Ullstein Verlag 2012, 447 S.
Über den Inhalt:
Ein kleiner Junge beobachtet einen grausamen Mord. Und er vergisst. Dreißig Jahre lang. Bis seine Freundin in die Hände eines gefährlichen Psychopathen gerät. Nur wenn er sich erinnert, kann er sie retten. Doch das bringt ihn in tödliche Gefahr.
Über den Autor:
Marc Raabe, 1968 geboren, ist Geschäftsführer und Gesellschafter einer Fernsehproduktion. Schnitt ist sein erster Psychothriller. Marc Raabe lebt mit seiner Familie in Köln.
Meine Meinung:
Gabriel Naumann wurde als 11-jähriger schwer traumatisiert. So schwer, dass er lange in einer Psychiatrischen Anstalt verbracht hat und sich bis heute nicht an die schrecklichen Ereignisse in der Nacht des 13. Oktober vor 29 Jahren erinnern kann. Er arbeitet bei einer Sicherheitsfirma und während eines Überwachungsauftrags erreicht ihn der Anruf seiner Freundin Liz, dass sie überfallen wurde und dringend Hilfe braucht. Doch am Tatort trifft Gabriel nur auf die Polizei und einen ihm unbekannten Toten, seine Freundin ist nicht auffindbar. Es stellt sich heraus, dass Liz entführt wurde und Gabriel sie nur retten kann, wenn er sich erinnert. Denn genau das verlangt der Entführer von ihm. Sich zu erinnern an jene Nacht, in der er verbotenerweise in den Keller hinuntergegangen ist und etwas Schreckliches gesehen hat. In seiner Verzweiflung wendet sich Gabriel an seinen jüngeren Bruder David, zu dem seit damals keine Verbindung mehr besteht. Denn er ist praktisch auf sich allein gestellt, außer seinem Chef Yuri hat er kaum soziale Kontakte und an die Polizei kann er sich nicht wenden.
Der Schreibstil ist leicht spröde, vorwiegend kurze Sätze beschreiben die jeweilige Situation. Marc Raabe verzichtet auf Ausschmückungen und Nebensächlichkeiten und konzentriert sich auf das Wesentliche. Dadurch, dass die in der Gegenwart spielenden Teile der Handlung im Präsens geschrieben sind, wird das Gefühl erzeugt, es würde gerade jetzt passieren, man wäre sozusagen live dabei. Der Leser hat den gleichen Informationsstand wie Gabriel, was seine Vergangenheit betrifft. Durch Perspektivwechsel auf Liz und David ergeben sich nach und nach Zusammenhänge, die Spekulationen in mehrere Richtungen zulassen.
Gabriel ist 40 Jahr alt, wirkt auf mich aber viel jünger. Er macht es einem nicht leicht, ihn richtig einzuschätzen. Der Held seiner Kindheit Luke Skywaker gibt ihm auch heute noch Halt, in Gedanken führt er Zwiesprache mit ihm und das lässt zwischendurch Zweifel an seinem psychischen Zustand aufkommen. Aber er ist nicht der einzige Charakter im Buch, der Rätsel aufgibt. Auch die Nebenfiguren sind so geschickt und facettenreich angelegt, dass sie sich nicht einfach einordnen lassen.
Das Thrillerdebüt von Marc Raabe zeichnet sich durch hohes Tempo und schnelle Schnitte aus. Überraschende Wendungen sorgen dafür, dass die Geschichte bis zum Ende äußerst spannend bleibt. Die spektakuläre Auflösung fand ich sehr gelungen. Dadurch ergab sich ein rundes Bild, das keine offenen Fragen übrig ließ. Mein einziger Kritikpunkt ist das merkwürdige und unrealistische Auftreten der Polizei, das eher in einen amerikanischen als in einen deutschen Thriller passt. Da hätte sich der Autor einen eleganteren Weg einfallen lassen können, um die Polizei aus der Geschichte herauszunehmen.
Ansonsten: Eine komplexe Geschichte mit hohem Sogfaktor, gelegentlich verstörend, aber packend bis zum Schluss mit einem überzeugenden Protagonisten, dem man nur das Beste wünschen kann.