Der Klang des Pianos - Elisabeth Büchle

  • Die Menschen in meinem Umfeld, diejenigen, die mich lieben und die ich liebe, sind letztendlich wichtiger, als Reichtum anzuhäufen und Macht auszuüben. (Seite 244)


    447 Seiten, 2 Zeichnungen, gebunden
    Verlag: Gerth Medien GmbH, Aßlar 2012
    ISBN-10: 3-86591-663-5
    ISBN-13: 978-3-86591-663-1



    Zum Inhalt (Quelle: eigene Angabe)


    Der Instrumentenbauer Richard ist nicht sehr begeistert, als er 1911 eine entfernte irische Verwandte seines Chefs als Dolmetscher und Fremdenführer zwei Wochen lang bei deren Besuch in Freiburg begleiten soll.
    Im Frühjahr 1912 trifft er Norah wieder. Sie ist Stewardess auf dem Luxuliner „Titanic“, er soll auf eben diesem Schiff ein mechanisches Klavier einbauen. Beide stellen fest, daß sie einander nicht vergessen haben. Während Norah von undurchsichtigen Gestalten verfolgt wird, hat es eine vornehme Dame auf Richard abgesehen.
    Doch bevor Richards und Norahs Beziehung so richtig begonnen hat, legt die „Titanic“ ab zur Jungfernfahrt.



    Über die Autorin (Quelle: Verlagsangabe, Webseite der Autorin)


    Elisabeth Büchle wurde 1969 in Trossingen geboren und absolvierte sowohl eine Ausbildung zur Bürokauffrau als auch zur Altenpflegerin. Sie wohnt mit ihrem Mann und den fünf Kindern im süddeutschen Raum.


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    Vorbemerkung


    Um Mißverständnisse zu vermeiden: Das ist ein christliches Buch. Wenn ich Formulierungen wie „wir“ verwende, beziehen sich diese meist nicht auf die Gesamtgesellschaft, sondern auf den christlich geprägten Teil, dem ich mich zugehörig fühle. Ferner ist Denken und Handeln eines Teils der Protagonisten von ihrem aktiv gelebten Glauben geprägt. Handlungsweisen wie Beten oder Hinwendung zu Gott werden als normal und notwendig angesehen.



    Meine Meinung


    Does any one know where the love of God goes / When the waves turn the minutes to hours?* Auch wenn es noch Jahrzehnte dauern sollte, bis Gordon Lightfoot sein „The Wreck Of The Edmund Fitzgerald“ singen sollte, wie viele Menschen haben wohl in jener Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 solches oder ähnliches gedacht, bevor sie IHM gegenüberstanden und eine Antwort erhielten, die wir in diesem Leben nicht erhalten werden?


    Aber noch ist es nicht soweit, noch schreiben wir das Jahr 1911. Richard Martin ist ein fähiger Instrumentenbauer bei Welte & Söhne in Freiburg, der von seinem Chef geschätzt wird. Er entspricht in vielem dem, was man von einem akkuraten Deutschen erwarten würde. Da er Kenntnisse der englischen Sprache hat, soll er für zwei Wochen eine Verwandte Weltes aus Irland betreuen. Norah wiederum ist das Gegenteil von Richard, braucht eigentlich keinen Dolmetscher (soweit es Hochdeutsch betrifft), und nimmt sich vor, Richard aus der Reserve zu locken.


    Nach ihrer Abreise hat sich Richards Leben tatsächlich verändert, nicht unbedingt jedoch seine Karriereambitionen. So erhofft er sich von seinem Aufenthalt in Irland im Frühjahr 1912 einen Karriereschub; zusammen mit einem der Teilhaber soll er ein mechanisches Klavier auf der „Titanic“ einbauen. Aber Irland ist nicht so sehr groß, und so kommt es, wie es kommen muß: er trifft wieder auf Norah. Beide stellen - teils widerstrebend - fest, daß sie einander nicht ganz vergessen haben. Dumm nur, daß ihm gerade jetzt der „Einstieg“ in die höhere Gesellschaft, auf den er so lange hingearbeitet hat, in Form der Bekanntschaft mit Helena Andrews möglich scheint. Während sich diese Beziehungen entwickeln, fällt von anderer Seite ein Schatten auf die Szene: Norah wird anscheinend von zwei Seiten her verfolgt und bedroht.


    Wer meint, hier einfach eine Liebesgeschichte mit der Titanic als Hintergrundstaffage vorzufinden, liegt falsch. Es entwickelt sich eine, teilweise komplexe, Geschichte, wie sie sich seinerzeit durchaus zugetragen haben könnte. Denn im Vorwort erfahren wir, daß tatsächlich der Einbau einer pneumatischen Orgel der Firma Welte aus Freiburg/Br. vorgesehen war, vermutlich jedoch erst nach der Jungfernfahrt durchgeführt werden sollte.


