Mein Dilemma mit negativer Kritik

  • Zitat

    Inhaltlich darf es harte Kritik sein


    Ich gehe schon davon aus, dass die Kritik *immer* inhaltlich ist. Das Angenehme am Schreibwettbewerb ist ja auch die Anonymität und wenn man als Leser ein Buch kritisiert, kritisiert man doch nicht den Menschen. Und diese "Unter Kollegen"- Geschichte...wenn ich meiner Kollegin sage, dass sie einen Fehler begangen hat, nimmt sie mir das doch (hoffentlich) auch nicht übel. Die Gefahr besteht natürlich, aber wie soll man sonst aus Fehlern lernen? :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Ich finde nicht, dass man den Schreibwettbewerb damit vergleichen kann. In der Textkritik von Montsegur und bei den von mir betreuten Texten habe ich keine Probleme, durchaus auch sehr scharfe Kritik zu ueben. Der gravierende Unterschied ist aus meiner Sicht folgender:


    All diese Texte sind "in der Mache". Sie sind in einer Arbeitsphase, in der dem Autor Input von aussen immens weiterhelfen kann. Der Autor hat hier auch immer sofort eine Handlungsperspektive: Kritik hoeren, Kritik einschaetzen, auf Kritik am Text reagieren.
    Aus genau dem Grund haben wir ja alle Testleser, und je adleraeugiger die auf die Schwaechen des Textes niederfahren, desto wirkungsvoller geraet die Schleifarbeit.


    Bei dem, was Dieter im Eingangsposting angesprochen hat, geht es aber um Texte, die in Stein gemeisselt sind - die von ihren Autoren, Testlesern, Lektoren als fertig eingestuft und gedruckt wurden. Dass ein Autor einem solchen Produkt, bei dem ihm keine Handlungsperspektive mehr bleibt, wesentlich sensibler gegenuebersteht, als einem Text, an dem er noch meisselt und feilt, scheint mir verstaendlich.
    Wenn mir einer zu einem Text in der Mache sagt: Du, die Haelfte ist Muell, dann mag mir das voruebergehend peinlich sein, vor allem aber ist es ein Arbeitsauftrag: Los, mach was. Und ein Wegweiser: Da, auf Seite Dreissig musste ansetzen, da geht's den Bach runter. Das hilft.
    Wenn mir das hingegen einer von einem Buch sagt, das gerade zehntausendmal an Buchhandlungen ausgeliefert wurde, dann kommt mir das ein bisschen vor, als haett' ich mich vor dem Buckingham Palace nackt ausgezogen, um bei den Jubilaeumsfeiern der Queen meine Knitterfalten vorzufuehren.
    Davon stirbt man auch nicht, schon klar. Und dass es mir selber tausendmal lieber ist, wenn einer mir sagt: Ey, Alte, biste fuer den Striptease nicht n bisschen schlecht gebuegelt?, statt so zu tun, als wuerde ich gar nicht existieren, habe ich ja auch schon mehrmals gesagt. Trotzdem ist - finde ich - die Scheu vor Kollegenkritik beim gedruckten Buch nachvollziehbarer als in Foren und Rubriken, wo es ausdruecklich um Textkritik und Textarbeit geht.


    Froehlichen Freitag!
    Charlie

  • Zitat

    Original von Charlie: Trotzdem ist - finde ich - die Scheu vor Kollegenkritik beim gedruckten Buch nachvollziehbarer als in Foren und Rubriken, wo es ausdruecklich um Textkritik und Textarbeit geht.


    Das ist ein wichtiger Hinweis, ich stimme dir zu.


    Und mir ist noch etwas eingefallen: Es ist ein Unterschied, ob Kritik öffentlich oder privat geäußert wird. Wenn meine Freundin mir sagt "Bei deinem letzten Roman konnte ich das Verhalten des Protagonisten nicht immer nachvollziehen", dann ist das eine wertvolle Anregung für mich und ich bin ihr dankbar dafür. Wenn sie mir aber deshalb eine Ein-Stern-Rezension bei Amazon einstellen würde, wäre ich schon ein wenig irrtiert. Denn leider ist eine öffentliche Renzension immer auch ein bisschen "geschäftsschädigend". Und als Schriftstellerin bekommt man ohnehin in den seltensten Fällen die vielen, vielen Arbeitsstunden angemessen entlohnt, da trifft einen ein Verriss natürlich doppelt.

  • @ charlie:


    Ich finde, du hast die Ursache für mein "Bauchgrimmen" genau auf den Punkt gebracht. Es geht eben um diesen von dir treffend beschriebenen Riesenunterschied zwischen einem Mansukript "in Arbeit" und einem fertig gedruckten und ausgelieferten Buch. Die Befindlichkeiten der jeweiligen Autoren sind entsprechend unterschiedliche - mir selbst geht es nicht anders -, und das sollte man, wenn man selbst Bücher veröffentlicht, in seinen Meinungsäußerungen auch berücksichtigen.
    Du hast das sehr viel besser als ich erklärt. :wave

  • Zitat

    Ich finde nicht, dass man den Schreibwettbewerb damit vergleichen kann.


