Bernhard Kegel: Ein tiefer Fall

  • Bernhard Kegel: Ein tiefer Fall
    Mareverlag 2012. 512 Seiten
    ISBN-13: 978-3866481657. 19,90€


    Verlagstext
    Als der Kieler Biologieprofessor Hermann Pauli spät am Abend den Campus verlassen will, locken ihn eigentümliche Gerausche in den obersten Stock des Biologiezentrums ins Reich des gefeierten Evolutionswissenschaftlers Frank Moebus. Dort erwartet ihn ein grausiges Szenario: Zwischen zappelnden Fischen, Kröten und zahllosen Glasscherben liegt ein Mann, dessen Kopf in einem zerbrochenen Aquarium steckt, eine Scherbe hat sich tief in seine Kehle gebohrt. Wenig später findet die von Pauli gerufene Polizei einen zweiten Toten unter dem offenen Fenster - auch er ein Mitglied der Arbeitsgruppe von Frank Moebus. Kriminalhauptkommissarin Anne Detlefsen steht vor einem Rätsel. Geht es um die kostbaren Urzellen, auf die Moebus in der Tiefsee gestoßen ist? Eine neue Art von Leben - Größeres kann man in der Biologie kaum entdecken. Bewegung kommt in den Fall, als eine Gruppe prominenter Forscher aus aller Welt Moebus in einem offenen Brief vorwirft, ihren Labors trotz mehrfacher Bitten keine Zellen zu überlassen; ein Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis. In Hermann Pauli keimt ein unheimlicher Verdacht auf . . . Nach dem großen Erfolg von "Der Rote" legt Bernhard Kegel einen neuen spektakularen Wissenschaftskrimi vor, der von der Tiefsee in den Olymp der Forschung führt - und in dessen Abgründe. Die Geschichte um einen ehrgeizigen Spitzenforscher und seine folgenreiche Entdeckung ist packend erzählt und von höchster Aktualität.


    Der Autor
    Bernhard Kegel, Jahrgang 1953, ist promovierter Biologe, leidenschaftlicher Jazzgitarrist und vielfach ausgezeichneter Autor von Romanen und Sachbuchern. Zuletzt erschien 2009 das Sachbuch "Epigenetik. Wie Erfahrungen vererbt werden", das heute in 4. Auflage vorliegt und in Osterreich auf die Shortlist zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt wurde. Im mareverlag erschienen sind seine Romane "Der Rote" (2007) und "Ein tiefer Fall" (2012). Bernhard Kegel lebt mit seiner Familie in Brandenburg und Berlin.


    Inhalt
    Der größte Triumph seiner Karriere liegt hinter Hermann Pauli. Seit der Biologieprofessor vor einigen Jahren gemeinsam mit einem einheimischen Kollegen vor der Küste Neuseelands eine bis dahin unbekannte Riesenkalmar-Art entdeckt hat, ist er in der Welt der Meeresbiologen ein Idol. Paulis Abenteuer in Neuseeland liegen ungefähr zwei Jahre zurück, als er im Biologiezentrum der Kieler Uni nachts von einem Wasserschaden überrascht wird. Bei seiner Suche nach der Ursache der gewaltigen Wasserflut, die ihm aus dem 12. Stockwerk entgegenströmt, findet Pauli in der Etage über seinem Büro einen toten Mitarbeiter. Ein weiterer Mitarbeiter ist bei einem Sturz aus dem Fenster ums Leben gekommen. Die beiden Toten forschten für Frank Moebus, dessen Spezialgebiet Mikroorganismen sind, die in der Tiefsee in der Nähe so genannter Schwarzer Raucher gefunden werden. Moebus hat in der Fachwelt und auch in Kiel Prominenten-Status. Das Ermittlungsteam der Kriminalpolizei muss sich zunächst in den Wissenschaftsbetrieb als Schauplatz eines Verbrechens und in Moebus Forschungsgebiet hineinversetzen. Als Leiterin der Sonderkommission zu dem beunruhigenden Vorfall vernimmt Anne Detlefsen Hermann Pauli als Zeugen, der als erster an den Tatort kam. Die Kriminalhauptkommissarin interessiert sich für Meeresbiologie und macht sich mithilfe von Paulis Aussagen schnell ein Bild von Moebus Forschungsvorhaben. Pauli ist zunächst der einzige Mitarbeiter, der zu Moebus näheren Kontakt hatte; gemeinsam mit zwei weiteren Musikern spielten die beiden Biologen in einer Band. Moebus ging privat und beruflich keinem Konflikt aus dem Weg. Alle Mitarbeiter standen unter enormem Erfolgsdruck, wie Pauli von seinem eigenen wissenschafltichen Mitarbeiter erfährt. Professor Moebus kämpfte offenbar mit allen Mitteln um Forschungsgelder.


