Warum gerade mich?

  • Ich hatte vor langer Zeit meinen Glauben an Gott verloren. Es hatte mehrere Gründe und wann es genau geschah, vermag ich auch nicht mehr zu sagen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass er gerade mich aussucht. Mich unbedeutenden und ungläubigen Menschen. Darüber zu spekulieren war müßig und führte am Ende zu keinem Ergebnis. Auf einmal war er da, sprach mit mir. Am Anfang verlangte es mir meine ganze Beherrschung ab. Ich glaubte tatsächlich, verrückt zu werden, musste mich immer wieder dazu zwingen, ihm zuzuhören. Er erzählte mir davon, wie schwer er es heutzutage hatte, weil immer weniger Menschen an ihn glaubten. Im Stillen gab ich ihm recht. Ich war ja auch einer von den schwarzen Schafen, die weder Kirchensteuer bezahlten noch sich an seine Regeln hielten. Sicher, ich war kein Krimineller und ging meinem Job nach und dennoch hielt ich mich für alles andere als gottesfürchtig. Ich hatte meinen Spaß und schlug das eine oder andere Mal über die Stränge. Lächelnd gab ich der Dose einen Tritt. Irgendwann wurde aus dem Monolog dann ein Dialog. Ich sprach mit Gott. Er war allgegenwärtig, selbst wenn ich bei meiner Frau lag, blieb er an meiner Seite. Es waren skurrile Momente, in denen ich mir wünschte, er möge endlich verschwinden und sich jemand anderen zu Bekehren aussuchen. Bei mir war so oder so Hopfen und Malz verloren. Vielleicht, wenn er ein paar Jahre früher aufgetaucht wäre...


    Ich legte mich auf die kühle Liege. Das laute monotone Tackern ging mir nach kurzer Zeit auf die Nerven und verschlimmerte meine Kopfschmerzen noch. Und immer noch redete er auf mich ein, erzählte mir vom Paradies, das auf mich wartete. Beschrieb mir die Unendlichkeit in all ihren Farben und riet mir, noch einiges bis dahin zu erledigen. Man, was sollte ich schon erledigen und warum sollte ich mir jetzt schon den Kopf darüber zerbrechen? Ich war noch jung, knapp über vierzig, da lagen noch viele schöne Jahre vor mir. Am meisten aber ärgerte ich mich darüber, dass er sich mir nie offenbarte. Es gab kein Gesicht zu dieser Stimme. Ob er so wie auf den Gemälden aussah, ein alter Mann mit langem weißem Bart? Ich war fertig und verließ das kalte, ungemütliche Zimmer und verschwand zwischen den Menschen, die sich in der Passage drängelten und steuerte auf die nächste Bar zu. Erneut versuchte er mich vom Saufen abzuhalten. Zumindest schaffte er es, mir ein Versprechen abzuringen, bevor sich die Kneipentür hinter mir schloss. Nächsten Sonntag sollte ich mit ihm den Gottesdienst besuchen. Die Kirche hatte ich das letzte Mal bei der Beerdigung meiner Mutter betreten. Verdammt, jetzt brauchte ich den Alkohol noch viel mehr. Ich legte einen Zehneuroschein auf den Tresen und bestellte ein Herrengedeck. Jetzt ging es mir schon viel besser.


    Die Diagnose, die das MRT zu Tage gefördert hatte, war ein Witz.


    Gott, ein Tumor? Sie wollen ihn aus mir herausschneiden. Lächerlich.


    Am Sonntag gehen wir gemeinsam in die Kirche.

    Fay
    Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers. (Stendhal)

  • Die Tendenz dieser Geschichte gefällt mir. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, die Message nicht mit einem Holzhammer zu präsentieren. Alles ist zu offensichtlich.


    Unabhängig davon ist diese Geschichte punktuell durchaus ansprechend geschrieben.


    Das gewählte Thema ist sehr interessant und hätte auch eine intensivere Beschäftigung vertragen können. Trotzdem ist natürlich wenig immer besser als gar nicht.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke Arter und Voltaire,


    für die netten Kommentare.


    Frage mich momentan allerdings, warum ich mich mit dem Thema auseinander setze, wo ich doch eine dieser Abtrünnigen bin.


    Na, wie heißte es so schön: Der Glaube wohnt in dir. (Oder so ähnlich).


    Lustig Delphin,


    das ist wirklich ein passendes Cover für diese Geschichte.


    Liebe Grüße

    Fay
    Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers. (Stendhal)

  • Huhu Fay!


    Ich finds prima, dass es hier immer viele Texte zu lesen gibt, dankeschön. :) Deinen habe ich auch ganz gerne gelesen, habe ihn aber so interpretiert, dass der Glaube an Gott nur durch den Tumor getriggert wird. Das gefällt mir im Prinzip, aber ich hätte es mir eun wenig schärfer formuliert gewünscht. :-)

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Rienchen :knuddel1 ,


    ich freue mich auf den Tag an dem ich deinen persönlichen Geschmack zur vollen Zufriedenheit erfülle. :help


    Hoffentlich wird es diesen Tag auch irgendwann einmal geben. :grin


    Danke für die Erklärung. :kiss


    Gruß :wave

    Fay
    Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers. (Stendhal)

  • Hallo Rienchen,


    mir ist es aber nicht egal. Jede Meinung ist mir wichtig. :-]


    Und jede Kritik sollte man zumindest überdenken. Was, oder ob man etwas daraus macht, ist dann allerdings jedem selber überlassen.


    Gruß

    Fay
    Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers. (Stendhal)

  • Zitat

    Original von rienchen
    Mit schärfer meine ich NOCH satirischer, auf Gott und Wahnsinn bezogen. Aber das ist ja nur mein persönlicher Geschmack. :)


    Darüber könnte man jetzt sehr intensiv diskutieren - nur habe ich dazu überhaupt keine Lust. Es gibt Diskussionen die sich immer wieder neu nur im Kreise drehen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Was, oder ob man etwas daraus macht, ist dann allerdings jedem selber überlassen


    So wollte ich es ausdrücken. :-)


    Zitat

    nur habe ich dazu überhaupt keine Lust. Es gibt Diskussionen die sich immer wieder neu nur im Kreise drehen.


    Ich habe ebenfalls keine "Lust" auf eine Diskussion, ich habe nur meine Meinung geäußert und da diese nunmal so ist, wie sie ist, (und auch so sein darf, denn die Interpretation dieser Geschichte steht nunmal jedem frei) erübrigt sich für mich ohnehin jede Art von Diskussion über dieses Thema. Ganz gewiss nicht in meinem Interesse. :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Zitat

    Original von rienchen


    Ich habe ebenfalls keine "Lust" auf eine Diskussion, ich habe nur meine Meinung geäußert und da diese nunmal so ist, wie sie ist, (und auch so sein darf, denn die Interpretation dieser Geschichte steht nunmal jedem frei) erübrigt sich für mich ohnehin jede Art von Diskussion über dieses Thema. Ganz gewiss nicht in meinem Interesse. :wave


    Meine Güte - niemand spricht dir doch ab eine eigene Ansicht haben zu dürfen - egal wie sie auch aussieht. :-)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Meine Güte - niemand spricht dir doch ab eine eigene Ansicht haben zu dürfen - egal wie sie auch aussieht. :-)


    Uiuiui, da war ich aber tatsächlich ein bisschen kiebig. :lache Entschuldige, Voltaire. :-)

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)