Meine Rezi für rienchen und arter, die leider nicht dabei sein konnten. Und natürlich für alle anderen Patrick-Watson-Fans.
Gestern Abend war es nun endlich so weit: Patrick Watson gastierte mit seiner Band in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Das Konzert war übrigens ausverkauft. Glücklicherweise hatte ich nach arters Hinweis auf das bevorstehende musikalische Glanzlicht umgehend eine Karte gekauft. Danke, arter!
Für mich war die Veranstaltung in zweifacher Hinsicht eine Premiere, denn ich hatte bisher weder den kanadischen Ausnahmemusiker live gesehen noch jemals einen Fuß in diese Kirche gesetzt. Selbige erwies sich als ganz ausgezeichnete Wahl für die Darbietung – stimmungsvoll, atmosphärisch und mit toller Akustik.
Das (passenderweise bestuhlte) Konzert selbst begann kurz nach 21 Uhr – zu meiner Überraschung – mit dem Auftritt einer Vorgruppe namens „Josef & Erika“. Ein schwedisches Duo, gestern verstärkt durch einen Saxofonisten, das, wie ich mittlerweile weiß, schon seit 10 Jahren aktiv ist, es aber bisher geschafft hatte, seine Existenz vor mir geheim zu halten. Ditt iss jetz vorbei, Kindas! Josef (Bass, Kontrabass) und „seine“ Erika (Keyboard, Gesang) gefielen mir mit ihrer zumeist ruhigen, manchmal sphärischen und oft melancholisch-wehmütigen Musik hervorragend. Erika hat nicht nur eine wunderbar klingende, durchdringende Stimme, die für einige Gänsehautmomente sorgte, sondern auch einen beachtlichen Stimmumfang. Eine echte Entdeckung. Auch das restliche Publikum schien entzückt; es spendete jedenfalls reichlich Beifall. Keine Selbstverständlichkeit bei Vorgruppen.
Nach rund 45 Minuten nordischer Klänge gab es dann eine 20-minütige Umbaupause. Anschließend betrat der Meister mit seiner Band die Bühne. Es war dieselbe Formation und Besetzung (Gitarre, Bass, Schlagzeug, Piano), mit der er schon eine ganze Weile zusammenspielt, ergänzt durch eine Violinistin.
Zum Auftakt, die Bühne war noch ziemlich dunkel, griff Patrick Watson zart in die Tasten seines Flügels, und als er nach vielleicht 10 Sekunden zu singen begann, schepperte es plötzlich ordentlich in den heiligen Hallen – irgendeinem Dödel war auf dem Steinboden der Kirche seine Bierflasche umgekippt. „Danke, Du Arsch!“, hätte ich normalerweise gebrüllt, aber Watson parierte die Situation wesentlich sympathischer, indem er kurzerhand seinen Gesang unterbrach und sagte: „Well, that's a nice sound!“. Allgemeines Gelächter und weiter ging’s. (Die Sache mit dem Umkippen der Bierpullen entwickelte sich im Laufe des Konzerts allerdings zu einer Art Running Gag, da wirklich alle paar Minuten irgendjemand die Kontrolle über sein Drogenbehältnis verlor. Meistens wurde gelacht, aber manchmal konnte einem das Lachen schon fast im Halse stecken bleiben.)
Watson machte also unbeirrt weiter und stellte – wiederum zu meiner Überraschung – das komplette neue Album vor. Normalerweise – ich denke, das kennt fast jeder – wünscht man sich doch irgendwie, vor allem die Stücke zu hören, die man schon kennt. Das war hier überhaupt nicht so. Die Lieder vom Neuling „Adventures in Your Own Backyard“ sind allesamt einfach fantastisch und voller Magie. Abseits der ausgetretenen Pfade begeisterte die Band immer wieder mit überraschenden harmonischen und melodischen Wendungen, origineller Rhythmik und vor allem mit eigenwilliger und kreativer Instrumentierung. Alles sehr erfrischend, aber gar nicht anstrengend, und so blieb der Wunsch nach den ollen und vertrauten Kamellen weitgehend aus. Stattdessen wollte man eigentlich immer nur mehr von diesen tollen neuen Klängen …
Und derer gab’s ja auch reichlich. Übrigens bat Watson mehrmals Erika mit auf die Bühne. Ihre Stimme fügte sich vortrefflich ein und die zweistimmigen Passagen der beiden waren einfach großartig! Apropos großartig. Zu den besonderen Glanzlichtern dieses Abends gehörte für mich der Teil des Konzerts, in dem sich die Band um ein Mikrofon herum versammelte, um wie „in the old days“ zwei Lieder zu intonieren, von denen das Erste angeblich – so Watsons unter seinem typischen Gegacker vorgetragene „Background-Story“ – anlässlich eines Lagerfeuers irgendwo in den Weiten Kanadas („in the middle of nowhere“) entstanden sei, wo man naturgemäß nur sehr begrenzte Mittel zum Musizieren zur Verfügung gehabt hätte. Wie dem auch sei. Jedenfalls verdichtete sich die ohnehin schon ziemlich intime Atmosphäre hier noch weiter – traumhaft! (Unten füge ich einen Link zu einem Livemitschnitt von „Into Giants“, dem zweiten dieser beiden Stücke, ein.)
Als der Meister nach mehr als einer Stunde dann mit „Big Bird in a Small Cage“ doch mal ein altes Lied anstimmte, startete er einen Versuch, das Publikum als Chor mit einzubeziehen, was allerdings nur von mäßigem Erfolg gekrönt war. Egal, es tat dem Spaß keinen Abbruch ...
Nach dem der reguläre Teil des Auftritts beendet war gab es reichlich stehende Ovationen. Die Band dankte es mit Verbeugungen und einigen Zugaben. Unter anderem entzückte man die Zuhörerschaft noch mit zwei „Klassikern“, namentlich „Luscious Life“ und „The great Escape“. Etwa gegen Mitternacht ging dann die normale Beleuchtung in der Kirche wieder an und ein wundervolles Konzert damit endgültig zu Ende.
Am einem Stand am Ausgang konnte man erfreulicherweise das neue Album „Adventures in Your Own Backyard“ gleich käuflich erwerben, was ich selbstverständlich tat. Und auch die beiden Alben von „Josef & Erika“ habe ich erstanden, und zwar *räusper* bei Erika höchstselbst, denn sie hatte den CD-Verkauf zur Chefin-Sache erklärt und stand außerdem den Fans Rede und Antwort. Auch das charakteristisch für diesen Abend. Alles angenehm unprätentiös.
Fazit #1: Ein herausragendes Konzert! Für mich das beste seit dem legendären Gig von iLiKETRAiNS im Berliner „Lido“ vor etwa fünf Jahren.
Fazit #2: Das Ausmaß und die Verbreitung der Trunksucht in Deutschland haben offensichtlich besorgniserregende Formen angenommen!
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Patrick Watson
http://music.cbc.ca/#/blogs/20…k-Watson-in-your-backyard
Josef & Erika
http://soundcloud.com/irrevirre/floods-cover-my-ankles
Viele Grüße vom immer noch restlos begeisterten Professor