    Fazit
    In Kegels zweitem Wissenschaftsthriller sind zwei Todesfälle im Biologiezentrum der Kieler Universität Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Hamsterrad Wissenschaftsbetrieb. Was konnte so gewaltige Emotionen entfesseln, dass zwei wissenschaftliche Mitarbeiter getötet wurden? Noch während der Ermittlungen regt sich unter Wissenschaftlern im In- und Ausland und unter Kieler Studenten Protest gegen die Arbeitsmethoden des Professors, dessen beste Mitarbeiter kurz zuvor ums Leben gekommen sind.


    Hermann Pauli, der für die Ermittler unentbehrliche Kontaktmann zur Universität, blickt mit der Gelassenheit desjenigen auf die Jagd nach Veröffentlichungen, Planstellen und Forschungsmitteln, der selbst nie nach Ruhm strebte. Der Kontrast zwischen Pauli, dem kurz vor der Emeritierung das angenehme Betriebsklima in seiner Abteilung am wichtigsten ist, und dem überehrgeizigen Moebus machen den Charme des Buches aus. Bernhard Kegel nimmt sich dabei viel Zeit, um seine Figuren in allen Facetten zu beschreiben. Wer sich für aktuelle Bezüge zum Thema Fälschung von Forschungsergebnissen interessiert, Sinn für feine Zwischentöne und ein vernünftiges Maß an Privatleben der handelnden Figuren hat, wird gern in die Ereignisse um Pauli und Moebus eintauchen. Der Roman bezieht sich an wenigen Stellen auf "Der Rote", zum Verständnis des zweiten Buches muss man Kegels ersten Thriller nicht gelesen haben.


    9 von 10 Punkten

  • Und wieder einmal wundere ich mich. Da legt ein deutscher Autor einen wunderbar handfesten, gut recherchierten und gekonnt ausgedachten Kriminalroman vor, und kaum einer liest ihn. Obwohl dieser Roman deutlich besser ist, als das Meiste, was man so an Regionalkrimis vorgesetzt bekommt, frage ich mich gerade, ob er unter genau dieser Genrebezeichnung eine breitere Leserschaft finden würde


    Aber egal. Zum Inhalt hat Buchdoktor ja schon alles gesagt, deshalb an dieser Stelle nur meine ganz subjektiven Leseeindrücke. Und einer davon ist, dass Kegel genau kennt, worüber er schreibt, nämlich das Universitätsmilieu. Das und seine Konflikte sind einfach überzeugend dargestellt. Die Professoren der alten Schule, die sich mit Gründlichkeit und Freude in noch so absurde Spezialgebiete einarbeiten, treffen auf junge, ehrgeizige Forscher, die das ganz große wissenschaftliche Rad drehen wollen. Junge naturverbundene Biologen, die lernen wollen, die Natur zu verstehen, um sie schützen zu können, sehen sich zielstrebigen Kollegen gegenüber, die die Grenzen des Machbaren bedenkenlos ausweiten möchten.
    In diesem Spannungsfeld spielt sich der eigentlich Kriminalfall ab. Auch der ist klug ausgedacht und sehr stimmig in das Milieu eingebettet. Denn auch wenn der recht blutig-spektakulär beginnt, scheint mir der Plot ausgesprochen realitätsnah und vielleicht gerade deshalb ziemlich originell.
    Bleiben noch die vielen biologischen Details, die unaufdringlich platziert sind und dem Verständnis dienen, ohne ins Info-Dropping abzugleiten.


