Gebundene Ausgabe: 320 Seiten mit 34 schwarz-weißen Fotos
Erscheinungstermin: 12. März 2012
Verlag: Siedler
ISBN: 978-3886809745
Willkommene Wiederentdeckung
Allem Anschein nach ist der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890-1935) im Laufe der letzten Jahre hierzulande etwas in Vergessenheit geraten. Das dürfte zum einen daran liegen, dass uns heutzutage die Sprache der Weimarer Republik leicht antiquiert erscheinen mag, zum anderen hat Tucholsky sich in seinem kurzen Leben hauptsächlich mit dem journalistischen Schreiben von politisch motivierten Artikeln in diversen Zeitungen und Zeitschriften (z.B. "Weltbühne") befasst, weshalb außer dem berühmten und vom Umfang her überschaubaren Roman "Schloss Gripsholm" und der ebenso bekannten Erzählung "Rheinsberg" ausschließlich Sammlungen mit Gedichten und Prosatexten von ihm erhältlich sind. Daneben war er als Redakteur, Lyriker, Romanautor und Liedtexter tätig.
Für mich bedeutete die Tucholsky-Biographie von Rolf Hosfeld eine willkommene Wiederentdeckung eines der wichtigsten deutschen Gesellschaftskritiker aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Der assimilierte Jude aus gutem Haus wuchs in Berlin auf und als überzeugtem linken Demokraten und Sozialisten waren ihm sämtliche rechte Strömungen äußerst suspekt. Mit den Kommunisten konnte er sich allerdings auch nicht so recht anfreunden. Tucholsky war ein absoluter Kriegsgegner und kämpfte Zeit seines Lebens gegen den deutschen Militärapparat, der sich nach dem Ersten Weltkrieg partout nicht von seiner Vormachtstellung trennen wollte und mit solch engstirnigen Vertretern wie dem Generalfeldmarschall und späteren Reichskanzler Paul von Hindenburg mehr oder weniger den Boden für das Dritte Reich ebnete. Weitere Gründe waren u.a. der nicht nur in Deutschland fortschreitende Antisemitismus und die Unfähigkeit der Kommunisten, ihren politischen Weg zu gehen, ohne unablässig nach Konfrontationsmöglichkeiten zu suchen.
Die damaligen politischen Gegebenheiten und die berufliche Laufbahn von Kurt Tucholsky werden von Rolf Hosfeld - der selbst ausgesprochen vielseitig ist und u.a. bereits als Dozent, Redakteur, Regisseur, Fernsehproduzent und Verlagslektor gearbeitet hat - sehr informativ und hervorragend recherchiert geschildert. Hosfeld kommt dabei natürlich zugute, dass er sich bereits als Autor mehrerer eigener Bücher (z.B. "Wir Deutschen 1918 bis 1929: Vom Kriegsende bis zu den Goldenen Zwanzigern") sehr intensiv mit der deutschen Geschichte und – im Zuge einer Biografie über Karl Marx – auch mit dem Kommunismus auseinandergesetzt hat. Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, wie sich Deutschland vor, während und nach dem ersten Weltkrieg nach außen und innen hin präsentierte und welche Faktoren letztendlich zur Machtergreifung Hitlers führten. Schlagwörter wie die Balkankriege, die Dolchstoßlegende, der Friede von Versailles, der Spartakusaufstand, der Weltbühne-Prozess und die Weimarer Republik spielen dabei eine große Rolle und werden von Rolf Hosfeld ausführlich und gut verständlich im dazugehörigen geschichtlichen Kontext erklärt. Kurt Tucholsky hatte zu all diesen Ereignissen eine sehr dezidierte Meinung und äußerte sich stets kritisch und teilweise auch sehr bissig, wann immer er es für nötig hielt.
Erfreulicherweise enthält das Buch sehr viele Zitate aus Tucholskys Artikeln und persönlichen Briefen, die neben einigen alten Fotografien das Geschriebene auflockern und den Lebensweg eines außergewöhnlichen Menschen zeigen, der vehement für seine Überzeugungen eintrat und mit Willensstärke, Eigensinnigkeit und hoher Intelligenz zu Werke ging. Sogar als freier Redner konnte Kurt Tucholsky überzeugen. Seine Analysen trafen die Sachverhalte auf den Punkt und seine scharfsichtigen Prognosen bezüglich Deutschlands naher Zukunft waren in ihrer Hellsichtigkeit kaum zu überbieten. Besonders faszinierend fand ich folgende Vorgehensweise: Um seine unterschiedlichen Charakterzüge bestmöglich ausleben zu können, legte Tucholsky sich vier Pseudonyme zu, unter denen er seine journalistischen Attacken ritt.
Aber auch die persönlichen Beziehungen des Mannes, der über unzählige berufliche und private Kontakte verfügte (zu denen unter anderem Ernst Rowohlt, Heinrich Mann und Carl von Ossietzky zählten), jedoch nur wenige wirklich enge Freunde sein Eigen nannte, werden von Rolf Hosfeld näher unter die Lupe genommen. Dabei entwirft er das Bild eines loyalen, recht umtriebigen, mit gesundheitlichen Problemen kämpfenden, oft depressiven, aber auch mit einem besonderen Witz gesegneten, geistreichen und unterhaltsamen Zeitgenossen, der gern Schopenhauer las und als einer der Ersten die Qualität von Franz Kafkas Werken erkannte. Neben Aufenthalten in verschiedenen europäischen Ländern und zwischendurch immer wieder in Berlin, lebte Kurt Tucholsky schon ab 1924 längere Zeit in Paris und aus ebenso freiem Willen schließlich in Schweden, wo er nach Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft 1935 als zutiefst Entwurzelter starb. Zu Tucholskys Schwächen gehörte im Übrigen seine Neigung, nicht in monogamen Liebesbeziehungen leben zu können, was ihm gleich zwei gescheiterte Ehen einbrachte. Ich hätte mir gewünscht, dass Rolf Hosfeld an dieser Stelle etwas weiter ausgeholt und auch umfangreichere Informationen über Tucholskys Verhältnis zu seinen engsten Familienangehörigen, die nur ganz am Anfang Erwähnung finden, geliefert hätte. Anscheinend standen dem Autor dahingehend jedoch keine sicheren Quellen zur Verfügung.
Mir persönlich hat die von einem sachlichen Tonfall geprägte Biographie "Tucholsky – Ein deutsches Leben" ausnehmend gut gefallen. Auf knapp 274 Seiten (die restlichen 45 bestehen aus einem Anhang mit der Vita von Tucholsky, Anmerkungen, einem Literaturverzeichnis und dem Personenregister) wartet das Buch für den kultur- und zeitgeschichtlich interessierten Leser mit einer Fülle an Informationen auf, die von Rolf Hosfeld anspruchsvoll und mit souveräner Kenntnis der Materie in Szene gesetzt wurden. Ein Werk, das dem großen Satiriker und Antimilitaristen Tucholsky zur Ehre gereicht!
Volle Punktzahl!
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