.
    Keine Ahnung ob das so ist. Denn so richtig lässt uns Henry Miller nicht in sich hinsehen. Er redet zwar viel - meistens auch über sich selbst - aber immer dann wenn es ans "Eingemachte" gehen könnte - dann macht er (Henry Miller) die Tür zu und wir (die Leser) sind wieder einmal nur auf Vermutungen angewiesen.


    Du hast meine volle Zustimmung, Voltaire. Selbstverständlich urteile ich aus meiner eigenen - sicher ziemlich offenen, aber letztlich doch begrenzten Sicht - heraus. Was darüber hinausgeht, ist für mich nicht nachzuempfinden, deshalb aber nicht unmöglich. Auch mit der zugemachten Tür gebe ich dir Recht. :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Charlie
    "weiterhin an seinen wortgewaltigen Ausfuehrungen berauschen" - das mag ich so, dass ich schon wieder grinsen muss. Ja, das stimmt, im letzten Viertel des Romans hoert man (wie zuvor auch schon, aber nicht so laut) haeufigst den Autor, der sich in seine Worte gehuellt vor den Spiegel stellt und vor Begeisterung ueber sich selbst erroetet.


    Das wiederum finde ich großartig ausgedrückt.



    Zitat

    Wobei ich (eigentlich bin ich ja absolut dagegen, solche Dinge im INTERNET schriftlich niederzulegen, aber heute ist eine Ausnahme ...) ja zugeben muss, vorgeschaedigt zu sein - als juengstes (und einziges) Schwesterlein von vier Bruedern ist mir die im Alter von zehn Jahren gestellte Frage: "Was is'n Orgasmus?" durchaus mit den Worten: "Du, das ist wenn Du von der Strassenecke an ganz noetig musst, und dann endlich aufs Haeuschen kannst", beantwortet worden.


    :lache Was für eine fabelhafte Erklärung. :anbet

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Die Asche fällt auf deinem Haupt kaum auf... :grin


    Schlimm, ganz schlimm, wie man hier als älterer Herr ob seiner Haarfarbe diskriminiert wird. :cry


    Zitat

    Du hast recht. Begeisterung beim Ficken ist etwas anderes. Aber ich glaube immer noch, dass Miller kein pornographisches Buch geschrieben hat, das beim Leser Lust auf's Ficken hervorrufen soll.


    Das glaube ich ja auch. Dennoch fehlt mir die Leidenschaft als Erklärung für sein ewiges Schielen auf die Weiberröcke. Damit ich sie nachvollziehen kann.


    Zitat

    An welchen Stellen erlebst du den Protagonisten befriedigt?


    Befriedigt hier im Sinne von Druckabbau, nicht von tiefer Zufriedenheit.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Charlie
    Lieber Henry.
    Nach dir habe ich Hengste genommen, Bullen, Widder, Drachen, Bernhardinerhunde. Ich habe Kroeten, Fledermaeuse, Eidechsen in meinen literarischen Mastdarm gestopft, ich habe Arpeggios gekackt, weil ich's wollte, und eine Zither ueber meinen Nabel gespannt.
    Aber von dir bin ich immer gefickt geblieben.
    Danke.
    Deine Lotti


    Dazu muss ich mit etwas Abstand glatt noch etwas loswerden. Gerade weil es im Forum oft (zum Glück nicht immer!) sehr moralisch und sprachlich eher gedämpft zugeht, habe ich mich über Beiträge wie diesen von deiner Seite sehr gefreut. Überhaupt fand ich es positiv, dass in dieser LR von allen Teilnehmern kaum ein Blatt vor den Mund genommen wurde, wir eine offene, mir (und vermutlich auch dem ollen Henry ;-)) gelegene Form des Austausches gefunden haben. Ich nehme aus unterschiedlichen Gründen praktisch nie an Leserunden teil, aber obwohl wir sicher (ebenfalls aus unterschiedlichen Gründen) bei weitem nicht das Potenzial des Romans ausgeschöpft haben, hat es mir Spaß gemacht. Ich danke euch dafür. :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Vielleicht ist es das, was ich am allerschoensten an diesem Buch finde, harimau.
    Dass der, der es geschrieben hat, ueberhaupt keine Schwierigkeiten hat, hinreissend vulgaer und hinreissend poetisch zugleich zu sein. Er tut es mit der groessten Selbstverstaendlichkeit und vor seinem gigantischen Fuellhorn vor Sprache hat er nicht den geringsten Respekt, was wundervoll ist, weil dadurch ken Register ausgespart bleibt.
    Ob er kernig und bestaendig behaputet, zu ficken wie andere hinter Buesche pinkeln, ist mir schnuppe - mit seinem Niagarafall aus Worten liebt er ausgiebig, passioniert und zaertlich. Wendekreis des Krebses ist fuer mich Sex aus Sprache. In solcher puren, sorglosen Ueppigkeit ist es mir nie wieder irgendwo begegnet.
    Und dafuer lieb ich's.


    Alles Liebe von Charlie