Titel: Die Tigerfrau
Autor: Téa Obreht
Sprecher: Rike Schmid und Stephan Benson
Originalverlag: Rowohlt
Verlag des Hörbuchs: Random House Audio
Dauer: 9 CDs – 690 min.
Über die Autorin:
Téa Obreht, geboren 1985 in Belgrad, lebt seit ihrem zwölften Lebensjahr in den USA. Dort veröffentlichte sie erste Erzählungen u.a. im "New Yorker", in "Harper‘s" und der "New York Times". Ihr Debütroman "Die Tigerfrau" (2011), der in den USA und England zu einem sensationellen Überraschungserfolg wurde, erscheint in mehr als dreißig Sprachen. Im Sommer 2011 erhielt Téa Obreht den Orange Prize for Fiction, im Herbst wurde "Die Tigerfrau" für den National Book Award nominiert.
Über die Sprecher:
Rike Schmid spielte an der Seite von Maximilian Schell die Hauptrolle in der ZDF-Serie „Der Fürst und das Mädchen“. Es folgen Kinoproduktionen wie "Wir", ausgezeichnet mit dem Max-Ophüls-Preis, oder "Schwere Jungs", und TV-Filme wie die Theaterverfilmung "Baal" oder der ZDF-Film "Die Augenzeugin".
Stephan Benson spielte an renommierten Theatern wie dem Schauspielhaus Zürich und dem Thalia Theater Hamburg. Aus Film und Fernsehen ist er u.a. bekannt durch seine Rollen in Sönke Wortmanns Kinofilm „Der Campus” und aus Krimiserien wie „Tatort” oder Adelheid und ihre Mörder”. Für Random House Audio hat er u.a. „Rückkehr nach Missing” von Abraham Verghese gelesen.
Kurzbeschreibung:
Unvergessliche Figuren und erzählerische Virtuosität
Natalia arbeitet in einem Waisenhaus irgendwo in Südosteuropa, als sie vom rätselhaften Tod ihres geliebten Großvaters erfährt. Nach Erklärungen suchend, erinnert sich die junge Ärztin an jene Geschichten aus seinem Leben, die sich um zwei seltsame, fatale Gestalten drehen – die Tigerfrau, eine schöne Taubstumme in seinem Heimatdorf, die einen geflüchteten Tiger pflegte; und einen charmanten, obskuren Mann, der nicht sterben kann. Während Natalia auf den Spuren des Großvaters durch idyllische und kriegsverwüstete Landschaften reist, werden ihr diese Figuren immer gegenwärtiger. Bald entspinnt sich ein ganzer Kosmos an Mythen und Gestalten, und Natalia begreift, welche Wahrheit über die Lebensrätsel ihrer Familie und ihre versehrte Heimat in ihnen steckt.
Meine Meinung:
Die Autorin nimmt einen auf eine Reise in ihre eigenen und fiktiven Erinnerungen, Jugend, Familie und mitten hinein in den Balkan und den Krieg, als Ich Erzählerin Natalia. Natalia ist Ärztin geworden, befindet sich mit ihrer Freundin auf dem Weg zu einem Waisenhaus um dort Kinder zu impfen und erhält die Nachricht vom plötzlichen Tod ihres Großvaters. Eine Stunde von ihr entfernt ist er in einem Krankenhaus gestorben, nicht in seinem Heimatdorf. Also macht sie sich auf den Weg zu ihm, trifft auf den Gefährten des Todes und ersinnt sich dabei an viele Geschichten.
Auslöser für dieses Buch war der Tod ihres eigenen Großvaters und die Erinnerungen an ihre Kindheit in Jugoslawien, wie ich in einen Interview über die Autorin gelesen habe. Der Krieg findet zwar im Hintergrund statt und auch hier bedient sie sich an lebhaften, warmen und zugleich schrecklichen Bildern, aber die menschliche Beziehungen und die schwere Zeiten stehen im Vordergrund. Unterschiedliche Protagonisten rücken ins Zentrum, darunter auch ein Tiger, realistische und auch fantastische Elemente, Aberglaube, Balkan Folklore, die in Bruchstücken angerissen aber nicht auserzählt werden. Sie gibt den Elementen jeweils eine Bühne, aber sie will damit der politischen Zugehörigkeit, den Religionen, der Mentalität der Menschen und auch dem Tod, in Form eines Märchens, einer Geschichte, ein zuhause geben.
Der Mann der nicht sterben kann, ein sehr starker Charakter der als Mythos beschrieben wird und der sich mit dem Charakter des Großvaters verbindet und hier als Mentor fungiert, wechselnde Sichtweisen auf den Tod aufzeigt, ist ein Teil des Buches. Imagination ist indes die Geschichte der Tigerfrau, der Tiger, der als Konfliktfigur erscheint und als Reflektion der Identitäten der Leute dient. Wie die Welt funktioniert zeigt sie hier geographisch auf einen kleinen Rahmen beschränkt, anhand einer Geschichte auf, aber projizieren lässt sie sich auf einen sehr viel weiteren Blickwinkel, auf eine eigene Meinung und auch auf Hoffnung.
Natalia ist dabei immer Mittelpunkt in diesem Buch und um sie herum, werden alle Verwicklungen und Lebensgeschichten mit den Tod des Großvaters eng verwoben. Emotional, fantastisch und mit einer sehr bildlichen Sprache wird man mitgenommen auf eine Reise, die sich um das Leben und den Tod dreht, manchmal mystisch, erschreckend realistisch, die sich aber in beidem nicht verliert.
Von der Leichtigkeit und Fröhlichkeit des gelben Covers sollte man sich nicht täuschen und vom Bild des Tigers nicht in verruchte Gedanken treiben lassen. Dieses Hörbuch berichtet von ganz vielem, ist vielleicht auch nicht immer einfach zu verstehen und doch hat mich die Sprache und Erzählweise fasziniert, weil sie sich sehr von anderen unterscheidet und so eigen ist.
Was ich persönlich beeindruckend fand, ist wie die Autorin durch die verschiedenen Erzählebenen balanciert, ohne dabei das Grundgerüst zu verlassen, einem auch mal in schwierigen Momenten ein Lächeln abringt und die einfach gewaltige oder gewaltig einfache Sprache. Zwischendurch musste ich immer wieder innehalten, die Geschichte anhalten, nachdenken und sie auf mich wirken lassen. Selbst den mystischen und fabelhaften Augenblicken haucht sie sehr viel wahres Leben ein, einer Parabel gleich und vermittelt ein Gefühl von Heimat, von dem ich einiges, in mein eigenes mitnehmen kann und werde. Leben ist Plötzlichkeit und Schicksal, für jeden einzigartig und wir dürfen uns erinnern, das haben wir alle gemeinsam. Diese Hörbuch fand ich traurig, schön und tröstlich zugleich, ein buntes, ernsthaftes und wahres Märchen für Erwachsene, welches durch und mit diesem Widerspruch lebt.
Ganz hervorragend gelungen finde ich die Wahl der beiden Sprecher und der jeweiligen Aufteilung der Kapitel. Rike Schmid und Stephan Benson erzählen wunderbar warm, sanft und eindringlich, auf eine märchenhafte Weise, die sehr berührt. Rike übernimmt dabei den Part aus der Sichtweise von Natalia, Stephan liest die Rolle des Großvaters und beide machen das großartig.