Hunter S. Thompson: Hell's Angels

  • Anachronistische Fanveranstaltung


    Die Sechziger waren ein turbulentes Jahrzehnt, überall auf der Welt. So auch in der Bay Area, in Oakland und anderen nahegelegenen Gebieten, in denen Harleyfahrer, die verrottende Jacken mit einem aufgenähten, geflügelten Totenkopf und der Aufschrift "Hells Angels" (ohne Apostroph!) trugen, aufgrund einiger Presseartikel auf sich aufmerksam machten. Der Ursprung lag in einer vermeintlichen Massenvergewaltigung in Monterey 1964, am Ende stand die Legende, von der heute noch viele Biker ehrfürchtig reden.


    Hunter S. Thompson, der Erfinder des "Gonzo"-Journalismus' und Autor vielleicht nicht des wichtigsten, auf jeden Fall aber lustigsten Drogenbuches - "Angst und Schrecken in Las Vegas" - hat Mitte der Sechziger gute neun Monate mit und bei den "Outlaws" verbracht. Anfangs waren sie - wertfrei zusammengefaßt - ein paar Penner, deren Sozialsystem mit dem Motorrad begann und auch gleich wieder endete, später stigmatisierte vor allem die Presse den Haufen - zumeist arbeitslose Säufer - erst zu organisierten Verbrechern, um sie bald darauf zu den Rettern uramerikanischer Werte zu küren. Einige unter ihnen verinnerlichten das - und versuchten, den vermeintlich entstandenen Einfluß zu nutzen. Andere blieben, was sie waren, nämlich Leute, die sich in der Sozialstruktur nicht zurechtfanden und die "Angels" als ihre Ersatzfamilie betrachteten, jedenfalls als diejenige Gruppe, mit der man fahren, feiern und auf leicht gewalttätige Art fröhlich sein konnte.


    Thompson hat dieses Buch 1966 geschrieben. Es ist erst jetzt auf deutsch erschienen, wobei sich die Frage stellt, wer außer eingefleischten HST-Fans (zu denen ich gehöre) und jenen, die sich für dieses Kapitel amerikanischer Geschichte (und ihre Auswirkungen auf Europa, die es ja gab) interessieren, dieses Buch kaufen soll - es ist ein Anachronismus, es hat keine Brisanz mehr, die Zeit hat alles, was damals geschah, längst geschliffen und relativiert (und wirklich wichtig war's außerdem auch nicht). Zudem ist das Buch träge und zeitweise sehr langweilig - vielleicht, weil es eben nicht mehr aktuell ist, vielleicht, weil längst Themen durch die Medien gehen, neben den denen die Hells Angels wie Betbrüder aussehen, vielleicht aber auch, weil kaputte Typen, die saufen, vergewaltigen und Hakenkreuzembleme tragen, heute erstens hinter jeder Straßenecke lauern und zweitens kein Buch verdienen, das um Verständnis wirbt.

  • Diesem Buch oder viel mehr dem Autor hat mein derzeitiger Autorgott Özdogan ne Kurzgeschichte gewidmet, allein schon deshalb sollte ich es lesen.... noch mehr weil ich wissen will was Ö. meint wenn er schreibt:
    Das sind keine Geschichten, die auf Aussagen von faschistoiden Bullen beruhen, und das ist auch nicht das distanziert-analytische Geseire von Intellektuellen. :kiss

  • Oh Gott... Selim Ö. Autorgott? Ich muß verblendet gewesen sein.... :lache


    Egal, ich hab das Buch gelesen.
    Naja... Tom trifft es schon ganz richtig. Es ist nciht aktuell, es war trotzdem interessant, ja auch für mich.
    Ein bißchen befriedigt das Buch den Voyeurismus des Lesers und ein bißchen vermutlich die Eitelkeit des Autors. Macht aber nichts, ich hab mich gut unterhalten gefühlt, halte mich nun für einigermaßen informiert, was die Angels der Vergangenheit angeht. (Ja, die Taten/Daten/Dinge der Neuzeit hab ich relativ präsent im Kopf.)


    Schreibstil... hm... eigentlich ziemlich brav, hätte mehr Biss erwartet, werde aber auf jeden Fall noch ein wenig H.S.T. lesen um meine Meinung da zu festigen.