    Im Gegensatz zu wohl den meisten anderen Titanic-Büchern (viel vergleichen kann ich allerdings nicht) spielt hier nicht die Welt der 1. Klasse, sondern vor allem die der kleinen Leute, derjenigen, die das Schiff gebaut haben und in Betrieb halten, die erste Geige. Wir erfahren von den teilweise bedrückenden Lebensumständen derer, denen die Passagiere der Luxusklasse zu verdanken haben, daß es eine solche Klasse überhaupt gibt. Wir erfahren von Menschen mit einem schon fast unerträglich hart zu bezeichnenden Los, die dennoch ihre Lebensfreude und Lebensmut nicht verloren haben, die sich immer wieder irgendwie durchschlagen. Von einem Tag zum nächsten.


    Konfrontiert mit diesen Gegensätzen, muß Richard seine bisherigen Überzeugungen, Gewohnheiten und Ziele infrage stellen. Vieles, was bisher erstrebenswert erschien, wirkt plötzlich hohl und schal, verliert an Wert. Indem wir einen Blick in jene, von den Geschichtsbüchern meist übergangene Welt der kleinen Leute tun, kann es durchaus sein, daß sich unser Blickwinkel verschiebt, unsere eigenen Überzeugungen, die bisher felsenfest schienen, ins Wanken geraten. Und wenn die Titanic schließlich in den Fluten versinkt und rund 1.500 Menschen mit sich in die Tiefe nimmt, verliert vielleicht das eigene Leben etwas von der Selbstverständlichkeit des Sicheren. Denn selbstverständlich haben sich die Menschen nur für kurze Zeit voneinander verabschiedet. Mit dem nächsten Fahrplan wäre die Besatzung wieder nach Hause zurückgekommen. Wäre da nicht ein Eisberg gewesen, der einen zeitlichen zu einem ewigen Abschied gemacht hat.


    „Zu keiner Zeit bestand eine Gefahr für die Bevölkerung.“ Bloß nicht über das wirkliche Ausmaß einer Gefahr informieren. Und wenn sich Information nicht vermeiden läßt, dann so wenig als möglich und die noch gefiltert. Schon damals war das so, wie aus den kurzen Bemerkungen, was mit der Crew nach der vor der Öffentlichkeit verborgenen Rückkehr nach England geschah, deutlich hervorgeht. Manche Dinge waren wohl schon immer so und ändern sich nie, egal wer das Sagen hat.


    Mit Norah und Richard (sowie etlichen anderen, hier namentlich nicht erwähnten) hat die Autorin starke Figuren geschaffen, die so lebendig wurden, daß ich nur schwer glauben kann, daß sie nicht wirklich gelebt haben; sie werden mir immer im Gedächtnis präsent bleiben. Ich bin in eine Zeit vor hundert Jahren eingetaucht und habe mich mit ihnen gefreut und mit ihnen gelitten. Ich war auf einem Luxusliner, habe etwas hinter dessen Kulissen blicken dürfen, und habe den Untergang in den eisigen Nordatlantik mit- und als einer der wenigen überlebt. Das Buch hat mich auf eine Weise emotional berührt und „getroffen“, wie nur sehr wenige bisher. Iris Kammerers „Varus“ fällt mir da eigentlich nur noch ein; dort war es damals ähnlich. Denn dort wie hier löste sich die Menge der Opfer in eine überschaubare Anzahl von Figuren auf, so daß ich mich selbst mitten drin im Geschehen gewähnt habe.


    Für sie war die Titanic ein perfektes, mit den besten Sicherheitsmaßnahmen ausgestattetes Wunderwerk der Technik, das unsinkbar war. (Seite 319)
    Indem die Titanic selbst zum Mythos wurde, wurde der Mythos der Unsinkbarkeit, der alles möglich machenden Technik, zerstört. Und dennoch hat „der Mensch“ nichts von seiner Technikgläubigkeit (sic!) verloren. Eher im Gegenteil. So bleibt es letztlich jedem selbst überlassen, welche Folgerungen er aus diesem Menetekel für sich und sein Leben zieht.



    Kurzfassung:


    Vor dem Hintergrund des Baus und der Jungfernfahrt der Titanic wird die nicht immer einfache Geschichte von Norah und Richard erzählt. Ein Titanic-Roman, der sich vor allem mit dem „kleinen Mann“ - und den Dingen, die letztlich wirklich wichtig sind im Leben, beschäftigt.



    Sinngemäße Übersetzung:
    * = Weiß irgendjemand, wohin Gottes Liebe geht / Wenn die Wellen die Minuten zu Stunden dehnen.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von _Salome_
    Dominiert der christliche Aspekt die Geschichte sehr?


    Nein, tut es mE nicht. Ich habe mir nur diese (Standard-)Vorbemerkung nach einer recht heftigen früheren Diskussion hier im Forum angewöhnt.