    Die Figuren selbst bleiben freilich recht oberflächlich, und auch die Sprache ist nicht sonderlich aufregend, doch das hat mich in diesem Fall kaum gestört, denn die Geschichte ist einfach nur gut.


    Mir hat es großen Spaß gemacht, in diese Welt abzutauchen, die ich im realen Leben schon vor vielen Jahren verlassen habe. Aber auch Lesern, die diese Welt nicht kennen, bietet der Roman realistische, aber auch nachdenklich machende Einblicke. Wer allerdings Biologie schon in der Schule gehasst hatte, sollte besser die Finger von diesem Buch lassen.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Dieser Buchtipp kommt eigentlich zur falschen Jahreszeit. Optimaler Leseplatz und -zeitpunkt wäre der Botanische Garten im Sommer neben dem Bioturm, der in diesem Roman eine Rolle spielt.
    Den Turm kenne ich übrigens aus meiner Studienzeit, in der ich zwei Semester lang jeden Samstag um 8.30 Uhr zur Examensübungsklausur antreten durfte.
    Mein Interesse am Buch ist jedenfalls geweckt :wave.

  • Der Held spaziert zwar tatsächlich auch im Botanischen Garten herum, allerdings spielt das Buch im Spätherbst, es ist darin auch oft kalt, also passt es ja doch zur Jahreszeit :grin


    Und ja, das Buch könnte tatsächlich was für dich sein :wave

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Meinen beiden Vorschreiberinnen kann ich mich nur anschließen.
    Bernhard Kegel hat einen Roman vorgelegt, der gut recherchiert ist und der dicht an der Realität bleibt. Das Universitätsmilieu und die Grabenkämpfe zwischen den rivalisierenden Professoren sowie ihren Assistenten werden überzeugend geschildert; die Mordfälle bilden hierfür lediglich den Aufhänger.


    Bemerkenswert ist der Stil, den Kegel überzeugend durchhält und der von Nüchternheit, fast einer wissenschaftlichen Sprache geprägt ist und der vielleicht deshalb nicht jeden Leser ansprechen wird.
    Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang das Motiv des Fuchses, das den Roman durchzieht und mit Sicherheit die große Zuneigung Kegels zur Biologie widerspiegelt.


    Bliebe die Frage nach den Kritikpunkten dieses Wissenschaftsromans:
    Dankbar darf man dem Hause Fischer sein, dieses Buch nicht als Regionalkrimi angepriesen zu haben, denn das ist dieses Buch keineswegs, auch wenn der Schriftsteller seine Bestes versucht, Lokalkolorit unterzubringen. Kegels krampfhafte Recherche jeder Figur einen Wohnsitz in einer adäquaten Gegend zuzuweisen nervte gegen Ende des Romans deutlich. Glücklicherweise unterlaufen auch dem Perfektionisten Kegel Fehler, wenn er beispielsweise in einer Studentenkneipe, die der Autor und das Lokal selbst als Restaurant bezeichnen, eine Hochzeit mit 100 Leuten stattfindet, man als Ortskundiger jedoch einige Zweifel hat, wer bei der Feier wem auf dem Schoß sitzt, weil die Anzahl der Gäste nicht unterzubringen ist.
    An anderer Stelle erwähnt Kegel Segelboote im Hafen in Sichtweite des Bahnhofs. Das mag gut möglich sein, aber nicht zum Zeitpunkt Oktober/November, wenn die Boote bereits untergestellt sind und am Kai höchstens ein Raddampfer und Kutter anliegen.


    Insgesamt hat Bernhard Kegel mit "Ein tiefer Fall" einen anständig recherchierten Wissenschaftsroman vorgelegt, der nicht nur Universitätsabsolventen und -mitarbeiter, sondern dank seiner Verständlichkeit auch ein breit gefächertes Publikum ansprechen dürfte.