    Charlie : da hast Du schon Recht. Der Schreibwettbewerb ist nur aus "Spaß" und es ist mit Sicherheit was anderes, wenn man mit der Schreiberei in Lohn und Brot steht und Etwas "abliefern" muss. Diesen Vergleich habe ich natürlich nicht, kann ich aber nachvollziehen. Kritik in meinem Beruf "schmerzt" mich auch eher als ein dummer Spruch, der mein Hobby beschmutzt.


    Dennoch gibt es auch in der Kommentarphase des Wettbewerbs immer wieder Diskussionen darum, wie weit die Kritik an den Texten gehen darf, es sind ja "nur" Laien etc. Und nicht selten fühlt sich auch in diesem "Spaßbereich" jemand persönlich beleidigt.


    Ich glaube, mit Kritik umzugehen ist nie einfach, egal in welchem Beruf, aber nötig. :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Sabine und Dieter, ihr sprecht mir sozusagen aus der Seele.
    Ja, Sabine, ich finde, der von Dir beschriebene Kompromiss ist der beste, den es (zumindest was meinen kleinen Hirnkasten betrifft) gibt. Einem Kollegen, mit dem der Kontakt gut genug ist und dessen Schreiben ich ansonsten schaetze, wuerde ich - unter Ausschluss der Oeffentlichkeit - auch sagen koennen: Du - dein letzter Roman hat mich enttaeuscht. Und zwar aus folgenden Gruenden.
    Damit laufe ich auch nicht im Mindesten Gefahr, ein Buch zu schaedigen, das in der Laufbahn des anderen eine wichtige Rolle spielt.


    Wobei ich auf die Krux des Ganzen noch einmal aufmerksam machen moechte: Ein Buch, das schlecht besprochen wird, laeuft zweifellos schlechter, als eins, das toll besprochen wird - aber am schlechtesten laeuft eins, das ueberhaupt nicht besprochen wird. Das ist der Todesstoss fuer ein Buch, nicht eine miese Kritik. Nicht wenn's viele hassen, fliegt's raus, sondern wenn's keinen kratzt.


    Herzliche Gruesse von Charlie


    (rienchen, da du offenbar nur eine Zeile meines Postings gelesen hast, reden wir aneinander vorbei. Ich habe nicht zwischen Laien und Profis unterschieden, was fuer mich ueberhaupt keinen Unterschied darstellt, sondern zwischen veroeffentlichten/fertigen und unfertigen Texten.)

  • Ja, ich kann das Bauchgrimmen nachvollziehen, dennoch denke ich, dass ich damit leben kann. Wer positiv kritisiert, muss auch Negatives ansprechen dürfen. Entweder schreibt ein Autor eine Rezi oder er lässt es! In letzter Konsequenz stellt sich also die Frage:


    Sollten Autoren Rezensionen schreiben?


    Autoren sind auch Leser. Und die Rezis eines im Eulenland bekannten "Autorenlesers", der bei Amazon knapp 400 Rezis eingestellt hat, die knapp 4,500 mal bewertet wurden, würden mir fehlen. Euch nicht?

  • Ich habe meine Probleme mit der hier immer eingeforderten "sachlichen" Kritik. Ich kann sachlich Bratwurst kritisieren (schmeckt mir nicht, weil Kümmel drin), eine Matratze (ist mir zu hart) oder meinetwegen einen Leisehäcksler (ist leise und kriegt alles klein), aber ein Buch?
    Ich versuche zwar meistens, meine Kritik zu begründen, allerdings sprechen mich Bücher weit mehr als nur auf der reinen Textebene an (deshalb bin ich ja Leserin und nicht Literaturkritikerin geworden). Da spielen auch jede Menge Emotionen hinein, positive oder negative, und die kann ich leider aus meinen Rezis nicht raushalten. Und vielleicht ist das ja auch gut so. Ich selbst jedenfalls lese gerne Rezis, die mit Herzblut geschrieben wurde.


    Das Schlimmste sollte doch für einen Autor eine rein sachliche Kritik sein (entsprechend Charlies Schweigen): da hat jemand meinen Text analysiert, aber gepackt hat ihn mein Buch offenbar nicht. Da lieber ein wohlformulierter Verriss, und sei es von einem Kollegen

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Und die Rezis eines im Eulenland bekannten "Autorenlesers", der bei Amazon knapp 400 Rezis eingestellt hat, die knapp 4,500 mal bewertet wurden, würden mir fehlen. Euch nicht?


    Interessant - wer ist das denn? Oder ist das geheimes "Herrschaftswissen"? Gib mir doch mal ´n Tipp ...

  • Zitat

    Original von Charlie: Wobei ich auf die Krux des Ganzen noch einmal aufmachen moechte: Ein Buch, das schlecht besprochen wird, laeuft zweifellos schlechter, als eins, das toll besprochen wird - aber am schlechtesten laeuft eins, das ueberhaupt nicht besprochen wird. Das ist der Todesstoss fuer ein Buch, nicht eine miese Kritik. Nicht wenn's viele hassen, fliegt's raus, sondern wenn's keinen kratzt.


