"Mirage" - Matt Ruff

  • Titel de englischsprachigen Ausgabe: "The Mirage"




    Am 9. November 2001 entführen amerikanische fundamentale Christen vier Flugzeuge. Zwei davon fliegen sie in die Tigris & Euphrates World Trade Towers in Bagdad, ein drittes in das Arabische Verteidigungsministerium in Riyad. Das vierte Flugzeug, das vermutlich nach Mekka fliegen sollte, wird von mutigen Passagieren in der Wüste Arabiens heruntergebracht. Mehrere tausend Menschen sterben an diesem Tag.


    In der Folge erklären die Vereinigten Arabischen Staaten Amerika einen Krieg gegen den Terror, auch wenn die Terroristen gar keine Amerikaner, sondern Texaner waren (ja, Texas ist in Matt Ruffs Universum ein unabhänger Staat, der von einem Bush-ähnlichen Idioten regiert wird). Aber es soll Massenvernichtungswaffen in Amerika geben, und so wird dieser Krieg gerechtfertigt. Außerdem will man dem amerikanischen Volk die Freiheit und Demokratie bringen, die die Bevölkerung der Vereinigten Arabischen Staaten schon lange genießen.


    In "Operation American Freedom" wird also Amerika plattgemacht. In Washington wird eine Green Zone errichtet und ein Marionettenregierung etabliert, die Amerikaner wenden sich zunehmend dem christlichen Fundamentalismus zu, die Bombenattentate häufen sich, und auch 2009, sechs Jahre nach Kriegsende gibt es noch keinen Frieden für die Amerikaner.


    Hier beginnt die eigentliche Handlung. Mustafa Al Baghdadi, ein Mitarbeiter der Arab Homeland Security verhört einen Selbstmordattentäter, der behauptet, die Welt in der Mustafa lebt, sei nur ein Trugbild, tatsächlich seien die arabischen Staaten eine Ansammlung rückständiger Länder. Auch andere Gefangene erzählen von dieser Geschichte und es tauchen Artifakte auf, zum Beispiel die Titelseite einer New York Times, die von einem Anschlag am 11.9. 2001 auf das World Trade Center in New York erzählt. Mustafa geht der Geschichte nach und stellt fest, dass Sadam Hussein, ein Bagdader Mafioso, viele Artifakte auf eBazaar ersteigert. Aber auch Senator Bin Laden, ein Kriegsheld, scheint involviert zu sein. Er versucht mit aller Kraft zu verhindern, dass die Wahrheit über die Artifakte herauskommt. Die Ermittlungen führen Mustafa und seine Kollegin schließlich auch nach Amerika und Texas.


    Jedem Kapitel ist ein Artikel aus der "Bibliothek von Alexandria" vorangestellt, einer freien Internet-Enzyklopädie à la Wikipedia. Hier erfährt man vieles über die alternative Welt, in der die Handlung stattfindet und die gar nicht so viel anders als unsere ist, zumindest bleiben manche Menschen einfach immer gleich, wer hier ein Schurke ist, ist es auch dort, nur unter anderen Voraussetzungen.


    Das Gedankenspiel: "Was wäre, wenn die Welt auf den Kopf gestellt werden würde" ist zunächst ganz interessant und es hat mir eine ganze Weile Spaß gemacht, Anspielungen und Parallelen zu der Welt, wie wir sie kennen, zu entdecken. Einiges fand ich wirklich witzig, zum Beispiel leben Vereinigten Arabischen Staaten im Einklang mit Israel - nur dass Israel nicht da befindet, wo wir es vermuten, sondern nördlich des Rheins. Die vertriebenen protestantischen Norddeutschen müssen sehen, wie sie mit den Katholiken Süddeutschlands und Österreichs klarkommen.


    Im Verlauf des Buches hat sich für mich der Effekt jedoch abgenutzt und gegen Ende wird die Handlung wirklich wirr...


    Kleiner Spoiler:


    ...und man wird ganz am Ende etwas stehengelassen.


    Die ersten zwei Drittel fand ich klasse, aber dann habe ich irgendwann die Lust verloren und das religiöse Geschwafel wurde mir zu viel.


