"Der amerikanische Architekt" - Amy Walden

  • Titel der amerikanischen Originalausgabe: "The Submission"



    Amy Waldens Roman beginnt zwei Jahre nach 9/11 in New York. Die Gestaltung der geplanten Gedenkstätte am Ground-Zero war öffentlich ausgeschrieben worden und eine handverlesene zwölfköpfige Jury ist dabei, aus fünftausend verblindeten Einsendungen das Gewinner-Design auszuwählen. Nach langen Diskussionen, in denen auch die Gefühle "der Familien", also der Angehörigen der beim Anschlag Verstorbenen berücksichtigt werden sollten, entscheidet sich die Jury, auch insbesondere unter dem Einfluss von Claire Burwell, der einzigen Vertreterin der Familien in der Jury, für einen wunderschönen Garten.


    Umso größer ist der Schock, als der Umschlag mit dem bis dahin geheimen Namen des Designers geöffnet wird, und der Name "Mohammad Khan" aus dem Umschlag gezogen wird. Sofort entbricht ein Streit darüber, ob man für die Gedenkstätte ein Design eines Architekten mit so offensichtlich muslimischen Namen verwenden kann - ob man dieses den Familien und dem amerikanischen Volk im Allgemeinen zumuten kann. Und wie man am besten wieder aus der Geschichte herauskommt und wo sich vielleicht ein Schlupfloch in den Regeln der Ausschreibung dafür findet.


    Dafür ist es jedoch bereits einige Tage später zu spät, denn eine undichte Stelle innerhalb der Jury sorgt dafür, dass der Name des ausgewählten Designers an die Presse weitergegeben wird und ein Aufschrei durch die Bevölkerung geht. Noch größer ist das Geschrei, als vermutet wird, dass es sich bei dem Garten um einen persischen Garten handelt, der blitzschnell nur noch als "islamischer Garten" bezeichnet wird. Dies ungeachtet dessen, dass persische Gärten auf eine mindestens 3000 Jahre alte Geschichte zurückblicken und daher keineswegs ihren Ursprung im Islam haben (laut Wikipedia gibt es Tongefäße aus 4000 v. Chr., deren Bemalungen möglicherweise den typisch kreuzförmigen Grundriss des späteren persischen Gartens darstellen). Die Begründungen für die Ablehnung des Designs reichen von "ein mit einer Mauer umfriedeter Garten ist unamerikanisch" bis hin zu der Idee, der Architekt habe ein Paradies der Märtyrer entworfen und wolle nun den nichts ahnenden Amerikaner eine Gedenkstätte für die Terroristen des Anschlags unterjubeln. Die unterschiedlichsten Interessengruppen nutzen die Kontroverse, um sich zu profilieren.


    Mohammad "Mo" Khan selbst fühlt sich in erster Linie als Amerikaner und Architekt. Als in Virginia geborener Sohn indischer, moderat muslimischer Einwanderer hat er sich über seine muslimischen Wurzeln nie viele Gedanken gemacht und er selbst ist bestenfalls marginal religiös, wenn überhaupt. Sein Stolz und eine gewisse Trotzreaktion führen jedoch im Verlauf der Handlung dazu, dass er nicht klar Stellung bezieht, sondern mit den Vorurteilen seiner Gegner spielt. Er besteht darauf, dass sein Design für sich selbst steht und ist nicht zu Konzessionen bereit.


    Die Handlung wird jedoch nicht nur aus Mohammads Sicht erzählt, sondern im fliegenden Wechsel innerhalb der Kapitel aus der Sicht ganz unterschiedlicher Figuren. Da haben wir zum einen Claire, die gut situierte Witwe, die das Design und auch das Recht Mohammads, die Ausschreibung zu gewinnen, vehement verteidigt, die aber unter dem Druck der Öffentlichkeit und auch durch Mohammads Weigerung, Zugeständnisse zu machen, ins Wanken kommt und immer weniger in der Lage ist, das Design der Gedenkstätte losgelöst von Mohammads Herkunft zu sehen.


    Dann gibt es Alyssa, eine Reporterin bei der "New York Post", die buchstäblich über Leichen geht, um eine gute Schlagzeile zu bekommen. Paul, den Vorsitzenden der Jury, der lange um diese Position gekämpft hat, die schließlich zu einem Alptraum für ihn wird. Sean Gallager stand immer im Schatten seines großen Bruder, der einer der Feuerwehrmänner war, bei dem Versuch, Menschen aus den Türmen zu retten, verstarben. Sean verrennt sich immer mehr in eine radikale anti-islamische Position.