    Aus reiner Lesersicht ist ein unbesprochenes Buch geradezu eine Herausforderung für mich. Sollte sich dann die Entdeckung noch als Glücksfall erweisen, ist sie mir die Zeit wert, eine Rezension zu schreiben (unabhängig davon, ob mein Beitrag dann unbeachtet in den Tiefen des Forums verschwindet, was keine Frage der Eitelkeit ist, sondern mein tiefes Bedauern darüber, einem Stück Literatur nicht zu größerem Erfolg verholfen zu haben.)

  • Zitat

    @Didi: Interessant - wer ist das denn? Oder ist das geheimes "Herrschaftswissen"? Gib mir doch mal ´n Tipp ...



    Kennst du Space Oddity von David Bowie? Oder seinen song Ashes to Ashes. Denk an den Refrain, dann müsste es klingeln:


    „We know Major Tom's a junkie, strung-out in heaven's height, hitting an all-time low..."


  • got it

  • @DieterNeumann: Wozu die Zurückhaltung ? Man kann eine Kritik ja sachlich und eloquent begründen, und gut is'.


    Also, nur zu! :wave

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Hm... ich sehe schon Voltairs Giftdrüse darauf warten, dass ich mich dazu äußere. (Er hat ja meine vor Jahren dazu geäußerte Meinung hier im thread verfremdet wiedergegeben)


    Es ist ein Ehrencodex unter Profis in diesem Gewerbe, keine öffentlichen Rezis über Kollegen/innen abzugeben, die ihm schaden könnten.


    Es ist so, und es bleibt so. Natürlich sind einige sensationsgeil, mal die und jene Meinung eines vergleichbaren Profis zu hören. Aber, wer Profi ist, sagt das, was er denkt, dem Kollegen höchst persönlich. Dann ist aber Schluss.


    Sorry Voltaire......


  • Nun bin ich beruhigt, nun kann ich wieder gut schlafen. Endlich hat sich der Grossmeister des literarischen Schaffens :anbet :anbet :anbet :anbet zu Wort gemeldet und dabei auch sofort Grundsätzliches verkündet.


    Ehrenkodex von Profis
    Keine öffentlichen Rezis über Kolleginnen und Kollegen


    und das Wichtigste ist:


    ES IST SO - UND ES BLEIBT SO. :bruell :bruell
    (fehlt irgendwie nur das "Schröderische Basta").


    Nur treibt mich jetzt die Frage um:
    Was ist denn ein Profi? :gruebel
    Hef vielleicht? :rofl :rofl :rofl :rofl :rofl :rofl


    Hef, du wirst doch sicher nicht glauben, dass ich nun meine Ansicht aufgrund deiner Wortmeldung hier ändere. :grin
    Ganz im Gegenteil - jetzt erst recht. :wave


    Werde dann mal gehen, meine Giftdrüse auftanken. :rofl :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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  • Hef's Ehrenkodex riecht ein wenig antiquiert, so etwas hatten früher mal die Zünfte, aber heute bestenfalls nur noch die Mafia. Im postmodernen Fratzenbuch-Zeitalter, mein lieber Hef, gelten andere moralische Maßstäbe: Hinter der Publikumsbeschimpfung liegt die Kollegenschelte an zweiter Stelle.


    Ironiedetektor aus - Politikdetektor ein:


    Die Freiheit darf nicht der Eitelkeit der Autoren geopfert werden. Der Hef'sche Imperativ ist ein Verhaltenskodex aus dem vorletzten Jahrhundert!

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Hef's Ehrenkodex riecht ein wenig antiquiert, so etwas hatten früher mal die Zünfte, aber heute bestenfalls nur noch die Mafia. Im postmodernen Fratzenbuch-Zeitalter, mein lieber Hef, gelten andere moralische Maßstäbe: Hinter der Publikumsbeschimpfung liegt die Kollegenschelte an zweiter Stelle.


    Ironiedetektor aus - Politikdetektor ein:


    Die Freiheit darf nicht der Eitelkeit der Autoren geopfert werden. Der Hef'sche Imperativ ist ein Verhaltenskodex aus dem vorletzten Jahrhundert!


    chaqueun à son gout


    Ich lese alle meine Kollegen meines Genres, werde aber den Teufel tun der Zielgruppe Leser auf die Nase zu binden, was ich von wem halte .... :nono

  • Danke allen Eulen, die aus ihrer jeweils unterschiedlichen Sicht - begründet zumeist durch ihren Status als Autor / Nichtautor - engagiert zu meinem o. a. Dilemma Stellung bezogen haben!
    Der Austausch eurer Argumente war hilfreich für mich. Manche davon haben mich mehr, andere weniger überzeugt.
    Nach gründlicher Abwägung habe ich mir nun (zumindest vorläüfig) eine Meinung bilden können. :licht