    Trotzdem ein interessantes und recht provokatives Gedankenexperiment.


    Über den Autor


    Matt Ruff, 1965 in New York geboren, wuchs als Sohn eines lutherischen Pfarrers in Queens auf. Er studierte Englische Literatur und Creative Writing und lebt heute in Seattle.
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  • Zitat

    Original von Pelican
    Wie schön, daß Du (wie so oft :-]) das Buch gelesen hast, um das ich seit zwei Monaten rumschleiche. :knuddel1 Leider sieht es wieder so aus, als ob es an "Fool on the hill" nicht drankommt...


    Hab ich nie gelesen, aber es kommt auf jeden Fall nicht an "Set this house in order" ran.


    Wenn ich es nicht auf dem Kindle hätte, würde ich Dir ja ein Päckchen packen...

  • Es gab für mich zwei Gründe dieses Buch zu kaufen. Erstens ist Matt Ruff einer meiner Lieblingsautoren (Fool on the Hill und Ich und die anderen fand ich einfach genial)
    und zweitens war ich fasziniert von diesem Gedankenspiel. Was wäre wenn alles ganz anders gewesen wäre .... und die arabischen Länder von christlichen Fundamentalisten angegriffen worden wären. Und so ging ich wahrscheinlich mit einer zu großen Erwartungshaltung an diesen Roman heran.


    Anfangs war ich auch noch begeistert. Die Umsetzung hat mir gefallen. Die Einschübe der fiktiven Enzyklopädie regten mich zum Nachschlagen an. Was daran ist Fiktion und was Wirklichkeit? Ich war z. B. sehr überrascht, als ich erfuhr, dass Saddam Hussein tatsächlich einen Roman geschrieben hat.


    Aber mit der Zeit wurde ich durch das Nachlesen auch sehr von der Handlung des Romans abgelenkt. Und die Geschichte wurde immer verworrender und überbordend.
    Meiner Meinung nach hat Matt Ruff einfach zuviel in die Story hineingepackt.
    Und vielleicht hatte ich auch zu wenig Hintergrundwissen (in Bezug auf die arabischen Länder), um die ganze Geschichte besser verstehen zu können.


    Fazit: Matt Ruff hat bestimmt für diesen Roman gut recherchiert und auch eine flüssige Sprache verwendet, aber ich bin einfach nicht der geeignete Leser für dieses Geschichte.
    Wer nun das Buch ebenfalls aus den Gründen lesen möchte, die mich dazu bewegt haben, sollte zu einem anderen Buch greifen.
    Diejenigen, die noch nichts von Matt Ruff gelesen haben, sollten lieber auf eines der o. g. zurückgreifen.


    Edit: Punktevergabe vergessen: Ich gebe 6 von 10 Punkten.

  • Ich werde das Buch morgen beginnen und dann eine Rezi schreiben.


    Aber ich stelle mich schon mal auf eine Enttäuschung ein, "Bad Monkeys" fand ich schon nicht wirklich gut. Und dabei ist "Fool On The Hill" für mich eins der Bücher, die ich retten würde, wenn es mal brennt. Irgendwie wurde Ruff von Buch zu Buch schlechter. Schade. Aber eine letzte Chance geb ich ihm noch.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Mirage war für mich das erste Buch von Matt Ruff. Habe es gestern abend beendet und kann mich der Rezension von Delphin (insbesondere auch des Spoilers!) voll und ganz anschließen. Ein sehr interessantes Experiment, das leider am Ende etwas zu sehr abdreht.


    Ich stimme Charlotte insofern zu, daß man schon sehr genau aufpassen muß, um die Handlung komplett nachzuvollziehen, da wir hier nicht das übliche Erzählmuster haben, auf dem sich die gute und die böse Seite bekämpfen. Es gibt viele unterschiedliche Interessenlagen, die von Ruff gut herausgearbeitet wurden. Er schafft dadurch ein vielfältigeres Bild der Situation als es die meisten deutschen Zeitungen über den wahren Nahostkonflikt hinbekommen. Das ist aus meiner Sicht sehr gelungen.


    Von mir gibts 8 Eulenpunkte.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)