    Und schließlich Asma, die Witwe eines illegalen Einwanderers aus Bangladesh, der schwarz als Putzkraft in den Türmen des World Trade Centers gearbeitet hat. Asmas Geschichte erinnert zum einen daran, dass auch Moslems in den Türmen gestorben sind, zum anderen macht ihre Geschichte das Schicksal illegaler Einwanderer deutlich. Sie muss darum kämpfen, von der amerikanischen Regierung eine Entschädigung zu bekommen, da ihr Mann ja in den USA nicht registriert war umd somit auch nicht bei dem Anschlag verstorben sein kann. Asma steht in der Geschichte genauso am Rande wie in der Gesellschaft, die im Roman beschrieben wird.


    Wenn ich etwas kritisieren sollten, dann das die Personen überwiegend etwas stereotypisch sind und mir bis auf Asma Anwar weitgehend fremd blieben. Rückblickend muss ich jedoch sagen, dass zumindest der zweite Aspekt auch ein Teil der Geschichte ist und von der Autorin durchaus auch so gewollt sein kann. Auch war ich mir nicht ganz sicher, inwieweit die Geschichte satirisch sein sollte. Einerseits ist zum Beispiel der unterschiedliche Umgang der Figuren mit ihrer Trauer recht differenziert und facettenreich dargestellt, andererseits gibt es aber auch immer wieder satirisch anmutende Übertreibungen.


    Sehr passend gewählt finde ich den Titel, der zunächst einmal nur die Einsendung eines Designs auf eine Ausschreibung bedeuten kann, aber auch Unterwerfung. Im Buch taucht der Begriff "Submission" mehrfach auf und unterschiedliche Facetten der Unterwerfung werden durchgespielt. Alle Figuren werden vor die Frage gestellt, inwieweit sie sich unterwerfen wollen, und was die Konsequenzen sind, wenn sie es tun oder auch nicht tun. Ob es darum geht, inwieweit man sich einer Jury-Entscheidung zu unterwerfen muss, oder den Befindlichkeiten der Familien, verschiedenen Interessengruppen oder der Meinung der Mehrheit. Ob man seine eigenen Prinzipien über Bord werfen soll, um die Werte eines verstorbenen Partners zu ehren. Inwieweit man sich Traditionen unterwirft, oder ob man aus Konventionen ausbricht. Ob man zu stolz ist, sich zu unterwerfen.


    Wenn man sich an die Diskussion um die "Ground Zero Mosque" erinnert, dann bleibt das Gefühl, dass die Geschichte in der Realität genauso ablaufen könnte. Allerdings ist das Buch hier nicht antizipatorisch, denn es ist erst 2011 erschienen.


    Über die Autorin


    Amy Waldman was Leiterin des Süd-Asien-Büros der The New York Times. Sie lebt mit ihrer Familie in Brooklyn. "The Submission" ist ihr erster Roman.


    [edit: willkürlich einige zusätzliche Kommata verteilt]
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  • Unzählige Menschen verbinden mit der Stadt New York vor allem das Gefühl von Freiheit. Wer einmal durch die Straßen Manhattans gegangen ist, weiß welchen Schmelztiegel ethnischer Vielfältigkeit man dort auf engstem Raum vorfindet. Schon immer trägt diese Tatsache zum Zauber der Stadt bei. Auch die Terroranschläge vom 11. September 2001 konnten daran zumindest vordergründig nichts ändern. Doch wie liberal ist die USA tatsächlich? Wie tief sind die ganz persönlichen Wunden, die dieser verheerende Dienstag den Menschen zugefügt hat? Amy Waldman blickt in „Der amerikanische Architekt“ weit hinter die Fassade einer verwundeten Stadt und ihrer Bewohner.


    Zwei Jahre nach dem 11. September 2001 wird in New York ein offener Architekturwettbewerb für den Bau einer Gedenkstätte für die Opfer der Anschläge ausgeschrieben. Eine bunt zusammengewürfelte Jury mit Mitgliedern aus Kunst und Politik entscheidet über den Gewinner des Wettbewerbs. Claire Burwell, die im World Trade Center ihren Mann verloren hat, vertritt in der Jury die Interessen der Angehörigen und kann sich mit ihrem Favoriten sogar durchsetzen. Die Jury ist sich einig, dass der Entwurf „Der Garten“ gewinnen soll. Als dann allerdings der Umschlag geöffnet wird, der die Identität des Architekten bekannt gibt ist das Entsetzen innerhalb der Jury groß. Es handelt sich um Mohammed Khan. Zunächst wird alles versucht die Tatsache, dass ein Moslem diesen für New York zu wichtigen Architekturpreis gewonnen hat, vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Doch schnell bekommt die Presse Wind von der Sache und „Der Garten“ erschüttert die Demokratie der USA bis in ihren Grundfesten.


