Stefan Heym, Ahasver
Roman, 272 Seiten
Erstveröffentlichung BRD 1981, DDR 1988
aktuelle Ausgabe:
btb Verlag, Taschenbuch, 8,00 EUR, ISBN 978-3442733576
Autor:
Stefan Heym wurde 1913 in Chemnitz geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik. Da er Jude war, emigrierte er 1933 in die USA. Während des 2. Weltkrieges nahm er als US-Offizier an der Invasion in der Normandie teil. Die ersten Nachkriegsjahre verbrachte er in München, wegen seiner kommunistischen Haltung wurde er jedoch in die USA zurück versetzt und aus der Armee entlassen. Aus Protest gab er Offizierspatent, Auszeichnungen und seine US-Staatsbürgerschaft zurück und übersiedelte 1953 in die DDR. Zu Konflikten mit der DDR-Staatsführung kam es bereits 1956, als die Veröffentlichung seines Romans „Fünf Tage im Juni“ über den Arbeiteraufstand 1953 abgelehnt wurde. Die in der Gegenwart spielenden Romane Heyms (Fünf Tage im Juni, 1974; Collin, 1979) wurden ausschließlich in der Bundesrepublik veröffentlicht, da sie politische Themen zu kritisch behandelten. Nur die in der Vergangenheit angesiedelten Romane Heyms konnten auch in der DDR erscheinen, zum Teil jedoch erst Jahre nach deren Veröffentlichung in Westdeutschland. Damit war Stefan Heym Dissident in drei politischen Systemen: als Jude unter Hitler, als Kommunist unter McCarthy und als kritischer Schriftsteller unter Ulbricht und Honecker. Auch nach der Wende blieb Heym unbequem, beispielsweise als Bundestagsabgeordneter für die PDS. Stefan Heym starb 2001 in Jerusalem.
Inhalt:
Der Roman greift die Legende vom Ewigen Juden Ahasver auf. Nach dieser Legende ist Ahasver ein jüdischer Schuster an der Via Dolorosa, der Jesus auf dem Weg zur Kreuzigungsstätte Rast und Ruhe vor seinem Haus verweigerte. Ahasver wird deshalb von Jesus dazu verurteilt, bis zum Jüngsten Tag ruhelos auf der Erde umherzuwandern.
Das Schicksal des Ewigen Juden wird vom Autor auf vier verschiedenen Zeitebenen ausgedeutet: eine mythologische Ebene reicht von der Schöpfung bis zum Weltuntergang und bildet die Rahmenhandlung des Romans. Weitere Handlungsstränge spielen zur Zeit Jesu, während der Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts und in der DDR in den Jahren 1979 bis 1981.
Meinung:
Durch die verschiedenen Handlungsstränge ist der Roman zwar sehr komplex, aber die Handlungsebenen lösen einander kapitelweise ab und sind klar voneinander getrennt. Zu Beginn jedes Kapitels steht nach dem Vorbild mittelalterlicher Bücher eine kurze inhaltliche Zusammenfassung. Zudem findet der Autor für jede Ebene eine der Zeit der Handlung eigene und angemessene Sprache, so imitiert er auf der mythologischen Ebene die Sprache der Bibel, die Ereignisse zur Zeit der Reformation sind in altertümelndem Historien-Deutsch geschrieben und der DDR-Handlungsstrang kommt in sachlich-wissenschaftlichem Ton daher.
Allein für diese sprachliche Meisterleistung gebührt dem Autor ein großes Kompliment.
Gefreut haben mich auch die „sprechenden“ Namen, die der Autor für seine Figuren gefunden hat. So ist beispielsweise ein Briefwechsel zwischen Prof. Dr. Dr. h. c. Siegfried Beifuß, Leiter des Instituts für wissenschaftlichen Atheismus in Berlin, Hauptstadt der DDR, und Prof. Jochanaan Leuchtentrager von der Hebrew University in Jerusalem im Roman wiedergegeben. Bei Beifuß musste ich gleich an das Kommando „Bei Fuß!“ für Hunde denken, was die Person dieses Namens treffend charakterisiert und Leuchtentrager ist einfach eine andere Formulierung für Luzifer.
Der Roman ist intelligent gemacht, man muss schon ein bisschen mitdenken, er ist aber auch kurzweilig genug, um als Leser dabei zu bleiben. Zudem blitzen im Buch immer wieder Satire und Ironie auf. Jede der Handlungsebenen hat ihren eigenen Charme: die mystische Ebene kommt v. a. philosophisch daher, den Handlungsstrang zur Zeit Jesu fand ich aus religiöser Sicht interessant, da er viele biblische Bezüge enthält, die Schilderung der Ereignisse zur Zeit der Reformation las sich schon aufgrund der Sprache wie eine gut gemachte historische Erzählung und der Briefwechsel zwischen den beiden Professoren strotzte nur so vor Witz und Satire. Mir haben alle Handlungsebenen gleichermaßen gut gefallen, jede auf ihre Art.
Die einzelnen Ebenen stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind durch die Ahasver-Legende miteinander verbunden. Daraus bezieht der Roman auch seine Spannung, da man als Leser immer wissen will, worauf das Ganze letztlich hinausläuft und wer hier was mit wem zu tun hat und warum.
Vordergründig hat sich der Autor an der Legende vom Ewigen Juden abgearbeitet, aber eigentlich geht es um so große Themen wie etwa das Gute und das Böse, die Veränderung und Veränderbarkeit der Welt, menschliche Schwächen und menschliche Gelüste, Sichtbares und Unsichtbares …
Fazit:
Ich bin von dem Buch begeistert und es hat einen Platz in meinem Lieblingsbücher-Regal bekommen, da ich es unbedingt noch einmal lesen will. Vor allem Sprachmenschen und Lesern, die sich für philosophische und religiöse Themen interessieren, kann ich das Buch nur empfehlen.
10 Punkte.