Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
Krüger Verlag. 384 Seiten
ISBN-13: 978-3810510792. 18,99€
Originaltitel: The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry
Übersetzerin: Maria Andreas-Hoole
Verlagstext
Eigentlich wollte er nur zum Briefkasten. Dann geht er 1000 Kilometer zu Fuß. Ein unvergesslicher Roman, der die ganze Welt erobert. "Ich bin auf dem Weg. Du musst nur durchhalten. Ich werde Dich retten, Du wirst schon sehen. Ich werde laufen, und Du wirst leben." Harold Fry will nur kurz einen Brief einwerfen an seine frühere Kollegin Queenie Hennessy, die im Sterben liegt. Doch dann läuft er am Briefkasten vorbei und auch am Postamt, aus der Stadt hinaus und immer weiter, 87 Tage, 1000 Kilometer. Zu Fuß von Südengland bis an die schottische Grenze zu Queenies Hospiz. Eine Reise, die er jeden Tag neu beginnen muss. Für Queenie. Für seine Frau Maureen. Für seinen Sohn David. Für sich selbst. Und für uns alle. Ein ganz außergewöhnlicher und tief berührender Roman – über Geheimnisse, besondere Momente und zufällige Begegnungen, die uns von Grund auf verändern. Über Tapferkeit und Betrug, Liebe und Loyalität und ein ganz unscheinbares Paar Segelschuhe.
»Wer Harold begegnet, den lässt er nicht wieder los.« The Times
Die Autorin
Rachel Joyce weiß, wie man Menschen mit Worten ganz direkt berührt. Die Autorin hat über 20 Original-Hörspiele für die BBC verfasst und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Daneben hat sie Stoffe fürs Fernsehen bearbeitet und auch selbst als Schauspielerin für Theater und Film gearbeitet. ›Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry‹ ist ihr erster Roman. Er erscheint in über 30 Ländern auf der ganzen Welt. Rachel Joyce lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Gloucestershire auf dem Land.
Inhalt
In Bootsschuhen ist Harold Fry sicherlich nicht 1000km durch England gepilgert. Die auf dem Buchcover abgebildeten Docksiders erinnerten mich bei jedem Aufschlagen des Buches daran, dass Rachel Joyce mir ein modernes Märchen erzählt. Harold ist seit einiger Zeit Rentner und verbringt seine Zeit auf einem nach drei Seiten eingezäunten winzigen Grundstück - "mit Wäschespinne". Die beinahe wortlose Routine seiner Ehe mit Maureen endet, als ein Brief im rosafarbenen Umschlag eintrifft. Queenie, vor 20 Jahren Harolds Kollegin und Vertraute, liegt in einem schottischen Hospiz im Sterben. Anstatt seinen Antwortbrief "Halte durch, ich komme!" an Queenie einfach nur in den Briefkasten zu werfen, marschiert Harold los in Richtung Norden - zu Queenie. Harold, der kaum je weiter als vom Haus zum Auto gegangen ist, beginnt unvorbereitet und ohne geeignete Schuhe einen Pilgermarsch durch England, von der Südküste bis an die Grenze zu Schottland. Dutzende von Gründen könnten mir beim Lesen einfallen, warum ein nicht sonderlich fitter älterer Mann die 1000km bis an die schottische Grenze nicht schaffen wird. Maureen macht mir Sorgen - wie wird sie ohne ihren Harold überhaupt mit dem Leben zurechtkommen?
Um zu erfahren, ob die schwer kranke Queenie noch durchhält, muss ich Harold auf seiner Wallfahrt begleiten. Die Welt ist klein, erfährt Harold; denn er trifft Bekannte und bekommt auf seiner Pilgertour sofort Anerkennung von Fremden für seinen verrückten Plan. Stärker als mit seinen schmerzenden Füße, den täglichen körperlichen Qualen, seiner Suche nach Unterkunft bei fremden Menschen ringt Harold mit sich. Mit jedem Schritt scheint Harold seine Freundschaft zu Queenie näher zu begreifen. Er hatte seine Kollegin damals feige im Stich gelassen hat, als sie ihn brauchte. Auch sein Versagen als Vater und Ehemann geht Harold durch den Kopf, während er wie ein Automat weiter marschiert. Maschieren, um seine Fehler wieder gutzumachen. Die Spuren seines Kampfes gegen sich selbst und seine menschlichen Schwächen, gegen Durst und Sonnenbrand, lassen Harold nach einigen Tagen bereits einem wettergegerbten Piraten ähneln. Harold trifft Menschen, denen er etwas zu geben hat, und erlebt einen Wendepunkt, als er selbst Fürsorge anderer annehmen kann.
Will ich überhaupt erfahren, was Harold und Queenie verbunden hat? Müsste ich mich nicht mit Queenies nahendem Tod auseinandersetzen, falls Harold je Queenies Hospiz erreichen sollte? Harolds ungewöhnliche Aktion spricht die kauzigsten Typen dieser Welt an - und viele, die selbst hoffen ihre Krebserkrankung zu überwinden. Schon bald kapern die Medien Harolds Aktion, der Lärm seiner Fans stört, die ganze Geschichte scheint aus dem Ruder zu laufen. Harold hat mich spontan an Tom und Jess, Anthony McCartens Helden in "Hand aufs Herz" erinnert, deren skurile Idee ebenfalls von der öffentlichem Aufmerksamkeit gekapert wird. Harolds Kampf gegen seine Lebenslügen entwickelt sich auch zu einem Kampf gegen die Vereinnahmung durch Fremde, die sich Rettung durch ihr Idol erhoffen. Harold muss erkennen, dass er nicht allen helfen kann, die ihre letzte Hoffnung in ihn setzen. Es geht jetzt allein um Queenie.
Fazit
Rachel Joyce hat in ihrem anrührenden und in seinen Details sensibel beobachteten Roman nicht nur dem Pilgern in Zeiten moderner Medien ein Denkmal gesetzt, sondern mit britischem Understatement ein kluges Buch über das Altern, das Sterben und unsere Sprachlosigkeit gegenüber diesen elementaren Ereignissen vorgelegt.
9 von 10 Punkten