    Amy Waldmans Debüt gehört für mich zu den ganz seltenen Schätzen, die man im Laufe eines Lesejahres zufällig entdeckt. Die Geschichte ist so kraftvoll geschrieben, dass Langeweile auf den gut 500 Seiten keinen Platz hat. Die Autorin zeigt innerhalb der Geschichte sehr viele Facetten der Einwohner New Yorks. Obwohl eine große Anzahl von Protagonisten eine Rolle spielt, entwickelt doch jede neu eingeführte Figur ihren ganz eigenen Charakter und trägt maßgeblich zur Geschichte bei. Keine einzige der Figuren war überflüssig und keine hätte ich während der Lektüre missen wollen. Der Roman lädt ein über die eigene, doch häufig so hoch eingeschätzte Toleranzfähigkeit nachzudenken und zeigt auf teilweise erschreckende Art und Weise, wie schnell eine moderne und liberale Gesellschaft auch heute noch bereit ist, Menschen vorzuverurteilen oder wegen ihrer Religionszugehörigkeit auszugrenzen. Die Autorin lenkt den Blick des Lesers weg von den bereits über und über medial ausgeschlachteten Bildern rund um die klaffende Lücke, die die Geschehnisse des 11. Septembers 2001 mitten in New York hinterlassen haben. Vielmehr gibt sie auch den Menschen im Hintergrund eine Stimme, über die wenig oder gar nicht berichtet wurde und zeigt, dass es Wunden gibt, die vielleicht niemals heilen.

  • Eben gekauft.... bin sehr gespannt. :-]


    Edit: Schon fast durch, ein sehr faszinierendes Buch... sehr!!! :anbet


    Dieses Buch habe ich auf den Hinweis meiner Buchhändlerin auf deren Facebookseite hin gelesen. Ihre kurzen Worte zum Thema haben mich sofort interessiert und angesprochen, allerdings hat das Buch dann doch noch einige Tage hier im Regal gestanden, bevor ich mit dem Lesen begonnen habe.
    Das lag vorallem daran, daß ich einen sehr intellektuellen und anspruchsvollen Schreibstil erwartet habe, für den ich bei der derzeitigen Hitzewelle einfach nicht die Konzentration aufbringen konnte. Als ich dann allerdings doch sehr neugierig zu dem Buch griff, stellte ich fest, daß der Schreibstil durchaus eingängig und keineswegs so verkopft ist, wie ich es erwartet hätte. Glatte, teilweise wunderschöne, teilweise sehr durchdachte Sätze prasseln auf den Leser ein. Man Begegnet Figuren, die sich sehr detailliert vorallem mit ihrer eigenen Wahrnehmung und Meinung beschäftigen, die sich mit ihrem eigenen Weltbild auseinandersetzen, zu Veränderungen bereit sind oder sich auch ungewollt plötzlich in eine gänzlich neue Richtung wenden. Dieses Buch regt zum Nachdenken über die eigene Meinung und den eigenen Standpunkt zur Thematik auf, es wirft verschiedenste Blickwinkel und Ideen in den Raum, die nahezu alle überdenkenswert sind, dabei zeichnet es ein sehr schockierendes und realistisches Bild der Menschen in dieser festgefahrenen Situation, ihrer Gefühle, ihrer Ausbrüche, ihrer Wut und ihrer Ängste. Das Buch ging zumindest mir sehr nahe, vorallem das dann doch überraschende Ende hat mich berührt und bewegt.


    Dieses Buch hat meiner Ansicht nach zwei Facetten, zum einen ist es wirklich spannend und fesselnd, es unterhält auf sehr niveauvolle und gute Art, zum anderen ist es ein Stolperstein, ein Denkansatz, ein Gedankenspiel, das ich jedem nahe legen möchte.
    Ich bin nach der Lektüre mit einem etwas anderen Blick auf die Dinge zurück geblieben, mit einem etwas kritischeren Blick auf mich selbst und mein Verhalten.
    Natürlich werden in dem Buch Extreme geschildert, aber ohne diese Extreme, diese Stereotypen, diese radikalen Charaktere, wäre das Buch nicht so echt, so beängstigend nah an der Realtität, wie sie sein könnte.


    Fazit: Ein sehr lohnenswertes, sehr emotionales Buch, das zu keiner Zeit ins Pathetische oder Kitschige abdriftet und das aus meiner Sicht den Leser sehr klug unterhält.