    Die Protagonisten haben ein "gesundes Gottvertrauen", das sich mal im Stoßgebet, mal im Hinweis darauf, daß sie beten, äußert. Wenn man an die Zeit denkt, in der der Roman spielt, paßt das mE gut zur Geschichte. Die, um es so auszudrücken, natürliche vorhandene Religiösität wird einfach als etwas Natürliches und Normales erwähnt und nicht, wie sonst üblich, einfach ausgeblendet oder ignoriert. Wenn ich es recht bedenke, wäre die Vorbemerkung hier eigentlich gar nicht notwendig gewesen, weil es alles einfach passend, in sich stimmig und überhaupt nicht aufdringlich ist. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Vielen Dank für die schnelle Antwort SiCollier :-) Beim Lesen der Leseprobe hatte ich auch nicht das Gefühl, dass die Autorin in irgendeiner Art und Weise versucht den Leser zu belehren bzw. zu beeinflussen.
    Werde mir das Buch vor dem Beginn des Bücherfastens noch schnell bestellen :wave

  • Inhalt:
    Freiburg 1912. Richard ist alleinstehend und arbeitet bei einer Firma, die sich auf alleinspielende Pianos spezialisiert hat. Er soll mit seinem Chef nach Belfast reisen, um dort die beschädigten Musikinstrumente für die Titanic zu reparieren. Auf der Titanic trifft er die junge Irin Norah, eine Verwandte seines Chefs, wieder. Norah war vor kurzer Zeit in Freiburg bei ihren Verwandten zu Besuch und Richard sollte für sie dolmetschen. Richard hat es sich zum Ziel gemacht, so angesehen wie möglich zu werden und im Job alles zu geben. Norah hingegen ist das genaue Gegenteil von ihm. Sie ist Stewardess und lebt in ärmlichen Verhältnissen. Obwohl er nichts von Norahs Leben und der Armut hält fühlt er sich aber trotzdem sehr wohl bei ihr. Als auf Norah auch noch ein Anschlag verübt wird, schmeißt Richard all seine Prinzipien über den Haufen und hilft ihr. Doch erst als die beiden an Bord der Titanic gehen, rückt der schlimmste Tag ihres Lebens näher…



    Die Geschichte:
    Die Titanic ist ein sehr interessantes und immer wiederkehrendes Thema, weshalb es meiner Meinung nach nicht so einfach ist, den Leser mit einer Geschichte über den Untergang in den Bann zu ziehen. Doch dieses Buch hat es bei mir definitiv geschafft. Die Geschichte der Titanic ist natürlich im Großen und Ganzen nicht verändert worden. Doch die Autorin hat eine nette Geschichte über Richard und Norah mit eingebaut, die sehr gelungen ist.



    Charaktere:
    Norah ist ein Charakter der mir sehr gut gefällt. Sie ist ein echtes Energiebündel und kaum von irgendetwas abzuhalten. Die setzt sich selbst immer erst an zweite Stelle und ist eine sehr liebenswürdige Person. Richard war mir am Anfang etwas zu langweilig und spießig. Aber auch er wurde mir zunehmend immer mehr sympathisch. Die Charaktere haben mir sehr gut gefallen.



    Schreibstil:
    Das Buch war leicht und flüssig zu lesen. Es war nie unverständlich oder verwirrend. Ich konnte mich super leicht in die Geschichte einlesen. Die Kapitel waren nicht zu lang was einen tollen Lesefluss erzeugt hat.



    Fazit:
    Die Geschichte hat mir ein paar schöne Lesestunden beschert und ich kann das Buch nur weiterempfehlen. Der Autorin ist es gelungen aus der „alten“ Titanic-Geschichte etwas neues und frisches zu machen. Von mir gibt es für dieses Buch 5 Sterne.

  • Danke für die appetitanregenden Rezis! :wave


    Nur eine Frage, weil ich es mit Schiffen nun so gar nicht habe: Spielt das Schiff eine große Rolle (sprich: seitenweise Hinweise über Größe und Breite und Schönheit etc.) oder kann man leicht darüber hinweglesen?

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Spielt das Schiff eine große Rolle (sprich: seitenweise Hinweise über Größe und Breite und Schönheit etc.) oder kann man leicht darüber hinweglesen?


    Da ich mich an keine genaueren Angaben erinnern kann (obwohl ich weiß, daß ein paar wenige enthalten waren) kann ich ruhigen Gewissens mitteilen, daß technische Dinge eine untergeordnete Rolle spielen. Auch beginnt der Teil, der auf dem Schiff spielt, erst nach der Hälfte des Buches. Die "Titanic" ist Teil des Settings, nicht der Handlung. Abgesehen vom Untergang natürlich. Da hier mehrere Handlungen parallel ablaufen (genauer kann ich das nicht schreiben ohne wesentlich zu spoilern), ist das ziemlich gut geschnitten, um diesen Ausdruck vom Film zu gebrauchen. Lies spannend und dramatisch, wie der Vorgang an sich. Aber, das sei erwähnt, gut geschrieben, so daß es trotz der Tragik für mich nicht deprimierend war.


    Ich habe das Buch ja in einer Leserunde mit Autorin gelesen und weiß daher, daß es gut recherchiert ist. Die Personen sind zwar weitgehend fiktiv (im Anhang ist eine Liste der historischen Personen, ihrer Rollen und ihres Verbleibs), der Ablauf an sich - vom mechanischen Piano bis hin zum Untergang - entspricht jedoch weitestgehend dem, wie es damals war. Auch über Abweichungen finden sich im Anhang Hinweise.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")